Unsere Autorin Katie ist Scheidungskind und hat den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen. Doch damit verlor sie auch die Verbindung zu ihren beiden Schwestern. Nun, kurz vor Weihnachten, hat sie eine neue Kontaktaufnahme gewagt.
Alle Jahre wieder die gleiche Frage
„Und, geht’s über Weihnachten zur Familie?“ Der Dezember bringt immer ieder die gleiche Frage mit. „Nein“, antworte ich bewusst kurz und knapp. Nachfragen unerwünscht. Doch die Flut an Fragezeichen bleibt. Ich bin Scheidungskind und habe den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen. „Ja, aber. Darf man das eigentlich? Geht das denn?“, höre ich laut die Zweifler und antworte: „Hallo, Fehler! Ja. Man darf. Man sollte es sogar. Man muss es, wenn es einem gut tut!“
Wer uns „programmiert“
„Ich bin schön. Ich bin stark.“ Diese Sätze gehen viel einfacher über die Lippen,
wenn man als Kind von den Eltern Sätze wie „Du bist schön. Du bist stark. Du
bist liebenswert“ gehört hat. Eltern erziehen uns nicht nur, Eltern
programmieren Glaubenssätze in uns Kinder ein. Auch eine nicht liebende Mutter programmiert. Unsere Glaubenssätze bestimmen, was wir für wahr halten und wie wir uns als erwachsener Mensch verunsichern lassen. Ein „Du bist Schuld“ geht tiefer als ein „Du bist schön. Du bist stark. Du bist liebenswert“.
Mich hat eine narzisstische Mutter programmiert: Mit der Überzeugung, dass ich nie genug, nie gut genug sein werde. Dass ich meinen Berufswunsch als Journalistin vergessen kann, da die Konkurrenz sowieso zu groß ist. „Du kannst nicht mithalten“ – wer da spricht? Meine Mutter. Im Kampf gegen die Programmierung aus Kindestagen erlebt man viele Aha-Momente. Fast so, als räume man seine hinterste Schublade im Kleiderschrank auf. Eine dieser Aufräum-Aktionen hat mir gezeigt, dass ich ein Recht auf ein eigenes Leben habe – ganz ohne Wahrheiten, die andere mir über mich erzählen. Ich selbst weiß am besten, wer ich bin und was ich kann.
Wenn Kinder den Kontakt abbrechen
Es war in der späten Weihnachtszeit vor sieben Jahren, als ich meine Mutter zum letzten Mal sah. Im Dezemberregen brachte ich meinen zwei Schwestern ihre Weihnachtsgeschenke. Unser letztes Weihnachten fand zwischen Haustür und Treppenhaus statt. Ich würde ihr zu viel reden, meinte meine Mutter. Wieder mal vermittelte sie mir das Gefühl, nicht erwünscht, nicht gewollt zu sein. Mit verschwommenem Blick umarmte ich meine Schwestern zum Abschied.
Nach der Scheidung meiner Eltern wurden wir vier Kinder „aufgeteilt“. Meine Schwestern blieben bei unserer Mutter, mein Bruder und ich bei unserem Vater. Was bis heute bleibt, ist ein Graben, der zur Weihnachtszeit besonders dunkel leuchtet. An jenem Abend blickte ich meiner Mutter zum letzten Mal in die Augen und nickte ihr durch die Vorderscheibe des Autos zu. An jenem Abend kündigte ich. Ich war fest entschlossen, mein Herz von meiner Mutter zu befreien. Ich wollte frei sein. Frei von meiner Mutter. Frei vom Zwang, eine gute Tochter sein zu müssen. Was ich damals nicht wusste: Mit dem Kontaktabbruch verlor ich nach und nach auch meine Schwestern. Wir entwickelten uns erst zu Bekannten, dann zu Fremden.
Kaffee gegen das Schweigen
Kurz vor Weihnachten 2017. Die Frau gegenüber ist mir fremd. Heute höre und sehe ich sie nach so langer Zeit zum ersten Mal wieder. Die letzte Umarmung ist Jahre her. Ich bin aufgeregt. Die Dauer eines Kaffees ist wahrscheinlich viel zu kurz um dieses Gefühl von Fremdheit zu überwinden. Aber wir wollen nichts überstürzen. Wir wollen nur miteinander sprechen, die Meinungen von anderen Familienmitgliedern, die in der Luft hängen, ignorieren. Unsichtbar sitzen jedoch alle mit uns am Tisch.
Was denkt die Frau mir gegenüber? Ich weiß es nicht. Wir sind keine
Facebookfreunde. Ich kenne ihre Bilder auf Instagram nicht. Ich weiß nicht, wie sie lebt und was sie fühlt. Gefühle sind die Sprache des Herzens, aber ich spreche ihre Sprache nicht. Besser gesagt: nicht mehr. Trotzdem fühle ich, dass sie es ist. Zucker umrühren. Am Kaffee nippen. Wir lockern für uns das Band der zerstrittenen Familien. Wir erinnern uns an damals und schwärmen von heute. Wir werden nostalgisch. Ich fühle wieder, wie ich mit ihr durch den Garten tobe und wir uns beide vor Lachen im Sandkasten wälzen. Ich gewinne Zuversicht, dass es nach dem Fremd-Sein auch ein Nah-Sein gibt. So nah wie im Sandkasten ist sie mir bei diesem Kaffee. Meine jüngere Schwester.
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