Seit Generationen werden Paare auf das Happy End gedrillt. Damit ist alles erreicht – alle Träume und Wünsche erfüllt. Und zwar genau bis zu dem Zeitpunkt, wenn uns die Hürden des Alltags einholen. Christiane Schwarzer geht geht diesem Phänomen in ihrem Arbeitsbuch für Paare nach: „Ich + Ich = Wir“.
Happily ever after?
Im Sommer 2013, als ich 30 wurde, setzte eine Welle in meinem Leben ein: in meinem Umfeld wurde immer mehr geheiratet. Aus Spaß kaufte ich auch ein Hochzeitsmagazin. Nur um festzustellen, dass immer noch das große rosarote Ehe-Happy-End und die Vorbereitung rund um den einen Tag der Hochzeit verbreitet wird. Genauso wie ein paar Jahre zuvor, als ich selbst ins Standesamt trat. Immer noch keine Zeile über die Zeit nach der Vermählung.
Parallel zu dieser Zeit fing ich einen neuen Job an und lernte als Recruiterin, wie intensiv sich ein Unternehmen damit beschäftigt, einen Menschen kennenzulernen. Und dass die Gefühlsebene nur EIN Teil des Entscheidungsprozesses füreinander ist – es zählt vor allem die Passung der gegenseitigen Erwartungen und Wünsche von Unternehmen und Bewerber*in.
Seitdem frage ich mich: Warum machen wir das nicht auch für unser ultimatives Unternehmen: das eigene Leben und die eigene Beziehung?
Warum werden wir seit Generationen auf das Happy-End gedrillt – ohne Antworten für den echten Beziehungsalltag?
Die Antwort lautet: Es riecht verdächtig nach „Beziehungsarbeit“! Igitt.
Muss die Krise erst da sein?
Arbeit ist anstrengend, Beziehungsarbeit gefühlt schon doppelt. Sie frisst geistige, emotionale und zeitliche Kapazitäten. Erfordert Geduld, Ruhe und Ausdauer. Wer schon einen Job hat, will nicht auch noch daheim an der Beziehung arbeiten müssen.
Deshalb geben wir uns nun schon seit Generationen der sehr bequemen Annahme hin: Wenn wir uns gefunden haben, dann verlieren wir uns nie wieder. Du bist für immer mein und ich für immer Dein. Doch das stimmt nicht (immer).
Wir ahnen das auch. Wir werden älter, wir verändern uns. Wir ändern unsere Beziehung aber nicht. Wir bleiben oft lange passiv, solange bis Probleme immer größer werden und nicht mehr zu ignorieren sind. Oder wir sind sehr aktiv und verwechseln Beziehungsarbeit mit Überzeugungsarbeit – und streiten über Themen, die nicht lösbar sind. Weil es nur darum geht, die/den andere*n zur Veränderung zu bringen. Wir wollen gewinnen und die andere Person somit in ihrer Selbstbestimmung einzuschränken. Wir akzeptieren also, dass wir nebeneinander oder gegeneinander leben.
Lieber unglücklich als aktiv
Wo bleibt der Aufschrei gegen diesen kulturellen blinden Fleck? Warum sind wir mit der Liebe so lieblos? Wollen wir wirklich weitere Generationen blind in den Happy-Ever-After-Modus schicken? Wie kaum eine Generation zuvor haben wir die Möglichkeit, unser eigenes Leben frei zu gestalten und abzuwägen, welche bestehenden Muster wir leben wollen – und welche NICHT.
Der erste Schritt dazu ist Bewusstsein über folgende Fragen:
– Was tut mir gut? Was tut dir gut?
– Welche Geschichte bringst du mit? Welche ich?
– Wovon träumst du? Wovon träume ich?
– Wovor haben wir Angst?
– Was erwartest du von mir? Und was kann ich dir geben?
– Welche Vereinbarungen treffen wir – passend zu uns und unseren Vorstellungen?
– Welche Themen sind vielleicht noch nicht so relevant – welche sind wiederum akut?
Ist die Beantwortung dieser Fragen „Beziehungsarbeit“? Ich wünsche mir, dass wir anfangen, Partnerschaften wieder mehr als Leben MITeinander zu sehen. Und Beziehungsarbeit eher als „Beziehungswertschätzung“ bezeichnen. Mit der klaren Botschaft: Bei dir kann ich ganz ich sein. Ich fühle mich anerkannt und respektiert. Ich kann frei sein und bin doch mit dir verbunden.
So sieht eine gute Beziehung aus
Stabile und glückliche Partnerschaften haben folgendes gemeinsam:
– Nähe und Vertrauen sind stark ausgeprägt
– Partner*in fühlt sich gut aufgehoben, beachtet und geborgen
– körperlicher Kontakt findet oft stattfindet, das heißt Sex – aber auch viele kleine Zärtlichkeiten im Alltag
– Paare streiten wenig
– Kommunikation ist offen, freundlich und lösungsorientiert
Das alles können wir erreichen – indem wir uns einander zuwenden. Uns Zeit füreinander nehmen. Und (wieder) miteinander ins Gespräch kommen.
Christiane Schwarzer arbeitet aktuell an einem Buch „Ich + Ich = Wir“, das in dem Verlag von Milena Glimbovski und Jan Lenarz erscheinen soll, bei dem im vergangenen Jahr schon der Kalender und Lebensplaner „Ein guter Plan“ erschienen ist. Mit dem Buch sollen sich Paare anhand zahlreicher Fragen besser kennenlernen und gegenseitige Erwartungen an ihre Beziehung klären können – also „Beziehungswertschätzung“, wie Christiane es nennt, bevor eine Krise entsteht. Das Buch wird per Crowdfunding finanziert – jeder, der etwas beitragen möchte, erhält im Gegenzug sein Exemplar.
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