In ihrem Buch „Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann?“ schreibt die Autorin und Journalistin Sabine Magnet über Selbstzweifel, die ständige Angst ertappt zu werden und den Umgang mit Betroffenen.
Warum so viele Menschen ihre Fähigkeiten unterschätzen
Gute Noten, akademischer Abschluss, Führungsposition: Für manche Menschen ist der eigene Erfolg kein Anlass zur Freude. Sie fühlen sich wie Hochstapler, kurz vor dem Auffliegen. Der Grund: Sie leiden am sogenannten Impostor-Phänomen.
Die Autorin Sabine Magnet hat darüber ein Buch geschrieben: „Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann?“. Anschaulich und unterhaltsam erklärt sie, woher die Angst kommt, nicht gut genug zu sein, und zeigt Lösungswege auf, wie man trotz des Gefühls, eine Mogelpackung zu sein, gut durchs Leben kommt.
Bild: Christina Papakyriacou
Seit knapp zwanzig Jahren arbeitet Sabine Magnet als freiberufliche Journalistin, ihre Ausbildung absolvierte sie an der Deutschen Journalistenschule sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
In ihrem Buch beschreiben Sie das Impostor-Phänomen. Dabei geht es um Menschen, die nicht glauben, dass ihre Erfolge auf eigene Fähigkeiten zurückgehen. Waren Sie selbst einmal in einer solchen Situation?
„Klar. Ich bin es immer wieder. Zum Beispiel, wenn ich Interviews über das Impostor-Phänomen geben soll. Da ist einerseits dieses erste Gefühl der Irritation, warum ich plötzlich eine Expertin für etwas sein soll, wo ich doch selbst keine Ahnung habe. Und dann ist da die diffuse Sorge, dass ich mich mit jeder Antwort als absolute Nicht-Expertin outen könnte. Total paradox ist das Empfinden, dass ich gar nicht ,schlimm genug‛ von dem Phänomen betroffen bin, um von meiner Erfahrung berichten zu können. Ich fühle mich sozusagen so, als würde ich das Hochstapler-Phänomen nur hochstapeln. Zum Glück weiß ich mittlerweile schon so viel darüber, dass ich diese Empfindungen besser einschätzen und gelassener mit ihnen umgehen kann.“
„Gemeinsam ist die Angst, nicht gut genug zu sein.“
Es ist bekannt, dass viele Menschen Selbstzweifel haben. Wann aber spricht man vom Impostor-Phänomen? Wo liegt die Grenze?
„Es ist nicht ganz trennscharf, die beiden Bereiche überschneiden sich teilweise. Aber das Impostor-Phänomen reicht weit über bloße Selbstzweifel hinaus. Gemeinsam ist die Angst, nicht gut genug zu sein. IP-Personen haben jedoch zusätzlich die Angst, entlarvt zu werden und eine Tendenz zum so genannten Self-Handicapping, also zur Selbstsabotage. Reine Selbstzweifel beinhalten aber zum Beispiel nicht die Angst vor einem Erfolg, die man beim Impostor-Phänomen oft beobachten kann. Ist der Erfolg dann da, lösen sich die Selbstzweifel im Normalfall auf und das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird gestärkt. Beim Impostor-Phänomen jedoch verstärkt Erfolg die Angst, den Leistungsdruck und die Hochstapler-Gefühle.“
Wie verbreitet ist das Phänomen?
„Eine wissenschaftliche Studie hat geschätzt, dass mindestens 70 Prozent aller Menschen mindestens ein Mal in ihrem Leben eine Impostor-Erfahrung machen. Ich halte es für eine zutiefst menschliche Erfahrung und glaube, dass die meisten Menschen dieses Gefühl kennen. Wie viele Leute aber über längere Zeit oder dauerhaft darunter leiden, lässt sich nicht sagen.“
Welche Menschen sind besonders davon betroffen?
„Prinzipiell kann es jeden und jede treffen, aber es gibt Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für Impostor-Gefühle erhöhen. Es gibt charakterliche Faktoren, also wenn man beispielsweise zum Perfektionismus neigt, wird man eher Impostor-Gefühle entwickeln. Auch die Familie und das soziale Umfeld haben Einfluss. Sind die Eltern zum Beispiel sehr leistungsorientiert oder wird dem Kind permanent gesagt, wie toll es ist, kann es schwerer ein authentisches Gefühl für das eigene Können entwickeln. Dann gibt es Situationen, die Impostor-Gefühle triggern: eine neue Aufgabe zum Beispiel. Oder wenn die Person sich in der Minderheit befindet, zum Beispiel als einzige Frau im Vorstand oder als einzige PoC unter den Lehrenden.
„Selbstbewusstes Auftreten und Souveränität wird unterbewusst immer noch als männlich empfunden.“
In ihrem Buch sprechen Sie von strategischen Hochstapler*innen. Was hat es damit auf sich?
„Strategische Hochstapler*innen neigen zu einer sogenannten Überlebenstechnik, die jahrelang eingeübt wurde und automatisch passiert. Mit Überleben ist soziales Überleben gemeint, denn oft haben diese Personen früh die Erfahrung eines Scheiterns gemacht und das als sehr bedrohlich empfunden. Mit dem prophylaktischen Runterspielen der eigenen Leistung nehmen sie den Druck aus der Situation, für den Fall, dass sie nicht erfolgreich sind.
Ich vermute, dass Frauen diese Taktik auch im Beruf anwenden, um den vermaledeiten Double Binds zu entgehen, das sind die Doppelbotschaften, mit denen Frauen konfrontiert werden: Verhalte ich mich stereotyp weiblich, werde ich zwar gemocht, aber nicht respektiert, verhalte ich mich stereotyp männlich, werde ich zwar respektiert, aber nicht gemocht. Selbstbewusstes Auftreten und Souveränität wird unterbewusst immer noch als männlich empfunden. Mit dem Herunterspielen, dem Sich-klein-Machen entgeht man einer Situation, die sehr viele Frauen fürchten, nämlich, dass wir nicht gemocht werden.“
Welche Folgen kann das Impostor-Phänomen im beruflichen Kontext mit sich bringen?
„Das kommt immer auf die Ausprägung an und wie die Betroffenen damit umgehen. Leichte Impostor-Gefühle in den ersten Wochen im neuen Job oder bei einer großen Herausforderung können mitunter die Leistung boosten und zu mehr Erfolg führen, weil wir uns stärker hinterfragen, strenger mit uns sind und versuchen, alle Eventualitäten auszuschließen. Problematisch wird es, sobald diese Gefühle zu Blockaden führen. IP kann sich in Perfektionismus auswirken. Diese Personen verlieren sich in unwichtigen Fitzelkram und micromanagen Projekte zu Tode. Oder es kommt zum Prokrastinieren, einer Ausprägung von Perfektionismus. Auch das gefährdet Projekte, weil Betroffene alles verzögern.“
In Ihrem Buch nennen Sie das Stichwort „Selbstwerttraining“. Wie kann ein Impostor lernen, den eigenen Erfolg anzuerkennen und sich ehrlich einzugestehen: „Das habe ich aus eigener Kraft erreicht.“
„Manchmal hilft es schon, zu erfahren, dass dieses seltsame Gefühl, dass ich verspüre, einen Namen hat und dass andere auch darunter leiden. In anderen Fällen, muss man das Gespür für das eigene Können tatsächlich erlernen. Expertinnen und Experten raten zum Beispiel zum Führen eines Erfolgstagebuchs: Man trägt jeden Tag die Dinge ein, die man erreicht hat, und zwar alle, von der Beförderung bis zu ganz kleinen Dingen wie „endlich diese verflixte Email an XY rausgeschickt“. So hat man den eigenen Erfolg Schwarz auf Weiß.
Eine andere Methode ist das Prinzip der Self-Compassion, das auf der buddhistischen Philosophie basiert. Hier wird ein liebevoller Umgang mit sich selbst trainiert. Die Erfolge dieses Ansatzes sind wissenschaftlich erwiesen. Natürlich helfen auch eine Therapie, manche bevorzuge aber eher ein Coaching, das wird oft sogar von Unternehmen selbst angeboten. Ich rate dazu, alles mal auszuprobieren, man lernt dabei immer sehr viel über sich selbst. Wichtig bei allem: Humor. Der hilft immer.“
Das Buch: „Und was, wenn alle merken, dass ich nichts kann?“, mvg verlag, 22. Januar 2018, 220 Seiten, 16,99 Euro
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