Am 25. November ist der Roses Revolution Day. Mütter erinnern daran, dass ihnen bei der Geburt ihres Kindes Gewalt angetan wurde. Unsere Community-Autorin beschreibt ihre Erfahrung und hat mit Expertinnen gesprochen.
Wenn die Geburt seelische Narben hinterlässt
Heute ist der 25. November. Es ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und gleichzeitig der Roses Revolution Day. Es ist der Tag, an dem Frauen eine rosa Rose niederlegen vor der Tür des Kreißsaals, in dem sie Gewalt erlebt haben.
„Weinen hilft dir jetzt auch nicht“, sagt die Hebamme. Ich will aber weinen. Ich kann nicht fassen, was mir gerade geschieht. Ich liege auf einer breiten Liege in einem kleinen stickigen Raum. Ärztinnen kommen rein, reden so, dass ich sie nicht verstehe und gehen wieder aus dem Zimmer, ständig fingert die Hebamme in meiner Scheide herum. „Das reicht nicht“, sagt sie. Und: „Das wird so nichts“. Sie meint die Öffnung meines Muttermundes. Seit Stunden höre ich mir an, dass ich das hier anscheinend schlecht mache. Dabei will ich nichts lieber, als meine Tochter zur Welt zu bringen, damit diese Hölle endlich vorbei ist.
Ich bin schon längst nicht mehr Herrin des Geschehens. Man hat mir einen Wehentropf verpasst, der die Wehen ankurbeln soll, und eine PDA, die die Schmerzen lindern soll. Beides habe ich abgenickt, die Hebamme nannte keine Alternativen. „Du bist ja nicht gerade schmerzresistent“, hat sie gesagt. Die PDA lähmt meinen gesamten Körper von der Hüfte an, trotzdem empfinde ich furchtbare Schmerzen durch den Wehentropf. Wie bin ich in diese Situation gekommen? Ich habe doch eine Beleghebamme, ich kannte die Frau vorher. Sie hat immer von meinem „Mäuschen“ gesprochen, wenn es um mein ungeborenes Kind ging. Sie wirkte so nett. Jetzt, wo meine Tochter auf die Welt kommen soll, macht sie mich fertig.
Eingriffe lohnen sich für die Kliniken
Christina Mundlos hat genau dazu geforscht. Die Soziologin hat ein Buch geschrieben: „Gewalt unter der Geburt: Der alltägliche Skandal“. Sie erklärt das Verhalten vieler Hebammen so: „Sie bekommen den Druck von oben. Schon in der Ausbildung erleben sie, wie Frauen Gewalt angetan wird und, wenn sie das nicht reflektieren, werden sie selber zu Täterinnen.“ Mundlos will aber nicht den Hebammen Schuld geben. „Wir haben eine komplette Fehlfinanzierung im Gesundheitssystem. Es werden aus finanziellen Gründen Eingriffe vorgenommen, die medizinisch nicht notwendig sind.“ Mit interventionsfreien Geburten, beispielsweise ohne Kaiserschnitte und Dammschnitte, würden Kliniken rote Zahlen schreiben. Ich habe bei meiner Krankenkasse nachgefragt: Über 3.000 Euro hat die Klinik für die Geburt meiner Tochter bekommen.
Ich habe mich nie auf die Geburt meiner Tochter gefreut. Ich hatte immer Respekt davor. Aber ich dachte: Ich werde das schon irgendwie hinter mich bringen und dann ist meine Tochter da. Dann ist alles gut. Das war ein Irrtum. Die Erniedrigung während der Geburt, die Respektlosigkeit, das Gefühl, nicht beteiligt zu sein, all das hat mich traumatisiert. Woran ist das gemerkt habe? Ich hatte jede Nacht Schweißattacken und Albträume. Ich war nicht glücklich mit meiner Tochter. Ich fühlte einfach nichts.
Die Folgen: posttraumatische Symptome
„Viele Frauen zeigen ganz eindeutige posttraumatische Symptome: Flashbacks, das Wiedererleben von Gefühle, Geräuschen und Gerüchen, die aus der Situation der Traumatisierung kommen. Die Frauen sind sehr schreckhaft, haben Albträume, unerklärliche Wutanfälle und schwere Schlafstörung, die zu Depressionen führen können“, erklärt Tanja Sahib. „Es ist vorbei – ich weiß es nur noch nicht: Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen“ heißt ihr Buch, in dem die Traumatherapeutin und Psychologin die Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen beschreibt. Sahib arbeitet seit über zehn Jahren mit Frauen wie mir. Für sie ist klar: „Geburt ist ein sehr gefährlicher Zustand, einer der gefährlichsten im Leben einer jungen Frau.“ Hinzu kommt: „Die Gebärende kann zu einer Statistin werden, umgeben von handelnden Personen. Das ist per se traumatisierend“, sagt Tanja Sahib. Gut ist es, wenn die Frauen zu ihr in die Beratungsstelle in Berlin-Pankow kommen, entweder zu Einzelgesprächen oder in eine Gruppe, in der die Frauen von ihren traumatisierenden Erfahrungen sprechen können. „Die Frauen brauchen Gespräche mit jemanden, der immer wieder zuhören kann. Und das finden sie meist nicht, wenn die Partner auch traumatisiert sind oder sich denken: Was hat sie denn nur? Sie ist doch gesund und das Kind ist gesund, warum redet sie immer wieder über die Geburt?“, erklärt Sahib.
Im Kreißsaal: Irgendwann bringe ich meine Tochter zur Welt. Ich weiß nicht mehr, wie. Nur, dass mir alles egal ist. Die Hebamme legt mir meine winzige Tochter auf den Bauch. Unbändige Freude? Fehlanzeige. Mein Mann weint. Er ist so berührt und glücklich. Ich liege nur da. Dann spüre ich immer noch einen Schmerz in meiner Scheide. Ich gucke zu den Ärztinnen, die noch immer zwischen meinen Beinen hantieren. „Was machen Sie da?“, frage ich. Eine sagt: „Wir mussten schneiden. Jetzt nähen wir.“ Ein tiefer Schnitt in meine Scheide – ohne zu fragen, ohne mir etwas zu sagen. Laut Klinik ist das bei Saugglockengeburten normal. Auch, dass sie die Frauen darüber nicht informieren.
Wie sich Gebärende schützen können
Die Soziologin Mundlos hat sich die Zahlen dazu angeschaut und stellt fest, dass ich ein ganz normaler Fall bin. „Bei 40 bis 50 Prozent aller Geburten werden die Frauen bedroht oder beleidigt oder gegen ihren Willen aufgeschnitten“, sagt sie. Dazu vergleicht sie die Zahlen der Eingriffe in Kliniken mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WTO). Ein Beispiel: Die Dammschnittrate liegt in deutschen Kliniken inzwischen bei rund 24 Prozent, die WHO geht davon aus, dass diese nur bei fünf Prozent der Geburten nötig wären. Quantitative Erhebungen zu den Beleidigungen und Bedrohungen während der Geburt gibt es nicht. „Ich rate Schwangeren, sich im Vorfeld mit allen Eingriffen, die möglich sind, zu beschäftigen und eine Freundin, die ebenfalls Mutter ist oder eine Doula, die speziell dafür ausgebildet ist, mit in den Kreißsaal zu nehmen.“ Das hätte ich gebraucht. Jemanden, der sich um mich kümmert, fragt wie es mir geht. „Die werdenden Väter sind meist selbst überfordert“, sagt Mundlos. Mein Mann dachte: Das hier sind die Fachleute, die wissen schon, was am besten für meine Frau ist. Ein nachvollziehbarer Gedanke.
Warum hat diese Hebamme mich so fertig gemacht? Warum habe ich bei der Geburt meiner Tochter keine Rolle gespielt? Warum musste ich so leiden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: In der Geburtshilfe in Deutschland läuft vieles falsch. Jede Frau sollte das Recht auf eine selbstbestimmte Geburt haben. Auch ich werde heute in die Klinik gehen und eine rosa Rose niederlegen. Das Foto werde ich auf die Facebook-Seite der Roses Revolution Deutschland stellen. Und ich werde viele Kommentare, Fotos und Geburtsberichte anschauen und sehen: Ich bin nicht alleine mit diesem Schicksal.
Titelbild: Kala Bernier – Flickr – CC BY 2.0
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