Foto: Pixabay

Wer darf entscheiden, wie wir gebären?

Hebammen werden weiter ins berufliche Aus gedrängt. Doch eine gute Versorgung von Familien rund um die Geburt ist ohne sie undenkbar.

 

Krankenkassen wollen die Möglichkeit außerklinisch zu gebären einschränken – was bedeutet das?

Deutschland gilt als ein Land, in dem in Relation zur Bevölkerung nur wenige Kinder geboren werden. Dennoch sind es im Schnitt über 1.800 Babys, die jeden Tag hier auf die Welt kommen. Sie werden in Krankenhäusern geboren oder Zuhause, in einem Geburtshaus oder manchmal schon auf dem Weg zu dem Ort, an dem die Eltern ihr Kind in Empfang nehmen möchten. In ländlichen Gegenden passiert dies häufiger, denn Geburtsstationen schließen, die Wege werden weiter und immer mehr Hebammen müssen aus wirtschaftlichen Gründen ihren Beruf aufgeben. Frauen, die auf Sylt leben, wird empfohlen zwei Wochen vorher auf dem Festland eine Unterkunft zu beziehen, damit sie bei ihrer Geburt professionell unterstützt werden können. Sieht so Geburtshilfe in einem modernen Land aus, in dem das Kinderkriegen wieder attraktiver werden soll? Ein Kommentar zum jährlichen Internationalen Hebammentag am 5. Mai.

Die Wahlfreiheit bei Geburtsvorbereitung und Geburtsort wird durch die Berufsaufgabe von Hebammen zunehmend eingeschränkt. Nun planen die Krankenkassen außerdem die außerklinische Geburt zu einer Privatleistung zu machen, was die Entscheidung über den Geburtsort noch stärker als zuvor zu einer Kostenfrage machen würde. Zwar ist in Deutschland das Krankenhaus der bevorzugte Ort um ein Kind zu bekommen, doch da eine Geburt kein Vorgang ist, der unmittelbar ärztliche Assistenz braucht, spricht viel dafür, dass Schwangere den Ort und die Menschen, die sie bei der Geburt begleiten bewusst auswählen möchten. Viele wünschen sich, dass ihre Geburt nicht nur sicher ist, sondern auch in einer geborgenen Atmosphäre geschieht.

Die Auseinandersetzung mit der Geburt beginnt vor dem Kreißsaal

Wer argumentiert, dass bei Geburten im Vordergrund steht, dass Mutter und Kind im Notfall schnell medizinisch versorgt werden können, ist vielleicht besser beraten sich nur zu Blinddarmoperationen zu äußern. Eltern gehen nicht in den Kreißsaal, gebären, und gehen wieder hinaus. Die Vorbereitung auf die Geburt beginnt schon Monate vorher, das Ereignis selbst wirkt auf die erste Zeit mit dem Kind und damit auf die Beziehung zu ihm und vielleicht auch auf die Beziehung der Eltern zueinander.

Diejenigen, die Eltern und Babys in der Zeit vor, während und nach der Geburt häufig am intensivsten begleiten, sind Hebammen. Die Versorgung von Müttern durch Hebammen ist sogar im Sozialgesetzbuch geregelt. Doch gesetzliche Verankerung der Hebammenhilfe kann nicht mehr erfüllt werden, wenn der politische Wille fehlt, den Beruf zu bewahren und Familien diese Hilfe weiterhin zur Verfügung zu stellen. Schon jetzt ist es so, dass nicht jede Schwangere die Hebammenversorgung findet, die sie sich wünscht.

Die Vorbereitung auf die Geburt meiner Tochter begann etwa in der zehnten Woche meiner Schwangerschaft. Ich traf mich mit einer Hebamme, denn ich wusste, dass ich Schwierigkeiten bekommen könnte eine zu finden, wenn ich zu lange warten würde. Dabei ist die Versorgungssituation in Berlin im Vergleich zu ländlichen Gebieten geradezu luxuriös. Trotz einiger Schließungen gibt es hier noch mehrere Geburtshäuser. Die Hebamme sagte zu mir: „Wenn Du eine Beleghebamme willst, musst du dir jetzt eine suchen, sonst findest du keine mehr.“ Ich schaute sie perplex an und dachte in mich hinein: „Wie will ich jetzt, wo ich kaum realisiert habe, dass ich schwanger bin, überhaupt wissen, wie ich mein Kind bekommen möchte?“

Wer begleitet die Mütter?

Sich eine Beleghebamme zu suchen bedeutet, dass diese Hebamme dich in ein Krankenhaus, mit dem sie einen Vertrag hat, zur Geburt begleiten wird. So wird eine Person, die du und dein Partner oder deine Partnerin über mehrere Monate kennenlernen könnt, im Kreißsaal dabei sein. Ohne Beleghebamme wird die Geburt durch Klinikpersonal betreut, dass du vielleicht in einem Vorgespräch kennengelernt hast oder du noch gar nicht kennst. Bei Schichtwechsel wechselt auch die Hebamme. Wer sich für ein Geburtshaus oder eine Hausgeburt entscheidet, kann eine oder mehrere Hebammen ebenfalls in der Schwangerschaft kennenlernen, die um den Geburtstermin herum in Rufbereitschaft sind und bei der Entbindung dabei sind. Der Nachteil daran ist, dass sie im Falle einer Verlegung ins Krankenhaus selten mit dabei sind, weil die wenigsten gleichzeitig als Beleghebamme arbeiten. Bei einer spontanen Verlegung wird man also auch auf neue Hebammen treffen.

Ich wünsche jeder Schwangeren und allen, die miteinander ein Kind bekommen, die Begleitung durch eine Hebamme, der sie vertrauen. Dass Frauen in Deutschland ein Recht auf sie haben, hat gute Gründe. Was verloren ginge, wenn nur noch Gynäkologinnen Schwangere beraten und untersuchen würden, lässt sich mit den Maßstäben des Gesundheitssystems nicht messen. Deswegen hat die Bewahrung des Hebammenberufes vor allem frauen- und familienpolitische Implikationen. Höre ich Gesundheitspolitiker wie Jens Spahn oder den Gesundheitsminister Hermann Gröhe über das Thema sprechen, werde ich wütend, mir vergeht dabei auch die Lust auf ein weiteres Kind, da es wahrscheinlich ist, dass Frauen bald nicht mehr wählen können, ob sie ihr Kind in einem Krankenhaus, in einem Geburtshaus oder sogar Zuhause bekommen wollen. Bei der Hebammenversorgung geht es um weit mehr als sichere Geburten. Und mein Eindruck ist zunehmend, dass Schwangere von politischer Seite aus nur noch aus ökonomischer Sicht behandelt wird, aber nicht aus einer menschlichen.

Die Hebamme als Vertraute

Das Vertrauensverhältnis, was zwischen einer Schwangeren und einer Hebamme in der Zeit der Geburtsvorbereitung entstehen kann, ist von unschätzbarem Wert. Eine Hebamme kann von Gesundheitsdaten, die gesammelt und ausgewertet werden, um werdenden Eltern in der Form medizinischer Wahrscheinlichkeiten Sicherheit zu suggerieren, nicht ersetzt werden. Denn: Schwangerschaft ist nicht an erster Stelle ein Fall für die Medizin, sondern für die Gesellschaft. Eine gute psycho-soziale Begleitung kann schon in der Schwangerschaft viel für die spätere Beziehung von Eltern und Kindern tun – oder schlicht für die Schwangere wichtig sein. Seelische Gesundheit ist in aller Munde – doch Krankenkassen bezahlen in der Arztpraxis nur die Blutdruckmessung, jedoch keine Zeit fürs Zuhören.

Kaum eine Ärztin kann sich eine Stunde für eine Vorsorgeuntersuchung nehmen, die wenigsten sind auf dem Handy oder per Mail persönlich zu erreichen, die wenigsten tun das, was eine wirkliche Beratung ist, sondern arbeiten eben ab, was die Krankenkassen bezahlen. Hier machen Hebammen den wichtigen Unterschied. Eine gute Betreuung von werdenden Eltern vor der Geburt, eine selbstbestimmte Geburt und eine gute Versorgung im Wochenbett senken zudem das Risiko von traumatischen Geburten oder von postpartalen Depressionen, die das Kind, die Mutter und auch Väter belasten können. Geburtshilfe, die ihren Auftrag auch in guter psycho-sozialer Vorsorge und Nachsorge sieht, sollte damit auch ein wirtschaftliches Argument für Krankenkassen sein.

Haben wir eine Wahlfreiheit?

Wahlfreiheit in der Geburtshilfe gibt es für Frauen schon jetzt nicht.
Eine wirkliche Wahl zu haben fängt schon dabei an, welche Informationen erhältlich sind und welche Bilder Vorstellungen von Geburten festigen. Die typische Frage, die werdenden Eltern gestellt wird, ist: „In welches Krankenhaus geht ihr?“ Babys werden in Deutschland in Krankenhäusern geboren. Das ist mit Sicherheit das dominierende Bild, wenn man Menschen jeglichen Alters auf der Straße befragen würde.

Ein Kind im Krankenhaus zu gebären ist in der Tat auch die Variante, die am leichtesten zu planen ist – und die kostengünstigste. Dass ein Krankenhaus der Geburtsort sein soll, ist damit eine nahe liegende Wahl, oder schlicht die einzig mögliche. Zum einen fehlen die Angebote, zum anderen kostet die außerklinische Geburt schon jetzt mehr als die Geburt im Krankenhaus.

Ich bin im Laufe meiner Schwangerschaft zu der Entscheidung gekommen, dass ich mein Baby gern „außerklinisch“ bekommen würde – so heißt dann der Fachbegriff. Nachdem wir ein Geburtshaus gefunden hatten, das freie Plätze hatte (auch das wird mit der zunehmenden Berufsaufgabe von Hebammen schwieriger), ergab sich mit den Wochen außerdem der Wunsch, das Kind Zuhause zu bekommen.

Freiheit mit einem hohen Preis

Aus dieser Entscheidung ergeben sich Mehrkosten wie die Vorbereitung der Wohnung, vor allem aber die Rufbereitschaft der Hebamme, die von der 38. Schwangerschaftswoche bis zwei Wochen nach dem errechneten Entbindungstermin jederzeit für die Schwangere zu erreichen ist, und zur Geburt kommen wird. Die Rufbereitschaftspauschale müssen alle bezahlen, die entweder eine Hausgeburt möchten, eine Geburt im Geburtshaus oder eine Beleggeburt – also eine in der Klinik mit der Hebamme ihrer Wahl. Die Rufbereitschaftspauschale entfällt bei Krankenhausgeburten, bei denen den Gebärenden die diensthabende Hebamme zugeteilt wird.

Die Rufbereitschaftspauschale meiner Hebamme betrug 450 Euro. Sie ist keine gesetzliche Kassenleistung, einige Krankenkassen übernehmen jedoch freiwillig eine Beteiligung daran. Ich hatte Glück bei einer Kasse zu sein, die 250 Euro von diesem Betrag übernimmt.

Ob diese Summe als starke Belastung empfunden wird, hängt an der jeweiligen ökonomischen Situation der Eltern. Sie ist in jedem Fall eine Zusatzbelastung zu all den anderen Anschaffungen für ein Baby, die schon vor der Geburt bezahlt werden müssen. Die Rufbereitschaftspauschale kann damit aber auch ein Kostenpunkt sein, den Eltern sich nicht leisten können. Damit endet hier dann auch die „Wahlfreiheit“ beim Geburtsort spätestens aus finanziellen Gründen, wenn sie nicht schon zuvor daran gescheitert ist, dass am eigenen Wohnort keine Hebammen mehr tätig sind, die Hausgeburten anbieten und es auch keine Geburtshäuser gibt.

Was ist teurer?

Was mich an der persönlichen Kostenbeteiligung an der Hausgeburt besonders irritiert: Eine Geburt – wenn sie Zuhause stattfinden kann und keine Verlegung in ein Krankenhaus erforderlich sein wird – wird eine Krankenkasse weitaus weniger Geld kosten als die Geburt in einer Klinik. Für eine Hausgeburt kann eine Hebamme aktuell gegenüber der Kasse 694,58 Euro abrechnen, für die Hausbesuche an den Tagen danach jeweils 31,28 Euro, für die Erstuntersuchung des Babys 8,59 Euro. Allein an diesen Summen wird klar, dass Hebammen für die wichtige Arbeit die sie leisten viel zu schlecht bezahlt werden.

Bei komplikationsfreien Hausgeburten sparen Krankenkassen eine nicht unwesentliche Summe Geld ein – und verlangen trotzdem eine Kostenbeteiligung an der Rufbereitschaftspauschale. Nun deutet sich außerdem an, dass Krankenkassen gänzlich aus der außerklinischen Geburtshilfe aussteigen wollen.

Eine Gesundheitspolitik, die Hebammen bewusst dazu drängt nach und nach die Geburtshilfe aufgeben zu müssen und zudem Gebärende für ihre Entscheidung, wie sie Kinder bekommen möchten, unterschiedlich zur Kasse bittet oder Haus- und Geburtshausgeburt abschafft, nimmt Eltern ein ganzes Stück Selbstbestimmung weg. Entscheiden können sie dann nicht mehr, wo sie ihr Kind bekommen möchten. Ob diese Entwicklung unbedingt mehr Lust darauf macht, überhaupt Kinder zu bekommen? Ist das unser Bild von fortschrittlicher Familienpolitik? Und wie war das eigentlich mit der Wahlfreiheit?

Erstklassige Geburtshilfe ist notwendig

Zu den guten politischen Rahmenbedingungen für Eltern und Kinder gehört eben auch eine erstklassige Geburtshilfe. Dazu gehören nicht nur Kliniken, die bei Notfällen wichtig sind, sondern auch Hebammen, die eine eigene und wichtige Rolle vor, während und nach der Geburt haben. Eine außerklinische Geburt muss weiterhin möglich sein und sie darf nicht teurer als Klinikgeburten sein. Geburten vollständig in Krankenhäusern zu verorten, ist nicht nur gesellschaftlich ein Rückschritt, da es die Selbstbestimmung bei diesem Ereignis unmöglich macht, auch medizinisch ist es eine fragwürdige Entwicklung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert die steigende Anzahl von Kaiserschnitten ohne triftige medizinische Indikation schon lange. Dabei ist nicht nur wichtig, dass manche Mütter einen Kaiserschnitt körperlich oder seelisch nur langsam verarbeiten, auch zu den gesundheitlichen Folgen für die so geborenen Kinder wird vermehrt geforscht. Sollten Wissenschaftler in einigen Jahren zum Ergebnis kommen, dass der Trend zum Kaiserschnitt als vermeintlich sichere Geburt Menschen langfristig kränker macht, könnte es für den Hebammen Beruf zu spät sein.

 

Mehr bei EDITION F

Das Beste, was dir passieren kann? Ein Zwischenruf aus dem Leben mit Baby. Weiterlesen

Die große Baby-Angst. Weiterlesen

10 Ideen für eine entspannte Schwanger­schaft. Weiterlesen

„Papa kann auch stillen“. Weiterlesen

Survival-Tipps für eine glückliche Elternzeit. Weiterlesen

Anzeige