Der Berufsalltag der Hebamme Anja C. Gaca ist von der Coronakrise betroffen – und mit ihr die Schwangeren und Gebärenden, die sie betreut. Wie soll man guter Hoffnung sein in der Krise? Ein Protokoll.
Videotelefonate statt persönlicher Austausch
Ich weiß gar nicht mehr, wann Tag X war, an dem alles anders wurde. Es kam irgendwie schleichend, dass sich meine Arbeit als Hebamme verändert hat. Noch vor wenigen Wochen sah mein Berufsalltag so aus: Hebammenkoffer schnappen und auf zum Wochenbettbesuch. Jetzt reduziere ich Hausbesuche auf das Nötigste. Stattdessen führe ich Videotelefonate im Auto vor unserem Haus. In der Wohnung springen meine vier Kinder in einer Mischung aus Homeschooling und Noschooling herum. Es ist irgendwie immer laut.
Früher habe ich in der Apotheke einfach neues Desinfektionsmittel bestellt, wenn meines zur Neige ging. Heute fahre ich mit meiner Kollegin vom Hebammenverband in die Apotheke an einem gruselig leeren Geisterflughafen. Dort können wir noch ein paar professionelle Atemschutzmasken und vom Apotheker selbst gemischtes Desinfektionsmittel erstehen, um es an die Kolleginnen weiterzugeben. Berufspolitische Ausschüsse finden nur noch online statt: Stundenlange Videokonferenzen mit einem mehr oder weniger stabilen Internet statt persönlichem Austausch.
Die Personalabteilung der Klinik ruft an und fragt, ob ich nicht nur als Hebamme, sondern notfalls auch wieder als Krankenschwester arbeiten würde. Es spielt in diesen Tagen keine Rolle, ob man fast 20 Jahre aus dem Pflegeberuf raus ist: Die Intensivstationen müssen besetzt werden.
Keine Zeit, die Angst zuzulassen
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das alles manchmal nicht ganz schön Angst macht. Aber ich habe gar keine Zeit, die Angst zuzulassen. Denn dann kommt schon die nächste Anfrage von einer Schwangeren, einer Stillenden oder einer Kollegin. Und es gibt viele kleine und große Probleme zu klären.
Manchmal wünsche ich mir einfach nur all die „alten Probleme“ in meinem Hebammenleben wieder. Ich möchte für eine bessere Betreuung der Frauen und für bessere Arbeitsbedingungen der Hebammen kämpfen, statt gegen ein kaum einschätzbares Virus. Dabei wird es jeden Tag krasser.
Ich muss den Frauen jetzt viele Mails schreiben. Ich schreibe vor Hausbesuchen, dass ich gerade hüstele, weil ich Heuschnupfen habe. Ich warne sie vor, dass ich mit Mundschutz komme. Ein Lächeln fällt jetzt weg. Das kann ich zwar machen, aber das sehen die Frauen hinter dem Mundschutz nicht.
Wir Hebammen arbeiten mit unseren Händen. Auch das fällt jetzt weg, die ganze körperliche Ebene. Ich fühle mich immer öfter wie eine Call-Center-Mitarbeiterin. Dadurch wird auch die Betreuung der Frauen schlechter, es fehlen einfach immer mehr Elemente. Es ist ein naher Beruf, das Verhältnis zwischen Hebamme und Frau ist intim. Jetzt darf ich mich nicht mehr an die Bettkante setzen. Das widerspricht allem, was wir sonst tun.
Vergessene Hebammen
In den Planungen der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen wurden die Hebammen vergessen, genau wie die vielen ambulanten Versorgungssysteme, zum Beispiel die Hausärzte*innen oder Pflegedienste. Jedes Bundesland hat eigene Regelungen, das macht es nicht einfacher
In Berlin werden wir dann doch immer wieder gehört. So wurden die Ausnahmeregelungen bei der Verordnung zur Kontaktbeschränkung auf unsere Bitte hin angepasst: Der*die Partner*in kann bei der Geburt dabei sein.
Beim Thema Schutzkleidung stehen jetzt auch die freiberuflichen Hebammen auf der Bedarfsliste – aber wann diese in Berlin ankommt, ist ungewiss. Die Verteilung an die Kolleginnen in ganz Berlin sollen wir als kleiner Berufsverband organisieren. Das wäre eher Aufgabe der Gesundheitsämter, aber auch die sind verständlicherweise am Limit.
Viele Kolleginnen unterstützen uns sehr. Wir versuchen, gemeinsam dafür zu sorgen, dass auch die ambulante Hebammenversorgung nicht zusammenbricht. Manche Hebammen gehen in die Geburtskliniken zurück oder erhöhen dort ihre Arbeitszeit. Viele Hebammen nähen sich Schutzkleidung selbst. Aber das alles kann nicht dauerhaft sein.
Irgendwie kennt man das ja im Gesundheitswesen, wo schon seit geraumer Zeit einiges nicht gut läuft. Es wird ein Danach geben und wir müssen jetzt darüber sprechen, dass es so mit unserem Gesundheitssystem nicht weitergehen kann.
Im Moment geht es darum, die akuten Probleme zu lösen und die Sorgen der werdenden Eltern zu mindern. Ihnen zum Beispiel zu sagen, dass nicht die Bindung zum Kind in Gefahr ist, wenn der*die Partner*in in den ersten Lebenstagen nicht gleich präsent sein darf aufgrund des Besuchsverbot auf der Wochenbettstation. Bindungsaufbau ist ein Prozess und kein „einmaliges Ereignis“.
Idealszenario Geburt
Das Idealszenario für die Geburt und auch die Zeit danach sieht anders aus, als es gerade oft möglich ist. Aber auch vor der Coronakrise hatten wir das nicht immer. Manche Babys kommen zu früh auf die Welt oder müssen aus einem anderen Grund zunächst medizinisch intensiv versorgt werden, so dass sich das erste Kennenlernen und das Bonding verschieben. Trotzdem bauen Kinder auch nach einem schweren Start eine gute Bindung zu ihren Eltern auf.
Auch wenn sich Eltern jetzt Sorgen machen, dürfen sie darauf vertrauen, dass das Bindungssystem recht robust ist. Das kann schon einige Hürden aushalten. Dass der*die Partner*in jetzt in der ersten Zeit etwas außen vor bleibt, ist bestimmt nicht ideal, aber es geht trotzdem. Wir müssen jetzt mehr denn je schauen, was gerade möglich ist. Und dann das machen, was geht.
Ein Problem ist die fehlende Unterstützung von Müttern, die keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung haben. Die sitzen mit Fragen und Sorgen alleine da. Stillgruppen und andere Hilfsangebote fallen oft weg. Ich hatte jetzt einige Anfragen, wo sich Frauen viel zu lange alleine durchgewurschtelt haben, mit zum Teil langwierigen Auswirkungen auf den gesamten Stillprozess.
Die eh schon ungerechte Situation verschärft sich in der Krise: Menschen mit höherem Bildungsstand haben es einfacher bei der Hebammensuche. Sie haben mehr Informationen oder auch bessere technische Voraussetzungen. Jetzt fallen noch viel mehr Frauen durchs Netz. Die Arbeit von Familienhebammen zum Beispiel lebt von den regelmäßigen Terminen in den Familien. Das sind Familien, die sich bei Problemen nicht unbedingt von sich aus melden. Das bleibt jetzt alles auf der Strecke.
Für die Mütter ist es generell und jetzt gerade besonders wichtig, dass sie weg kommen von Schuldgedanken. Die nützen keinem*r etwas und niemand ist Schuld an dieser Situation. Jede Mutter, jedes Elternteil tut das, was geht. Wenn ich keine Unterstützung habe kann ich nur das machen, was mir zur Verfügung steht.
Guter Hoffnung sein
Wichtig ist auch, immer wieder daran zu erinnern, dass die Phase des Elternseins voll guter Hoffnung sein sollte. Trotz anderer Rahmenbedingungen ist es wichtig, dass die Frauen mit Vorfreude auf ihr Baby in die Geburt gehen. Und dass sie anschließend trotz der belastenden äußeren Umstände in ihrer eigenen kleinen hoffentlich glücklichen Babyblase sein dürfen.
Auf den Wochenbettstationen herrscht jetzt richtig Ruhe, weil keine Besucher*innenströme mehr den ganzen Tag ein- und ausgehen. Das ist eigentlich etwas, was wir auch ohne Coronakrise empfehlen: Sich mit dem Kind ins Wochenbett zurückziehen. Nachrichtenflut ausblenden, beim Kind sein, das genießen, guter Hoffnung sein. Diese Aspekte dürfen wir nicht vergessen. Dennoch ist es emotional natürlich hoch belastend, auch die liebsten Menschen in diesen ersten Tagen nicht sehen zu dürfen. Dadurch fällt oft eine wichtige familiäre Unterstützung weg.
Auf der einen Seite sehe ich die Sorgen der Familien, auf der anderen Seite die der Hebammen. Kolleginnen, die bereit sind aus der Elternzeit wieder einzusteigen, müssen abwägen, ob das mit den hohen im Voraus zu zahlenden Versicherungskosten überhaupt machbar ist. Hier wäre eine unkomplizierte staatliche Lösung hilfreich, um mehr Hebammen zu gewinnen.
Von der einen Sorge zur nächsten
Gerade habe ich noch ein bisschen Desinfektionsmittel und noch eine halbe Packung Handschuhe. Woher bekomme ich neues Material, wenn das alle ist? Die Preise für alle hygienisch relevanten Verbrauchsmittel sind astronomisch in die Höhe geschossen. Wir bekommen sie nicht von den Krankenkassen erstattet, weil es als Teil unserer erforderlichen Ausstattung gilt. Somit steigen auch die Ausgaben für die beruflichen Nebenkosten gerade munter an. Noch geht es. Aber ich weiß nicht, wie lange noch.
Noch geht es. Aber ich weiß nicht, wie lange noch.
Hebammen haben – wie viele Fachkräfte im Gesundheitswesen – ja eh ein gewisses Helfer*innensyndrom. Also sehe ich jetzt auch in unserem Bereich überall Kolleginnen, die zum Teil über ihre Kräfte hinaus arbeiten. Eine Zeit lang ist das sicher machbar. Aber ich frage mich auch, wie geht es weiter nach Corona? Wenn keine*r mehr Bock hat zu klatschen.
Wie werden die Krankenkassen aufgestellt sein? Wie ist dann die Wertschätzung für die Rewe-Verkäuferin? Es sind so viele Berufe unterschätzt. Niemand hat gerade Kapazität, sich mit den eigentlichen zu Grunde liegenden Problemen zu beschäftigen.
Es ist immer nur akutes Handeln. Ich hangele mich ja auch von Tag zu Tag. Ich habe so viele Anfragen von Schwangeren oder für Stillberatungen. Werden die Stillraten in den Keller gehen? Was ist mit dem Erkennen von psychischen Erkrankungen wie der Wochenbettdepression? Ich habe das bei Auffälligkeiten im Wochenbett bisher oft von mir aus angesprochen. In den seltensten Fällen kommt eine Frau zu mir und spricht das selbst an. Und dafür sind wir Hebammen ja auch da. Das rutscht jetzt alles durch. Und sehen die Eltern, wenn das Kind eine verstärkte Neugeborenengelbsucht entwickelt?
Die Frauen, mit denen ich arbeite, rennen von einer Sorge zur nächstes. Und ich auch.
Anja Constance Gaca arbeitet als freiberufliche Hebamme sowie in einer Klinik. Berufspolitisch ist sie 2. Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes. Die Autorin mehrerer Elternratgeber ist Mutter von vier Kindern und bloggt auf vonguteneltern.de.
Anmerkung der Redaktion: Da es sich um das journalistische Format Protokoll handelt, haben wir den Wortlaut beibehalten – weisen aber daraufhin, dass nicht ausschließlich Frauen von Hebammen betreut werden, sondern alle Menschen mit Uterus.