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Wirst du mit Yoga ein besserer Mensch?

Ein Ausflug in die Yoga-Philosophie. Oder: Warum Yoga so viel Raum für Ideologien lässt. Die Yoga-Lehrerin Andrea Zach geht der Frage nach, warum Yogis manchmal als bessere Menschen gelten – oder sich selbst so sehen.

Wirst Du mit Yoga ein besserer Mensch?

In einem Yoga-Blog las ich kürzlich diese Frage. Ja, das geht – war die Antwort und sie stimmte mich nachdenklich. Yoga ist ein riesiger Hype, gar keine Frage. Es gibt fast alles, von A wie Achtsamkeits-Yoga (das sich so anhört, als sei Yoga auch ohne Achtsamkeit möglich) bis Y wie Yin-Yoga, über Bier-, Gin-, Männer- und Faszien-Yoga. Für jede Zielgruppe existiert auch ein Yoga-Angebot

Einerseits ist es begrüßenswert, dass damit vielen Menschen mit unterschiedlichsten Interessen Zugang zum Yoga ermöglicht wird. Andererseits haben manche, die diesen Trend vor allem übers Netz beobachten, den Eindruck, Yoga-Praktizierende gebärden sich dabei unter anderem als „bessere“ Menschen.

Manche essen anders, manche verhalten sich – scheinbar – korrekter oder tragen bestimmte Kleidung und posten ihre Lebensweise gleich noch fleißig auf Instagram. Das Verhalten einiger Yogis wirkt dabei vor allem auf Aussenstehende fast schon ideologie-gesteuert. Womöglich wird Yoga bisweilen sogar in diesem Sinne unterrichtet und weiter verbreitet? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Mir wird ein solcher Eindruck manchmal in Gesprächen gespiegelt, meistens von Menschen, die mir von Erlebnissen berichten, die sie im Yoga-Umfeld wahrgenommen haben.

Was sagt eigentlich die Yoga-Theorie dazu? Will sie uns tatsächlich anleiten, ein besserer Mensch zu werden?

Das Yoga-Forschungsgebiet ist unsere eigene Natur

Yogaübende wollen herausfinden, welche Bewegungen, aber auch welche Verhaltensweisen und Denkmuster ihnen gut tun und welche ihnen Leid oder Schmerz zufügen.  Das ist gar nicht so einfach und geht auch nicht wie „Schalter an/aus“ von heute auf morgen. Es kann nur funktionieren, wenn wir mitbekommen, was wir brauchen und was nicht.

Das wiederum braucht aus Yoga-Sicht Aufmerksamkeit für unsere körperlichen Signale. Wir lernen im Yoga zu bemerken und ernst zu nehmen, was unser Körper uns mitteilt. Letztendlich möchten wir unsere Selbstwahrnehmung vertiefen, um unsere eigene Natur besser kennenzulernen. Übrigens ein Ziel, das Yoga mit dem präventiven Aspekt von Ayurveda, der traditionellen indischen Medizin gemeinsam hat.

Wie du mit Yoga deinen Körper kennenlernst

Klassische Yoga Haltungen (Asanas) bieten dafür eine hilfreiche, ausgeklügelte Basis.  Sie helfen uns, Bewegungsmuster zu erlernen, die unsere Gelenke entlasten, unsere Muskeln dehnen und kräftigen und unsere freie Atmung fördern. Asanas sind so durchdacht, dass sie uns die Chance geben, zu bemerken, wenn wir Bewegungsmuster anwenden, die uns schaden. Wir bemerken das, weil beispielsweise unsere Knie schmerzen oder unser Nacken verspannt.

Yoga ist so gesehen immer ein aufdeckendes Verfahren und ein Lernprozess. Wir bemerken beim Üben unsere Schwächen, beispielsweise, wenn wir durch unsere Fußhaltung unser Kniegelenk ungünstig belasten. Während dieses Prozesses setzen bei uns, wie bei allen Menschen, schnell diejenigen Verhaltens- und Denkmuster ein, die uns aus Alltagssituationen bereits vertraut sind: Manche ärgern sich, andere setzten sich selbst unter Druck oder treiben sich an, wieder andere lenken sich gerne ab.

Nur wenn wir solche ureigenen Verhaltensweisen oder Reaktionsmuster bemerken, bietet sich uns die Chance, diese als für uns hilfreich oder weniger hilfreich einzuordnen, so die Theorie. Wir lernen uns selber besser kennen und kommen dadurch in Kontakt mit unserer eigene Natur. Haben wir das Gefühl, etwas tut uns auf Dauer nicht gut, so können wir uns frei entscheiden, ob wir kleine oder größere Veränderungen herbei führen wollen – oder auch nicht.

Als Ergebnis dieses Prozesses erleben manche Yogaübende mehr Freiheit weil sie selbst es sind, die entscheiden was sie stört und was nicht, was sie beibehalten und was sie ändern möchten.

Vermeidbares Leid vermeiden

Macht uns diese vertiefte Selbstwahrnehmung auch gleichzeitig zu einem besseren Menschen? Yoga beantwortet diese Frage aus seiner Theorie heraus (Yoga-Sutra und Samkhya-Philosophie) nicht. Es wird in diesen Schriften – im Gegensatz zu vielen Religionen – nämlich nicht definiert, was gut und was schlecht ist.

Es gibt im Yoga zwei wichtige Prämissen: sich selbst und anderen gegenüber nicht-gewaltsam (oder nicht-feindselig = ahimsa) zu agieren und vermeidbares Leid zu vermeiden. Offen bleibt jedoch, wie wir uns dazu ganz konkret verhalten sollen.

Die Yoga-Theorie beschreibt durchaus differenziert, welche Schwierigkeiten uns innerhalb unseres Lernprozesses begegnen können.  Sie setzt sich dabei vor allem mit den Herausforderungen auseinander, unsere Wahrnehmung und unsere Handlung in Einklang zu bringen.

Sie geht zum Beispiel davon aus, dass wir uns mit unreflektierten Glaubenssätzen das Leben schwer machen können und sie gibt Anregungen, wie wir hilfreiche Veränderungen einleiten können. Dabei folgt sie immer dem Ziel, vermeidbares – Leid zu vermeiden.

Wie du auf dich achten kannst

Stellt euch vor, ihr seid beispielsweise richtig hungrig, euer Magen knurrt, ihr könnt euch nicht mehr konzentrieren. Nehmen wir weiter an, dass ihr dabei keinen Durst habt. Aus Yoga (und aus Ayurveda-)Sicht ist Hunger ein körperliches Signal, das wir ernst nehmen und auf das wir adäquat regieren sollten.

Wir haben nun verschiedenen Möglichkeiten. Die naheliegende Aktion wäre, etwas zu essen, das uns wohl tut, sättigt und nährt. Wenn wir in dieser Situation jedoch beispielsweise trinken, statt zu essen, missachten wir ein deutliches Körpersignal. Yoga und Ayurveda ordnen das Missachten körperlicher Signale bereits als Feindseligkeit sich selbst gegenüber ein.

Die Entscheidung, ein Körpersignal zu übergehen – in unserem Beispiel, etwas zu trinken statt zu essen – beruht oft auf einem Glaubenssatz oder auf einem Wert, den wir so erlernt haben. Wenn sie trinken statt zu essen, meine manche von uns eventuell, sie dämpfen wir den Hunger und essen so eventuell weniger, können sich also beim Abnehmen unterstützen. Ayurvedisch und yogisch gesehen ist das keine gute Idee, denn das Respektieren (statt Ignorieren) unserer Körperintelligenz gehört dort zu den wichtigsten Massnahmen der Prävention von Krankheiten.

Glaubenssätze hinterfragen

Die Yoga-Theorie rät, solche erlernten Glaubenssätze, aber auch Tipps und vermeintliche Regeln daraufhin zu hinterfragen, ob sie mit unseren Körpersignalen harmonieren und ob ihre Einhaltung uns tatsächlich auf Dauer gut tut.

In unserem Beispiel könnten wir zum Beispiel neben der Idee, zu trinken statt zu essen, auch noch hinterfragen, warum wir abnehmen möchten, woher wir diese Vorstellung haben und ob es überhaupt für unser eigenes Wohlbefinden notwendig ist.

Gebote oder starre Regeln hingegen, an denen wir uns ganz genau entlang hangeln, oder aufgrund derer wir unser Verhalten in gut oder schlecht einordnen könnten, kennt die Yoga-Philosophie nicht. Vielleicht lässt Yoga deshalb viel Raum für Religion oder Ideologie.

Von Ernährungs- bis hin zu Verhaltensregeln wird interpretiert, wie sich ein Yogi zu verhalten hat. Auf diese Weise wird wohl der missverständliche Eindruck vermittelt, es gäbe das korrekte yogische Verhalten. Wer dies beherzige, werde zu einem besseren Menschen.

Gute Beziehungen beginnen bei uns selbst

Wenn wir uns selbst besser verstehen, fühlen wir uns tatsächlich wohler in unserer Haut, können Situationen entspannter reflektieren und tun uns im Umgang mit anderen leichter. Das ist die Basis der Yoga-Theorie, zugegeben etwas vereinfacht.

Diese Erkenntnis teilt sie übrigens mit unserer banalen Alltagserfahrung, aus sogenannten „guten Tagen“, an denen wir mit dem richtigen Fuß aufgestanden sind: Wir fühlen uns dann wohl, sind gut gelaunt und tun uns sogar mit unangenehmen Kolleg*innen, dem Anruf im Call-Center (plus Warteschleife) oder mit dem nervigen Nachbarn leichter als sonst.

Geben wir uns die Zeit, die Geduld und den Gleichmut, unsere Selbstwahrnehmung zu vertiefen, so hilft uns das im Laufe der Zeit, Situationen auch außerhalb der Yogamatte reflektierter zu beurteilen. Wir reagieren auf andere Menschen und auf unsere Umwelt auf eine Weise, die wir für uns selbst als hilfreich und als „nicht feindselig“ empfinden. Kurz gesagt: Yoga lässt uns üben, zu reflektieren, ob unser Verhalten für uns, im Kontext mit unserer Umgebung, passend ist.

Der Begriff „passend“ ist dabei eine subjektive Einordnung und hat nichts mit gut oder schlecht zu tun. So käme ein reflektierter Yogi – hoffentlich – nicht auf die Idee, anderen sagen zu wollen, was gut und was schlecht ist, wie sie zu leben, was sie zu essen, und wie sie sich generell zu verhalten haben.

Vielleicht gibt der eine oder andere Anregungen – sofern er um Rat gefragt wird. Die Freiheit, über eine solche Anregung nachzudenken (oder es zu lassen), liegt ganz beim Gegenüber, das seine Entscheidung wiederum nach seinen eigenen Kriterien – als passend oder unpassend – beurteilt. Wenn wir das als als besseren Umgang miteinander empfinden, dann hat die Yoga-Praxis uns hierbei ein Stück geholfen.

Dieser Text ist auch in Andreas Yoga-Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn hier mit uns teilt.

Titelbild: Depositphotos.com

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