Foto: Eduarda Portrait | Pexels

#Sexpositivity bedeutet nicht, dass man permanent Sex haben muss

Wie Menschen ihr Sexleben gestalten, geht eigentlich nur die beteiligten Personen etwas an. Als Außenstehende*r darüber zu urteilen oder gar Einfluss nehmen zu wollen, hat nichts mit Sexpositivität zu tun. Eine neue Kolumne von Theresa Lachner.

„Du tust doch immer so offen“

Wisst ihr noch, damals in der „Bravo“, als ausführlich die „erogenen Zonen“ bei Mann und Frau erklärt wurden? Als gäbe es einen „An“-Knopf, der mit ein paar „zärtlichen Berührungen“ betätigt werden könnte. Schön, dass wir inzwischen nicht nur wissen, dass es noch sehr viel mehr gibt als „Mann“ und „Frau“, und diese Zonen höchst individuell sind, sondern auch, dass Menschen nicht mit Bedienungsanleitung geliefert werden. Wobei: Einen zuverlässigen „Aus“-Knopf gibt’s bei mir. Auf ihm steht „Entitlement“ und er befindet sich da, wo über meine qua Berufsehre angeblich verpflichtende Dauer-Lüsternheit spekuliert wird. „Du tust doch sonst immer so offen“, heißt es da, und „von dir hätte ich anderes erwartet“.

Long story short: eine Buchpromotour mit 13 Lesungen und 32 Interviews ist jetzt nicht der beste Zeitraum der Welt, um (m)eine Libido zu haben. Es ist genau, wie diese leicht untergriffigen Fragen – die eigentlich standardmäßig von Cis-Männern kommen – vermuten lassen: Entweder man hat Sex, oder man redet darüber, höhö. Und ich rede momentan wirklich sehr viel darüber. Aber ganz ehrlich: so what? Je älter ich werde, umso besser schaffe ich es, meinen Selbstwert nicht daran zu koppeln, wer gerne mit mir ins Bett möchte.

Meine Erfahrungswerte zeigen: Hat ja schon das ein oder andere Mal relativ gut funktioniert. Die Chancen, dass es wieder klappt, stehen also nicht schlecht. Da kann man sich zwischendurch ruhig auch mal ein bisschen aufs Reden fokussieren – bis das Wort „Karrieremann“ etabliert ist, sollte sich sowieso niemand in die eigenen Lebensentscheidungen reinquatschen lassen. Abgesehen davon weiß ich, und zwar auch von Berufs wegen: Es denken, statistisch gesehen, wirklich so ziemlich alle Menschen, dass alle anderen sehr viel mehr Sex haben als sie selbst. Soweit also alles im grünen Bereich.

Ich bin nicht prüde, ich will einfach nicht

Umso mehr nervt mich Entitlement, wenn es von vermeintlich sexpositiver Seite im Missionarstonfall an mich herangetragen wird. „Muss nur mal wieder ordentlich durchgebumst werden“, kommt jetzt auch in biologisch abbaubarer Glitzerschminke und veganen Leder-Harnesses daher. Meine mitunter auch negativen Erfahrungen, von denen ich ebenfalls berichte, seien Ausdruck meiner Opferhaltung. „Nicht immer“ seien Männer schuld an allem, ich bräuchte einfach mal einen erfahrenen Guru, noch ein paar Workshops, Lectures und Gangbangs mehr, sollte doch (noch) mal „The Ethical Slut“ lesen, Droge XY ausprobieren („das hat bei mir total viel gelöst“) und nebenbei bitte noch ihre kommende kinky Veranstaltung in einem Yogazentrum in meiner Nähe bewerben.

Leute, wie sag ich’s … I would prefer not to. Diese Zeugen-Jehovas-mäßige Überzeugungsarbeit bewirkt nicht nur bei bei mir nämlich wirklich genau das komplette Gegenteil. Dass ich nicht in einem Batikpareo auf Drogen durch Wald und Wiesen tanzen will, heißt nicht unbedingt, dass ich prüde bin, sondern einfach nur, dass ich gerade nicht in einem Batikpareo auf Drogen durch Wald und Wiesen tanzen will.

Voll okay für jede*n, der*die das gern machen will, übrigens. Versteht mich nicht falsch: Ich plädiere bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür, sich selbst und die eigenen Schamgrenzen auszuloten, sich dafür in neue Kontexte zu begeben, der eigenen Sehnsucht zu folgen und nachzusehen, was sonst noch so geht. Aber, und das kann man nicht oft genug betonen: im eigenen Tempo und nach dem eigenem Lustprinzip.

Sexposititivtät ist nicht gleich Dauergeilheit

Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Prüderie in Richtung einer suggerierten Offenheit zu pushen, funktioniert genau so gut, wie übergewichtigen Menschen zu sagen, sie sollten vielleicht einfach weniger essen, um dünner zu werden. Nämlich, genau: gar nicht.

Vor allem nicht, wenn man die Lebenssituation der Person nicht kennt. Vielleicht braucht sie gerade Abstand, vielleicht ist sie überarbeitet, vielleicht trauert sie, vielleicht hat sie ein Kind bekommen, vielleicht leckt sie Wunden nach einer Trennung – und vielleicht ist es auch einfach mal absolut none of your business, wie sie ihre Sexualität gerade gestalten möchte.

Deswegen hier noch mal kurz der friendly Reminder: Sexpositivität bedeutet nicht, dass wir alle immer, überall und ständig Lust auf Sex mit allen und jedem*r haben müssen. Sexpositivität bedeutet, dass wir vorurteilsfrei eine Bandbreite an sexueller Diversität anerkennen, und zwar unabhängig von unseren persönlichen Vorlieben, Lebensphasen und -entwürfen. Empathie, Akzeptanz und Menschlichkeit – die erogensten Zonen überhaupt.

Anzeige