Der Schwangerschaftsabbruch war für mich keine leichte Entscheidung. Aber die Richtige.
Die Geschichte (m)einer Abtreibung
Ich habe abgetrieben. Ich bin weder stolz darauf noch schäme ich mich dafür. Genauso wenig wie ich mich geschämt als ich mir den Knöchel gebrochen habe oder stolz darauf war, als er zusammengeschraubt wurde.
Nur wissen von meinem gebrochenen Knöchel viel mehr Menschen als von meiner Abtreibung. Abtreibungen sind hierzulande immer noch strafbar und stigmatisiert. Wenn mehr Menschen darüber reden, ändert sich daran vielleicht irgendwann etwas. Ich schreibe explizit von Menschen, denn keine Abtreibung findet statt, ohne dass zu wenigstens einem Zeitpunkt ein Mann beteiligt war. Persönlich kenne ich nur einen einzigen Mann, der mir von der Entscheidung zur Beendigung einer Schwangerschaft, für die er mitverantwortlich war, erzählt hat. Dafür kenne ich unendlich viele Männer, die sich anmaßen darüber entscheiden zu wollen, was Frauen mit ihrem Körper machen dürfen. Politiker und sogenannte Lebensschützer. Die, wie andere Feministinnen richtig angemerkt haben, nur das Leben von wachsenden Zellen, nicht aber das Leben von Frauen beschützen wollen.
Aber dies soll kein politischer Rant werden, dies ist die Geschichte meiner Abtreibung.
Mein Zyklus war noch nie sonderlich regelmäßig. Weshalb ich mir erst keine großen Gedanken gemacht habe, als meine Tage mal wieder auf sich warten liessen. Irgendwann habe ich einen Termin bei einer Gynäkologin ausgemacht, um mit ihr über meinen unregelmäßigen Zyklus zu sprechen. Ich hatte bis dato keine Frauenärztin in der Stadt, kannte die Ärztin also nicht einmal, bei der ich unten ohne auf dem Untersuchungsstuhl lag. Sie hat mir meinen Uterus auf dem Ultraschallgerät gezeigt und meinte, alles würde danach aussehen, als würde ich bald meine Tage kriegen. Sie schrieb mir ein pflanzliches Präparat auf, dass den Zyklus stabilisieren kann. Ich erinnere mich nicht, ob sie die Urinprobe für weitere Checks oder explizit für einen Schwangerschaftstest haben wollte. Ich erinnere mich nur noch an das lange Warten, obwohl die Untersuchung ja eigentlich schon vorbei war. Lange Warten heißt bei Ärztinnen meistens nichts Gutes. Irgendwann hat mich eine Arzthelferin wieder ins Untersuchungszimmer gebeten. Das nächste, woran ich mich erinnere ist der Gedanke, dass meine erste Schwangerschaft unmöglich im Axel-Springer Haus (dort saß die Ärztin) beginnen kann. Schocksituationen und so.
Schwanger – was nun?
Ich bin total benommen aus der Praxis gelaufen und wußte erstmal so gar nicht, was ich denn jetzt mit mir anstellen sollte. Ich habe dann eine Freundin angerufen, die in der Nähe arbeitet und bin zu ihr ins Büro gefahren, zum Glück hatte sie Zeit für einen Kaffee. Ich glaube, ich habe unterwegs sogar noch Kuchen gekauft. Als gute Freundin hat sie erstmal versucht mich zu beruhigen. Und mir gesagt, dass ich tolle Schuhe anhabe. Ablenkung hilft bekanntlich immer. Als großartige Feministin hat sie mich daran erinnert, dass ich alle Möglichkeiten habe und dass nur ich entscheide, welche die richtige ist. Sie hat sich als potentielle Tante angeboten und mir im gleichen Atemzug von ihren Abtreibungen und ihrem Kind erzählt. Allesamt gute Entscheidungen.
Wenig später habe ich meinen damaligen Freund angerufen, um ihn um ein Treffen zu bitten. Da er erst ein bisschen später konnte, habe ich noch eine andere Freundin getroffen. Es war sonnig, wir saßen Draußen, sie hatte ihre Babytochter auf dem Schoss. Ein paar Jahre später sollte ich selbst ein Kind bekommen, zu dem Zeitpunkt war es für mich unvorstellbar, dass in mir etwas war, was zu genau zu so einem Minimensch werden könnte.
Dann kam mein Freund, der genau so wenig ahnte wie ich noch ein paar Stunden zuvor. Dementsprechend unvorbereitet war seine erste Reaktion. Aber sie war ok. Wir haben lange gesprochen und es war von Anfang an klar, dass wir uns gemeinsam beratschlagen würden, aber dass die Entscheidung am Ende bei mir liegt. Und er sie unterstützen würde, egal wie sie ausfiele.
Eine Entscheidung treffen
Die darauffolgenden Tage waren eine einzige emotionale Achterbahnfahrt. Ich habe in meinem Wandkalender versucht nachzuvollziehen, in welche Richtung ich tendiere. Oben ja, unten nein. Es wuchs eine Zick-Zack-Linie. Um überhaupt alle Möglichkeiten zu kennen und zu haben, habe ich einen Termin bei Pro Familia ausgemacht. Denn wer in Deutschland abtreiben will, muss davor ein Beratungsgespräch führen. Auf dem Weg dorthin habe ich in der U-Bahn Rotz und Wasser geheult. Ich wollte nicht in dieser Situation sein, ich wollte nicht auf einmal über den weiteren Verlauf meines ganzen Lebens entscheiden müssen, ich wollte nicht mit Unbekannten darüber sprechen müssen.
Glücklicherweise war die Mitarbeiterin bei Pro Familia wirklich einfach nur wunderbar. Sie hat genau die richtigen Fragen gestellt und mich umfassend über alle Optionen informiert ohne dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, sie wolle mich in die eine oder andere Richtung lenken. Am Ende des Gespräches habe ich den Beratungsschein bekommen und eine kopierte Liste mit Ärzt:innen in Berlin, die Abtreibungen vornehmen. Denn nach wie vor dürfen Ärzt:innen nicht selbst diese Information bereitstellen.
Einige Tage später war meine Entscheidung gefallen. Ich war noch nicht bereit für ein Kind. Ich wußte nicht, ob mein damaliger Freund und ich gute Eltern würden. Ich wäre auch zu dem Zeitpunkt schon finanziell in der Lage gewesen, mich und ein Kind zu versorgen und ich hielt mich auch durchaus für reif genug. (Sofern mensch das je sein kann.) Aber ich habe mich immer wieder gefragt, ob es fair wäre, ein Kind zu bekommen, nur weil die Rahmenbedingungen ausreichen. Fair dem Kind gegenüber. Ich wußte, dass ich irgendwann Kinder wollte. Ich habe mich daher natürlich auch gefragt, ob allein das Gefühl, dass der Zeitpunkt nicht der richtige ist, genug ist, sich gegen eine werdende Schwangerschaft zu entscheiden.
Es war nicht der richtige Zeitpunkt
Am Ende war genau das ausschlaggebend: Ich hatte nicht das Gefühl, dass es zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben die richtige Entscheidung gewesen wäre, ein Kind zu bekommen.
Ich hatte also diese Liste und kam mir vor wie als würde ich versuchen, verbotene Geschäfte zu betreiben, als ich die Nummern abtelefoniert habe. Und in der Tat sind Abtreibungen in Deutschland verboten. Sie sind im Strafgesetzbuch geregelt, genauso wie Körperverletzung und Totschlag. Mit dem einzigen Unterschied, dass Abtreibungen unter gewissen Bedingungen straffrei bleiben. Da Abtreibungen nicht von der Krankenkasse übernommen werden (außer sie sind medizinisch notwendig), dürfen Ärzt:innen den Preis dafür selbst festlegen. Bei manchen sind es um die 1.000 Euro, bei manchen weniger Hundert. Manche bieten ausschließlich operative Abtreibungen an, obwohl es grundsätzlich zwei Wege gibt und gerade bei frühen Schwangerschaften ein Abbruch mit einer Pille verträglicher ist.
Ich wußte sehr schnell, dass ich eine medikamentöse Abtreibung wollte, ich wollte keine Vollnarkose, ich wollte nicht noch mehr Kontrolle über mein Leben und meinen Körper abgeben. Zum Glück habe ich eine absolut großartige, feministische Ärztin gefunden, die das mit mir besprochen hat und mir das ermöglicht hat. Ich habe die erste von zwei Tabletten bei ihr in der Praxis genommen, neben mir saß mein Freund. Da jede Frau anders auf dieses Medikament reagiert, gibt es keine klare Prognose, wie lange es dauern wird und wie schmerzhaft es werden wird, bis sich die ungewünschten Zellen mit einer Blutung aus dem Uterus verabschieden. Weil mensch in so einer Situation nicht viel tun kann, aber zumindest ich immer irgendwas tun will, haben wir einen Großeinkauf gemacht. Chips, Schokolade, Smoothies, Popcorn, alles, was einen unangenehmen Tage irgendwie besser machen kann. Zuhause habe ich die zweite Pille genommen und eine weitere vaginal eingeführt, um den Muttermund zu weiten und damit das Eintreten der Blutung zu beschleunigen. Dann haben wir einen schlechten Film geguckt und gewartet. Wir sind spazieren und Eis essen gegangen, weil das ablenkt und außerdem gegen Krämpfe hilft. Nachmittags habe ich reihum sämtliche Massagestühle bei Saturn probegesessen. Schmerzen hatte ich die ganze Zeit über nur sehr mäßig, vergleichbar mit einer stärkeren Regelblutung. Aber ich wußte natürlich, dass die Blutung, die dann ein paar Stunden später eingesetzt hat, diesmal keine unbeleuchtete sondern eine befruchtete Eizelle, die sich schon ein paar Mal geteilt hatte, aus meinem Körper geschwemmt hat. Ich war in etwa in der achten Woche schwanger, aber so sehr ich mich bemüht habe, ich könnte in dem Blut keinerlei “etwas” ausmachen, nichtmal ein wirkliches Klümpchen. Nur Blut und Schleim. Was weniger eklig ist, als es so vielleicht klingt. Für die allermeisten Frauen gehört das regelmäßige Bluten zum Leben dazu.
Nein, ich habe es nicht bereut
Und dann war ich also nicht mehr schwanger. Ein paar Tage später hat die Gynäkologin das bestätigt. Ich hatte mein Leben, dass mir für ein paar Tage drohte zu entgleiten, zurück. Ich war um eine Erfahrung reicher. Eine die ich nicht unbedingt hätte machen müssen, aber manchmal passieren im Leben eben Dinge, die mensch nicht geplant hat, ja die mensch sogar sehr bewusst versucht hat zu verhindern.
Habe ich es jemals bereut? Definitiv nicht. Ich habe seitdem nicht mehr oft an diese Woche gedacht. Ich habe nie das Bedürfnis verspürt, darüber zu reden. Wenn ich das jetzt tue, dann einzig deshalb, weil ich damit vielleicht anderen Frauen ein paar Informationen zur Verfügung stellen kann. Und sei es nur die Tatsache, dass sie nicht allein sind. Dass es vollkommen ok ist, sich gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Dass das auch keine lebensveränderte Entscheidung sein muss.
Vor allem aber dass es Deine Entscheidung und Deine allein ist.
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