Wer übernimmt welche Aufgabe in Beziehungen, woran liegt das und wie kann eine Beziehungen auf Augenhöhe gelingen? Darum geht es in dem neuen Buch von Gemma Hartley.
„Es reicht“
Die Journalistin und Autorin Gemma Hartley schreibt in ihrem neuen Buch „Es reicht. Warum Familien- und Beziehungsarbeit nicht nur Sache der Frau ist“ über die ungleiche Aufteilung von (Gefühls-)Aufgaben von Männern und Frauen innerhalb einer Hetero-Beziehung.
In dem Kapitel „Naturgegeben oder anerzogen“ nimmt sie die Klischees der einfühlsamen Mutter und des erziehungsunfähigen Vaters unter die Lupe. Und siehe da: Nicht nur Frauen sind einfühlsam und für die Kindererziehung geeignet. Wie zementiert unsere Gesellschaft diese Rollenbilder trotzdem und was können wir uns dahingehend von Island noch alles abschauen? Hier kommt der Auszug:
Können Frauen das wirklich besser?
Als ich begann, Recherche zu betreiben und über verschiedene Partnerschaftsmodelle nachzudenken, die womöglich einen Weg aus dem Gefühlsarbeitsdilemma aufzeigen könnten, sah ich mir zunächst matriarchalisch organisierte Gesellschaften an. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass meine Logik mit Fehlern behaftet war. Das Ganze einfach umzudrehen und sich auf Kulturen zu konzentrieren, in denen die Frauen das Sagen hatten, würde das fundamentale Problem der Ungleichheit nicht lösen, sondern lediglich die Rollen vertauschen. Nur eine egalitäre Struktur konnte die kritischen Einsichten bieten, die wir bräuchten, um aus diesem verfluchten Dilemma herauszukommen. Das führte mich zu dem Anthropologen Barry Hewlett und seinen Forschungen über „die besten Väter der Welt“: die Männer der Aka.
Dieser Pygmäen-Stamm umfasst etwa zwanzigtausend Personen, die als Jäger und Sammler leben. Geschlechter gibt es in dieser Gesellschaft natürlich auch, doch widersprechen sie mit Sicherheit allem, was wir unter traditionellen Geschlechterrollen verstehen. Hewlett fand heraus, dass die Rollenaufteilung bei den Aka ausgewogener war als bei allen anderen Völkern, die er jemals studiert hatte. Die Rollen von Frau und Mann waren austauschbar, und zwar im häuslichen Bereich wie auf der Jagd. Männer übernahmen ohne jede Form von Mikromanagement völlig selbstverständlich Sorgearbeit, und Frauen ließen auf der Jagd die Männer häufig hinter sich. Jedes einzelne Stammesmitglied schien genau zu wissen, was und wie etwas getan werden musste, ohne dass es ihm oder ihr von jemand anderem gesagt wurde. Sogar und insbesondere dann, wenn es um die Aufgaben der Elternschaft ging.
Ist es von der Natur gegeben?
Wir alle hängen der Vorstellung an, die Mutter oder ersatzweise andere Frauen könnten Kinder naturgemäß am besten aufziehen. Die Männer der Aka stellen diese biologistisch geprägte Debatte jedoch komplett auf den Kopf. Hewlett beobachtete während seines Aufenthalts bei diesem Naturvolk, dass männliches Stillen (oder zumindest die Nutzung der Brustwarze durch das Baby) als ganz und gar natürliche Methode galt, mit der Männer ihren Nachwuchs beruhigen konnten, wenn die Mutter unterwegs war.
Er fand heraus, dass die Aka-Väter 47 Prozent der Zeit in Reichweite ihrer Kinder verbrachten, mehr als alle anderen Väter weltweit. Es geht nicht mit gesellschaftlicher Stigmatisierung einher, wenn Männer die Rolle des Ersterziehenden übernehmen, denn bei den Aka gibt es die vorgeprägte Auffassung nicht, dass „naturgemäß“ Frauen diese Rolle einnehmen sollten. Intimität zwischen Vater und Kind ist genauso die Norm wie Intimität zwischen Mutter und Kind. Was die Frage aufwirft, woher wir Westler unsere Vorstellungen darüber, was natürlich ist, überhaupt herhaben.
Frage ich Frauen nach der Gefühlsarbeit, die in die Beziehung zu ihren Kindern fließt, gehen die meisten davon aus, ihren Partnern gegenüber etwas besser darin zu sein. Sie verfügen über eine bessere Intuition, nehmen Stimmungen und Störungen sensibler wahr. Sie sind besser auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingestellt. Sie bringen „von Natur aus“ eine größere Sanftmut und ein größeres Mitgefühl für die Menschen in ihrem Umfeld auf – glauben sie jedenfalls. Doch die Wissenschaft stützt keine dieser biologistischen Behauptungen, weder was Mitgefühl angeht, noch die Erziehung der Kinder.
Emma Seppala, wissenschaftliche Direktorin des Center for Compassion and Altruism Research and Education an der Standford University, beschreibt eine Fülle an Forschungsergebnissen, die belegen, dass Frauen und Männer über die gleiche Fähigkeit verfügen, Mitgefühl zu empfinden, dies mitunter aber auf verschiedene Weise ausdrücken, je nachdem, wie sie sozialisiert sind. „Mitgefühl ist eine natürliche Empfindung, und über viele Studien hinweg konnten diesbezüglich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern belegt werden“, stellt Seppala in einem Beitrag für die von der University of Berkeley, Kalifornien, herausgegebene Zeitschrift Greater Good Magazine fest.
„Während Frauen ihr Mitgefühl auf eine Weise ausdrücken, die im Laufe der kulturellen Entwicklung die Form von Erziehungs- und Bindungsverhalten angenommen hat, drücken Männer ihr Mitgefühl aufgrund traditioneller Entwicklungen eher über ein Beschützerverhalten aus, das dazu diente, das Überleben zu sichern.“
Männer sind sozialisiert, Männlichkeit mit Aggression, dem Unterdrücken von Gefühlen, Schutzverhalten und Broterwerb zu assoziieren. Frauen sind sozialisiert, Weiblichkeit mit Gefühlsarbeit, Fürsorge, Pflege, Kindererziehung und Unterordnung zu assoziieren. So wird auch klar, warum es Frauen so viel leichter fällt, Gefühlsarbeit in ihr Leben und in ihre Identität zu integrieren, obwohl Männer das ganz genauso könnten. Es ist anerzogen. Nicht naturgegeben. Bestimmte Kulturen mögen uns zwar als Beleg dafür dienen, wie harmonisch und natürlich eine egalitäre Gesellschaft mit Gefühlsarbeit umgehen kann, aber sie zeigen uns nicht, wie sich ein solches Modell in unserem eigenen Leben etablieren ließe. Die Aka leben weitab von allen westlichen Einflüssen, sind frei von der jahrhundertelangen tief verwurzelten Konditionierung, der wir alle unterliegen, ob wir das nun wollen oder nicht. Sich dieser Konditionierung bewusst zu werden, ist eine Sache, ihre Auswirkungen umzukehren, eine völlig andere. Ein modernes Beispiel gibt es allerdings, an dem wir uns orientieren können: Island.
Von der Wikinger-Machokultur zum feministisch geprägten Idealstaat
Einige skandinavische Länder haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zu tendenziell egalitär geprägten Gesellschaften entwickelt, doch keines von ihnen mit so halsbrecherischer Geschwindigkeit wie Island. Der Inselstaat gilt inzwischen als feministischstes Land der Welt. Allerdings hat es diesen Platz noch gar nicht so lange inne. Tatsächlich hat es sich erst in den vergangenen zehn Jahren von einer Wikinger-Machokultur zu dem feministisch geprägten Idealstaat gewandelt, als der es heute gepriesen wird. Zwar gibt es offenbar einigen Streit darüber, ob der Feminismus dort wirklich schon so perfekt umgesetzt ist, dennoch kann man schwerlich behaupten, es gäbe nichts von einem Land zu lernen, das sich rühmen kann, nur noch minimale Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern, die besten Arbeitsbedingungen weltweit für Frauen und ein Parlament zu haben, in dem, mal ganz abgesehen von dem weiblichen Staatsoberhaupt, Frauen aktuell 48 Prozent der Abgeordneten stellen. Zudem hat das Land eine der großzügigsten Elternzeitregelungen weltweit, und sowohl Mütter wie auch Väter nehmen sie in Anspruch.
Ähnlich wie die USA wurde Island von der globalen Rezession 2008 besonders hart getroffen, und der politischen Führung des Landes war klar, dass sich die Regierungspraxis ändern musste, wenn es wieder auf die Beine kommen sollte. Wie jedoch Joanne Lipman in ihrem Buch That’s What They Said feststellt, gab es große Unterschiede in der Art und Weise, wie die beiden Länder mit dem Zusammenbruch umgingen.
„In den USA blieben die Männer, die den Crash verursacht hatten, auf ihren Posten. In Island gingen diese Männer ins Gefängnis. Sie wurden durch Frauen ersetzt. Zwei der drei Banken des Landes ernannten eine Frau zu ihrem neuen Präsidenten. Die gesamte isländische Regierung trat zurück, bis hinauf zum Premierminister.“
Die Welle der Unzufriedenheit, die auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch folgte, führte zu einer grundlegenden Veränderung im Parlament, und das isländische Volk wählte 2009 seinen ersten weiblichen Premierminister, Jóhanna Sigurðardóttir (solltet ihr mal ein gutes Beispiel für umfassende Erfahrung in Gefühlsarbeit brauchen: Sie bekennt sich nicht nur offen zu ihrer Homosexualität, sondern hat auch als Flugbegleiterin gearbeitet), die sich umgehend an die Arbeit machte. Als Erstes führte sie eine Frauenquote von 40 Prozent in Unternehmensvorständen ein. Anschließend sorgte sie dafür, dass es kein Ungleichgewicht mehr geben konnte bei den Ausgaben für Frauen und Männer, indem sie im Finanzministerium eine neue Abteilung namens „Gender Budgeting“ (Geschlechtergerechter Haushalt) einrichtete. So stellte sie sicher, dass künftig alle Entscheidungen über den Staatshaushalt auf der Grundlage des Gleichberechtigungsgedankens getroffen wurden.
Außerdem setzte sie während ihrer Amtszeit als Premierministerin ein Verbot von Stripclubs durch, indem sie, wie sie sagt, Gesetze erließ, die darauf abzielten, den illegalen Menschenhandel einzudämmen, und legalisierte die Homoehe. Ihre Agenda war offenkundig feministisch, doch sagt sie selbst, man könne das Problem der mangelnden Gleichstellung der Geschlechter nicht ohne das Verständnis und Einverständnis der Männer angehen: „[Männer] müssen erkennen, dass der Kampf um gleiche Rechte nicht nur ,Frauensache‘ ist, sondern jeden Einzelnen, jede Familie und die gesamte Gesellschaft betrifft“, erklärte Sigurðardóttir in einem Interview mit dem Team von Women in Parliament. „Wird eine Frau auf dem Arbeitsmarkt in irgendeiner Weise schlecht behandelt, zum Beispiel schlecht bezahlt, dann leidet ihre gesamte Familie darunter. Stehen soziale Themen nicht ganz oben auf der Agenda, wird das Ganze zu einem riesigen gesellschaftlichen Problem, das Kindern, Alten und Behinderten und damit einem Großteil unserer Gesellschaft schadet.“
Island machte derart schnelle Fortschritte, dass es schließlich zehn Jahre in Folge den Spitzenplatz auf der vom Weltwirtschaftsforum herausgegebenen Liste mit den besten Ländern für Frauen belegte. Zwar wird es inzwischen von einer neuen Premierministerin, Katrín Jakobsdóttir, regiert, geht auf diesem Weg aber konsequent weiter. Erst kürzlich wurde ein Gesetz verabschiedet, demzufolge es illegal ist, wenn Unternehmen Männer und Frauen für denselben Job unterschiedlich bezahlen. Kann eine Firma nicht belegen, dass sie eine faire Lohnpolitik verfolgt, drohen Strafzahlungen bis zu 500 US-Dollar pro Tag.
Lipman fand auf ihrer Suche nach den Gründen, die Island weltweit zu einem der besten Orte für Frauen machen, Folgendes heraus: Zwar trugen alle diese statistischen Erhebungen dazu bei, dass das Land an die Spitze der erwähnten Liste aufsteigen konnte, es gab jedoch vor allem einen Punkt, in dem sich das Land tatsächlich von den anderen unterschied: Die veränderte Einstellung der isländischen Männer. Lipman fand heraus, dass die meisten Isländer sich nicht als Teil einer feministischen oder egalitaristischen Utopie empfanden. Die Männer glaubten nicht, dass Frauen es tatsächlich in eine gleichberechtigte Position geschafft hätten, obwohl sie hofften, diesen Wandel noch zu erleben. Sie fühlten sich auch nicht verfolgt von der stark feministisch geprägten Agenda der letzten zehn Jahre. Stattdessen hielten sie genau aus diesem Grund viele Männer in den USA für schwach. Im Gegensatz zu diesen war das Machotum der isländischen Männer nämlich gepaart mit der Entschlossenheit, Macht gleichberechtigt zu teilen. Die meisten Männer, mit denen Lipman sprach, fühlten sich wohl damit, sich selbst als Feministen zu bezeichnen, und eben dieser Geist der Solidarität scheint das Land immer weiter nach vorne zu katapultieren. Männer wie Frauen wünschen sich eine gerechtere Gesellschaft, und beide sind bereit und gewillt, dafür zu kämpfen, dass dieser Wunsch Realität wird.
„Von Natur aus“ gibt es nicht
Es mag schwerfallen, sich vorzustellen, dass eine politische Generalüberholung in den USA einen derart schnellen Wandel in der Gleichstellung der Geschlechter bewirken würde, wie Island ihn erlebt hat. Doch wenn es uns gelingt, unsere persönliche Sichtweise zu ändern – die falschen Erzählungen hinter uns zu lassen, die uns so lange in diesem erstarrten Ungleichgewicht gefangen gehalten haben –, dann ist ein solcher Wandel in absehbarer Zeit möglich. Gelingt es Männern und Frauen, die Annahme zu überwinden, es sei das Naturgegebene, nicht das Anerzogene, das uns in diesen Rollen festhält, dann können wir uns zusammentun und die Kraft der Gefühlsarbeit gemeinsam nutzbar machen, um dafür zu sorgen, dass dieses Paket wertvoller Kompetenzen und Fähigkeiten für uns alle funktioniert.
Dies bedeutet, dass wir Frauen damit aufhören müssen, uns an die Vorstellung zu klammern, wir wären in Gefühlsarbeit den Männern naturgemäß überlegen. Stattdessen sollten wir akzeptieren, dass unsere Partner in der Lage sind, diese Fähigkeiten genauso zu entwickeln, wie wir das getan haben, auf manchen Gebieten vielleicht sogar besser. Wir sollten darauf vertrauen, dass sie darin erfolgreich sein werden, statt davon auszugehen, dass in dem Moment, wo wir ihnen etwas überlassen, das komplette Chaos ausbricht. Vielleicht wird es das. Ziemlich sicher sogar. Doch mit genügend Zeit und Raum und der richtigen Einstellung wird es besser werden.
Die Männer wiederum müssen aufhören, Inkompetenz vorzutäuschen und sich diese Fähigkeiten aneignen, auch wenn es ihnen nicht „von Natur aus“ zufällt. Sie müssen die Arbeit anerkennen, die ihre Partnerinnen leisten und sich der Herausforderung stellen. Wir alle sollten als Erwachsene, ungeachtet unseres Geschlechts, Gefühlsarbeit als unsere Aufgabe sehen. So können wir das Ungleichgewicht auflösen und die Dinge besser machen.
Es reicht.: Warum Familien- und Beziehungsarbeit nicht nur Sache der Frau ist, Gemma Hartley. Goldmann Verlag, 18,00€.
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