In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Mit Kindern im öffentlichen Raum kannst du es eigentlich nur verbocken.
Liegt es an uns?
Vielleicht liegt es am jüngsten Sommerurlaub, jedenfalls treibt mich in letzter Zeit wieder stärker die Frage um, warum Kinder von manchen Menschen als tendenziell störend und nicht als unvermeidliche und daher selbstverständliche Elemente unseres Alltags betrachtet werden.
Wir waren ein paar Tage in Wien; Wien ist eine meiner Lieblingsstädte, diese Bewertung stammt allerdings aus kinderlosen Zeiten und ist damit, nun ja, vielleicht ein bisschen veraltet. Wahrscheinlich hatten wir auch einfach Pech, aber irgendwie hatte ich nach diesen paar Tagen das Gefühl, dass man Kinder in Wien nicht so gerne hat. Zumindest unsere nicht. Natürlich kann es wie immer auch eher an mir liegen. Oder an unserem Berliner Lotterleben, für das die Wiener*innen uns erstmal ein bisschen maßregeln mussten. So hier nicht, Freundchen. Zwei Stunden nach unserem Einzug in unsere Airbnb-Wohnung, in einem nicht allzu feinen Viertel, klingelte es Sturm und ein brüllender Nachbar teilte uns im Wiener Schmäh, den ich auf einmal gar nicht mehr so charmant fand, mit, dass der Kinderlärm sofort zu unterbleiben habe, sonst würde er umgehend die Polizei rufen.
Ich war völlig verstört: Er konnte doch unmöglich unsere Kinder meinen, die sprangen doch gerade nur kämpfend auf dem Bett rum, normale Geräuschkulisse, würde ich sagen?
In einem leicht feineren Café weigerte man sich später am Nachmittag, das zweijährige Kind zu bedienen, das wie üblich bestens gelaunt unten ohne einmarschiert war. Geh bitte, Schuhe bitte, Scherben, zur eigenen Sicherheit und so weiter… Einen minutenlangen Tobsuchtsanfall später stapfte das Kind mit Socken und Sandalen, aber weiterhin untenrum frei, zur Toilette. Wenig später stand der Chef des Ladens vor uns: Geh bitte, so ginge das nicht, bitte sofort irgendwas anziehen. Das Kind, das seinen bisherigen Berliner Sommer unbehelligt untenrum frei verbracht hatte, zeigte kein großes Verständnis – was dazu führte, dass das Kind weiterhin unten unbekleidet in seinem Buggy Platz nahm und ich von dannen zog, während der Rest der Familie Limonade und Sachertorte orderte.
Naja, würde mein Mann jetzt einwerfen, ist ja schon unhygienisch und so, er könne das schon verstehen… pff!
Vorlesen: Ruhestörung!
Jedenfalls las ich gerade interessiert den neuesten Beitrag von dasnuf, Patricia Cammarata schreibt richtig sauer über ein Erlebnis im ICE und wie sie eine Frau zur Rede stellte, die eine Mutter mit Kind aus dem Ruheabteil vergraut hatte, bevor das Kind überhaupt die Gelegenheit bekommen hätte, unangenehm aufzufallen.
Mir passierte neulich Folgendes: Mein Kind, das des Lesens bereits länger mächtig ist, wünschte sich dennoch, dass ich ihm den Sportteil der „Zeit“ vorlese, genauer gesagt ein durchaus nicht uninteressantes Pro und Contra zur Frage, ob die Auswärtstorregelung der Champions League noch zeitgemäß sei oder aber Auswärtstoren ein zu hoher Stellenwert beigemessen würde und die Regel abgeschafft gehöre. Ich bemühte mich um eine gedämpfte Stimme, das fällt nicht nur Kindern nicht leicht.
Nach wenigen Sätzen verlangte eine eher ältere Frau, ich solle aufhören, vorzulesen, weil das stören würde. Obwohl ich diesmal nicht mehrere Humpen Weißwein intus hatte, fand ich das richtig doof und pflaumte zurück, dass Vorlesen in einem Wartezimmer meines Wissens ja wohl nicht verboten sei. Ließ das Vorlesen dann aber beleidigt bleiben. Und freute mich über das Kind, das nicht gar nicht mal sauer, sondern eher verwundert und enttäuscht mit seiner traditionell nie gedämpften Stimme anmerkte: „Mama, das ist aber eine böse Frau, oder?“. Ich verneinte nicht.
Durchschnittliche Fähigkeit zur Rücksichtnahme
Genau wie allen anderen Menschen mit Kindern ist mir bewusst, dass es eigentlich nichts gibt, das so nerven kann wie Kinder. Und ich fürchte, nicht nur meine, sondern viele andere Kinder haben das Potenzial, sich an öffentlichen Orten richtig schlimm aufzuführen. Und manchmal nutzen sie dieses Potenzial dann auch. Und ja, es wird ganz sicher nicht nur mir, sondern vielen anderen Eltern schon passiert sein, dass sie mit einer anderen Brille auf ihr eigenes Benehmen oder das ihrer Kinder geguckt haben als Leute, die ohne Kinder da sind. Heute würde ich nicht mehr auf die Idee kommen, meinen Säugling mitten im Restaurant von der vollgeschissenen Windel zu befreien und zu wickeln – aber es ist mir passiert und in dem Moment habe ich nicht kapiert, dass das keine gute Idee ist.
Und ja, mir ist es auch schon passiert, dass ich „Nach mir die Sintflut“-mäßig einfach nur meine Ruhe haben wollte und meine Kinder im Café oder Restaurant Chaos angerichtet haben oder zumindest als störend empfunden wurden. In 99 (OK, fast!) Prozent der Fälle achte ich aber auf gutes Benehmen und es ist mir peinlich, wenn mir das nicht gelingt. Ich glaube, man darf wohlwollenderweise davon ausgehen, dass es in der Gruppe der Eltern einen ähnlich hohen Prozentsatz rücksichtsvoller Menschen gibt wie beim Rest der Bevölkerung, und diese Eltern dann auch von ihren Kindern Rücksichtnahme verlangen.
Eine Frage der Perspektive?
Wenn immer mal wieder Geschichten aufgeblasen werden wie die des Restaurants auf Rügen, in dem keine Kinder mehr essen dürfen, weil es immer öfter vorgekommen sei, dass Tischdecken samt darauf platzierter Rotweingläser heruntergerissen und Essensbestandteile durch den Gastraum geworfen wurden, dann bedauere ich, dass ich nicht versteckte Kameraaufzeichnungen aus dem Gastraum anschauen kann – mich würde wirklich interessieren, ob es da ein Problem mit unterschiedlichen Perspektiven gibt.
Rücksichtnahme ist immer wichtig, egal ob Kinder im Spiel sind oder nicht. Und ebenso wichtig finde ich, dass Menschen kapieren, dass Kinder sich anders, weniger reguliert, impulsiver verhalten als Erwachsene. In diesem Kontext interessant: Immer öfter beobachte ich in letzter Zeit in Restaurants und an anderen öffentlichen Orten Kleinkinder, die sich beinahe unheimlich gut benehmen; Kleinkinder, die still und bewegungslos am Tisch sitzen, während die Eltern in Ruhe essen und sich unterhalten können. Kurz bevor bei mir eine Neid–und-mich-defizitär-Fühlen-Attacke einsetzt, bemerke ich dann immer mit einem innerlichen Stoßseufzer der Erleichterung das Smartphone auf dem Tisch. Vor einigen Jahren wäre das noch nicht gegangen, galt man sehr viel schneller als sozial verwahrlost, wenn man das Kleinkind vor dem Bildschirm parkte, wie dieser schöne Text beschreibt: Da tuschelten die Leute, weil das dreijährige Kind in der Tram ein Youtube-Video auf dem Smartphone guckt.
Auch wir parken zumindest die älteren Kinder mittlerweile bei langen Autofahrten vor dem Tablet – Hauptsache Ruhe! Ich denke, ich würde das im ICE auch so machen. Wie gesagt: Hauptsache Ruhe. Hauptsache, keine*r meckert. Ich mutmaße mal, dass wahrscheinlich niemand mehr tuscheln würde. Aber ich habe den Verdacht: Genau diejenigen, die sich über meine Kinder beschweren würden, weil sie sich laut und rücksichtslos beim UNO-Spielen in die Haare kriegen und rumbrüllen würden, denken innerlich, wenn sie die vorm mobilen Endgerät geparkten Kinder sehen: Unfähige, armselige Eltern – fällt denen nichts Besseres ein?
In eigener Sache
Wir haben eine eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!