Anthony Tran

Was uns nicht umbringt, macht uns härter? Diesen Satz sollten wir streichen!

Wann beginnt das ständige Abhärten uns schwach zu machen? In dieser Woche fragt sich Silvia in ihrer Thirtysomething-Kolumne, warum wir uns nicht mehr Verwundbarkeit leisten.

Wir sitzen zusammen. Eine Freundin erzählt von ihrer Trennung, nach vielen Jahren Beziehung. Eine andere von der Krankheit, die sich nun schon ewig hinzieht und die nächste von einem verletzenden Gespräch innerhalb der Familie. Nach und nach legen wir die emotionalen Päckchen auf den Tisch, die wir gerade mit uns tragen, schauen sie gemeinsam an, packen sie aus, drehen sie hin und her. Auf einmal ruft eine von ihnen lachend: „Haben wir hier einen Krisen-Gipfel, oder was? Kommt schon, wir schaffen das alles. Und hey, was uns nicht umbringt, macht uns nur härter!“

Der Satz hallt noch in mir nach, als ich durch die Kälte nach Hause laufe. Ich habe die Redewendung selbst schon häufig verwendet und genauso oft habe ich sie von anderen gehört – im Freundeskreis, in der Familie, bei Krankheiten, Schmerzen, Sorgen, Ängsten, Überlastung. Es ist ein ziemlich zuverlässiges Totschlagargument, wenn man hilflos wird. Oder dafür, Gedanken abzukürzen und sich nicht damit aufzuhalten, zu spüren wie sich etwas wirklich anfühlt, sondern einfach weiterzugehen. Einfach immer weiter. Vielleicht sagt man den Satz auch gerne, weil er ermutigend wirken soll. Du kannst das, du schaffst das. Lass dich nicht hängen. Und sterben, wirst du auch nicht davon. Aber muss etwas erst lebensbedrohlich werden, damit wir uns Verletzlichkeit länger als zwei Minuten erlauben dürfen? Und ist Härte wirklich eine Eigenschaft, die es weiter auszubauen gilt? Wenn ich mich so in der Welt umsehe, habe ich daran meine Zweifel. Und ich habe meine Zweifel, dass Härte wirklich ein Zeichen von Stärke ist.

Vernarbte weiche Stellen statt schwache Mauern

Wieso glauben wir, dass die Erkenntnis, verwundbar zu sein, weniger stark ist, als künstlich Stärke zu propagieren, wo eine Verletzung liegt? Vielleicht ist es die Angst vor der emotionalen Arbeit, die mit dieser Einsicht ansteht. Denn die ist verdammt anstrengend und macht häufig erstmal lange ratlos, bis etwas anderes eintritt. Und es ist eine Arbeit, mit der man letztlich nie fertig wird. Weil wir nie fertig sind, nie ganz. Und weil immer wieder etwas kommen wird, was den Boden unter den Füßen wegzieht. Aber wieso sollte es nicht gut und wichtig sein, da dann auch einmal ein bißchen liegen zu bleiben?

Wie kommen wir auf die Idee, dass wir so tun müssen als wären wir aus Material gemacht, das durch psychische Belastungsproben härter wird? Warum wollen wir so gerne daran glauben, dass jede schlechte Erfahrung automatisch ein Happy End hat, uns weiser und stabiler machen wird? Keine Erfahrung birgt das Versprechen, dass sie positiv wirkt. Es gibt Dinge im Leben, die tun nicht nur kurz weh, sondern verursachen einen anhaltenden Schmerz und bringen uns um, während wir scheinbar tapfer weiterleben. Nur sieht man das nicht immer. Nur soll man das nicht immer sehen. Weil uns die Wunden der anderen verunsichern, indem sie uns daran erinnern, wie viele Wunden wir selbst in uns haben und was uns noch passieren könnte. Weil sie sagen, was wir nicht gerne aussprechen: das nicht immer alles gut werden wird.

Wunden heilen nur, wenn man sie pflegt

Zu leben bedeutet eben auch, Wunden zu sammeln. Die mögen verheilen, aber zurück bleibt in der Regel eine Narbe, die manchmal erst dadurch zu schmerzen beginnt, weil man sie sich nicht traut, sie anzunehmen. Und vielleicht ist es ja auch so, dass all das, was uns nicht umbringt, sondern härter macht, irgendwann in seiner Härte bedrohlicher wird, als es die Verletzlichkeit vorher je gewesen wäre. Wir alle haben weiche, verletzliche Stellen in uns, die gestärkt werden, wenn sie beachtet werden, wenn sie gepflegt, gestreichelt und verständnisvoll behandelt werden – aber ganz sicher nicht, wenn man sie einfach weg redet.

Alles andere sind Weisheiten einer Gesellschaft, die auf Abhärtung setzt und sich sich damit am Ende doch selbst schwächt. Weil diese Weisheiten ernst zu nehmen auch bedeutet, sich von innen auszuhöhlen, bis nicht mehr viel mehr als eine Fassade übrig bleibt. Lasst die Wunden lieber an die Luft und lasst sie schmerzen. Wunden verheilen besser, wenn sie atmen dürfen als wenn sie im Verborgenen liegen. Und dann, kann man vielleicht auch gestärkt weitergehen.

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