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Wie mir meine Hebamme alle Ängste vor der Geburt genommen hat

Ein Liebesbrief an meine Hebamme, die mir ein schönes Geburtserlebnis ermöglicht hat.

Liebe Hebamme,

bevor ich schwanger wurde, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals in der Lage sein würde, ein Kind nicht nur auszutragen, sondern auch mit meiner eigenen Kraft zur Welt zu bringen. Ich war nie besonders beweglich oder geschickt, mein Körper schwächlich, mein Geist wenig motiviert, wenn es um sportliche Höchstleistungen ging. Die vielen Horrorgeschichten meiner Freundinnen von Schmerzen, Traumata oder Gewalt bei der Geburt hatten mich sogar so weit gebracht, einen Wunschkaiserschnitt in Erwägung zu ziehen.

Als ich in der achten Woche schwanger war, traf ich jedoch dich. In deiner Hebammenpraxis, in der ich mich sofort wie zu Hause fühlte, hast du mich und meinen Mann herzlich empfangen. Wir waren sofort beim „Du“ und du hörtest dir alles an, was ich zu den Themen Geburt und Schwangerschaft zu sagen hatte, meine Ängste, meine Zweifel – bis zum Schluss. Dann erklärtest du mir, wie eine Betreuung durch dich aussehen, eine Geburt von dir begleitet, im besten Falle ablaufen würde: spontan, vielleicht sogar ohne Periduralanästhesie. Ich verzog das Gesicht, sicher, dass es dazu in meinem Fall wohl niemals kommen würde. Doch ich sagte erstmal nichts.

Reicht uns eine Beleghebamme an Betreuung aus?

Als wir nach über einer Stunde deine Praxis verließen, diskutierten mein Mann und ich eine Zeit lang über das Für und Wider einer Betreuung durch eine Beleghebamme. Die Frauenärztin würden wir dann nur zu drei Ultraschallterminen sehen, die restlichen Untersuchungen würdest du in deiner Praxis durchführen – reichte uns das? Wir beide hatten uns mit dir sofort wohl gefühlt, meine Frauenärztin hingegen fanden wir schon immer etwas seltsam – und so entschieden wir, uns gemeinsam mit dir ins Abenteuer Geburt zu stürzen.

Du nahmst mir die Angst vor der Geburt

Während der verbleibenden acht Monate sah ich dich mehrmals im Monat, zu Vorsorgeuntersuchungen und Geburtsvorbereitungskursen, zu Treffen, in denen du uns erklärtest, wie man ein Baby wickelt, badet und stillt, wir übten
„Hypnobirthing“ und schrieben uns sogar für einen mehrstündigen Haptonomiekurs bei dir ein – das volle Programm. Oft schlossen wir die Treffen mit Entspannungsübungen ab, die ich auch zu Hause weitermachte. Immer wieder zerstreutest du meine Ängste, erklärtest und zeigtest mir auf
unterschiedlichste Weisen, dass mein Körper sehr wohl dazu in der Lage sei,
eine Geburt durchzustehen. Meinen Mann, der bei fast allen Terminen anwesend war, hattest du längst von meinem Können überzeugt, und auch er motivierte mich, und versuchte, mir meine Ängste zu nehmen.

Als einen Tag vor Geburtstermin die Wehen einsetzten, konnte ich es kaum glauben. Zu meiner Mutter sagte ich: „Ich glaube, ich bekomme meine Menstruation“. Sie antwortete: „Nein, mein Schatz, ich glaube, du bekommst du ein Baby.“

Die Geburt begann mit einem Hausbesuch

Entspannt legte ich mich mit einer Wärmflasche ins Bett. Irgendwann schrieb ich meinem Mann, er könne jetzt langsam aus dem Büro nach Hause kommen. Am Abend riefen wir dich auf deinem Nottelefon an. Die Wehen kamen regelmäßig, aber waren aushaltbar. Du schlugst vor, erst einmal zu uns nach Hause zu kommen und mich zu untersuchen. Eine halbe Stunde später warst du da, völlig entspannt, in gemütlichen Leggings gekleidet. Du untersuchtest mich und ich, die immer noch nicht ganz davon überzeugt war, dass unser Sohn in den kommenden Stunden zur Welt kommen würde, fragte dich, ob es nicht doch ein Fehlalarm wäre. Du lachtest liebevoll und schlugst mir vor, ein Bad zu nehmen.

Während ich badete und die Wehen stärker wurden, wicht du und mein Mann nicht von meiner Seite. Nach drei Stunden stand ich aus der Badewanne auf und sagte, dass ich nun doch gern ins Krankenhaus fahren würde. Du untersuchtest mich noch einmal – der Muttermund war bereits mehrere Zentimeter geöffnet. Wir machten uns auf den Weg, mein Mann und ich vornweg, du hinterher. Die vierzig Minuten zum Krankenhaus kamen mir wie eine Ewigkeit vor, ich verfluchte jede Ampel, jede Straßenbahnschiene, die wir überqueren mussten. Neunundzwanzig Wehen später waren wir da und ich rief dir schon von weitem zu, dass ich nun doch gern eine Periduralanästhesie hätte.

Auch im Kreissaal warst du die ganze Zeit für mich da

Ich wurde sofort in den Kreissaal gefahren und eine Stunde später lag ich, die Anästhesie im Rücken, wieder recht entspannt im Bett und das Warten begann. Du erklärtest uns von A bis Z, was auf uns zukommen würde, wie die Geräte funktionierten, was wir wann zu tun hätten. „Wenn du das Gefühl hast, du musst zur Toilette, und ich bin gerade nicht da, dann ruf mich. Das sind die Presswehen.“

Sieben Stunden, ein kleines Nickerchen, einen Katheter und einen Blasensprung später setzten die Presswehen ein. Du und eine zweite Hebamme halft mir von einer Position in die andere, feuertet mich an, wischtet diskret die unterschiedlichsten Körperausscheidungen weg, die aus mir herausströmten. Meinen Mann bugsiertest du um mich herum, gabst ihm geduldig Anweisungen. Du hast ihn voll und ganz ins Geschehen integriert. Als sich der Herzschlag unseres Sohnes verlangsamte, sagtest du, ruhig aber bestimmt, und in der Annahme, dass wir den Monitor mit den Herztönen nicht im Auge hatten: „Ich glaube, der Kleine ist jetzt bereit geboren zu werden.“

Wenige Minuten später war er da, unser Sohn: verrunzelt, blutig und klitzeklein. Als er eingekuschelt in ein weißes Tuch und mit seinem kleinen Mützchen auf mir lag, kam die Plazenta, die du uns jubelnd wie einen ausgebreiteten Lappen
entgegenhieltest: „Wie schön, deine Plazenta hat eine Herzform!“ Spätestens da mussten mein Mann und ich über die Absurdität des Moments lachen und mir kamen die Tränen – und, seien wir ehrlich, nicht aus Rührung oder aus Ehrfurcht im Angesicht dieses gewaltigen Augenblickes, sonders aus Erleichterung und Dankbarkeit Dir gegenüber.

Warum erkennt die Gesellschaft deine Leistung so wenig an?

Die Tatsache, dass du da warst, hat mich gerettet: Meine Ängste waren wie weggefegt, ich fühlte mich stark mit dir an meiner Seite. Kein*e Ärzt*in hat mir jemals ein solches Gefühl gegeben.

Leider hatten nur wenige meiner Freundinnen das Glück, eine ebenso positive Geburt erleben zu dürfen. Das Problem, überhaupt eine Beleghebamme zu finden, langes Warten in Krankenhäusern, trotz starker Wehen oder sogar an der Tür abgewiesen werden, häufig wechselndes Pflegepersonal, ruppige Ärzt*innen, medizinisch nicht notwendige Kaiserschnitte – all dies ist an der Tagesordnung in deutschen Geburtskliniken. Dabei könnte es so einfach sein, wenn unsere Gesellschaft Hebammen und Geburtshelfern endlich den Respekt zollen würde, der ihnen gebührt, durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen, eine Erhöhung der Gehälter, bezahlbarere Berufshaftpflichtversicherungen. Mein Geburtserlebnis hast du gerettet.

Titelbild: www.depositphotos.com

Passend zu diesem Thema hat unsere Redakteurin Lisa Seelig ein Interview mit der Regisseurin Carola Hauck zu ihrem Film „Die sichere Geburt” geführt. Am 11.10. ist „Die sichere Geburt“ um 19 Uhr im City Kino Wedding zu sehen. Hier findet ihr Termine in weiteren Städten.

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