Foto: Urban Zintel

„Papa kann auch stillen“

Stefanie Lohaus und Tobias Scholz haben nach der Geburt ihres Kindes entschieden, Job, Haushalt und Betreuung genau 50/50 aufzuteilen – ein Experiment.

Retraditionalisierung der Geschlechterrollen nach der Geburt

Jedes Paar, das Kinder bekommt, steht bald vor der Frage: Wie machen wir das mit unseren Jobs? Wer bleibt wie lange zu Hause? In Deutschland ist es bis heute so, dass es nach der Geburt eines Kindes bei vielen Paaren zu einer „Retraditionalisierung der Geschlechterrollen“ kommt, wie Sozialwissenschaftler das nennen.

Soll heißen: In der Mehrheit der Fälle bleibt die Frau ein Jahr zu Hause, der Vater nimmt maximal zwei Monate Elternzeit (bezeichnenderweise hat sich für diese beiden Monate bereits der Begriff der „Vätermonate“ etabliert). Steffi Lohaus und Tobias Scholz wollten, dass es bei ihnen anderes wird. Schon während Stefanies Schwangerschaft einigten sie sich darauf, es mit dem Prinzip 50/50 zu versuchen, sich also die Arbeit im Haushalt und die Betreuung des Kindes gerecht aufzuteilen und gleich viel zu arbeiten.

Stefanie berichtete in einer Kolumne auf „Zeit Online“ über ihr Modell, das man doch eigentlich heute für selbstverständlich halten sollte und das doch immer wieder auch im Freundes- und Bekanntenkreis erstaunte oder ablehnende Reaktionen hervorrief. Nun erzählen Stefanie und ihr Freund Tobias in einem Buch von ihren Erfahrungen. Steffi ist Gründerin und Herausgeberin des „Missy Magazine“, Tobias ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin. In den nächsten Tagen soll ihre Website zum 50/50-Prinzip online gehen. Wir haben mit Stefanie und Tobias gesprochen, und veröffentlichen einen Auszug aus ihrem Buch.

Was nervt euch bei der „Familienarbeit” “ (sprich bei der Hausarbeit) am meisten, also welche eher ungeliebte Aufgabe würdet ihr am liebsten komplett auf den anderen abwälzen?

Stefanie: „Ich würde ja sagen Bügeln. Davon bekomme ich Rückenschmerzen. Aber wir bügeln beide ja fast gar nichts.“

Tobias: „Einkaufen beziehungsweise Einkaufslisten schreiben. Sich überlegen, was wir an Lebensmitteln brauchen. Da muss man sich immer so früh überlegen, was man an den nächsten Tagen kochen will.“

Welche der Reaktionen, wenn ihr von eurem 50/50-Projekt erzählt habt, hat euch am meisten genervt oder erstaunt?

Stefanie: „Mich nervt es am meisten, wenn Frauen zu mir sagen: ,Jaja, das habe ich auch mal gemacht, aber das war ja so anstrengend. Das ist nur etwas für die Theorie.´ Mich nervt das, weil ich es nicht ausstehen kann, wenn Menschen immer von sich auf andere schließen. Nur, weil es für sie nichts war, heißt das ja nicht, dass es bei mir auch so sein muss. Sie meinen: Wenn man sich eine Zeit lang 50/50 aufteilt und danach wieder anders, dann ist das Modell gescheitert. Das sehe ich ganz anders, die Lebensphasen ändern sich nun mal. Wenn eine Frau nach einer Weile als Hausfrau wieder arbeiten geht, sagt man ja auch nicht, sie sei als Hausfrau gescheitert.“

Tobias: „Erstaunt bin ich, weil es in jeder Hinsicht klappt und sich so viele Routinen gebildet haben. Unser Kind verteilt auch seine Zuneigung und Wut absolut gleich. Was mich nervt, sind die Freunde und Bekannten, die uns als Sonderfall vorstellen und die durchblicken lassen, dass sie es belächeln. Dieses bornierte ,Aber das ginge bei uns nicht´ ohne klare Antwort auf mein ,Warum?´“

Was ist am Kinderhaben am schönsten und was am anstrengendsten?

Stefanie: „Am schönsten: Die unglaubliche Liebe, das Kuscheln mit dem Kind. Festzustellen, dass das Kind von Anfang an ein eigenes unabhängiges Wesen besitzt, dem Kind alles beizubringen. Mit Abstand am anstrengendsten finde ich den Schlafmangel.“

Tobias: „Sich permanent zu freuen und gerührt zu sein. Das eigene Kind mit seinem individuellen Charakter immer besser kennen zu lernen. Und auch, wie sehr das Kind auf einen fokussiert ist, das finde ich auch beängstigend schön. Am anstrengendsten: die Unberechenbarkeit beim Schlaf. Immer wenn ich denke, das Kind tickt jetzt so, dann ändert sich alles wieder. Dass sich wegen des Schlafproblems immer alles verschiebt und es Routinen verhindert.“

Ein Auszug aus einem Kapitel von Tobias in: „Papa kann schon stillen. Wie Paare Kind, Job & Abwasch unter einen Hut bekommen.“, Goldmann Verlag

„50/50 kann alles Mögliche bedeuten, es darf nur nicht wörtlich verstanden werden. Sich ändernde Bedürfnisse des Kindes und die Konstellationen im Job werden es erfordern, dass wir uns immer wieder aufs Neue abstimmen und verhandeln müssen. Ein paar Dinge bleiben natürlich die persönliche Verantwortung von Stefanie oder mir. So kümmert sie sich um unsere Finanzen, ich mache solche Sachen wie Lampen anklemmen, defekte Geräte reparieren oder zur Reparatur wegbringen. Dinge in den Keller tragen oder von dort holen. Sie besorgt oder kauft die meisten Klamotten für Johann. Arzttermine, Kinderturnen etc. sind meine Verantwortung. Es wäre blöd, sich diese Sachen halbe, halbe aufzuteilen, weil das gerade Aufgaben sind, die nicht täglich anfallen. Einige nicht alltägliche Dinge machen wir aber trotzdem beide, weil die nämlich wirklich keinen Spaß machen. Finger- und Fußnägel schneiden etwa.

Was Stefanie und ich uns im Alltag also konsequent aufzuteilen haben, heißt Familienarbeit. Der Begriff hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch noch nicht wirklich durchgesetzt, dabei ist die Sache recht einfach. Familienarbeit ist alles, was unbezahlt im Privaten zu tun ist: Fürsorge und Betreuung des Kindes sowie alle im Haushalt anfallenden Tätigkeiten. Die Bereiche also, die klassisch Domäne der Hausfrau waren, aber natürlich auch die handwerklichen Tätigkeiten, die Männer zu Hause mehrheitlich ausüben, Stichwort Auto, Möbel aufbauen und transportieren und dergleichen. Familienarbeit ist der (unbezahlte) Gegenpart zur (bezahlten) Erwerbsarbeit. Obwohl es sich bei ihr – das geben heute auch die meisten Männer zu – um wirkliche Arbeit handelt, wird damit kaum gesellschaftlicher Status oder Prestige verbunden oder erlangt. Wer einen Beruf oder sogar eine Karriere hat, macht etwas Anständiges, bekommt Anerkennung und wird bezahlt. Familienarbeit ist höchstens aller Ehren oder einen symbolischen Betrag wie das Betreuungsgeld wert, von dem man sich zwei Paar Schuhe kaufen kann.

Das bisschen Haushalt, das wir uns vor der Geburt des Kindes geteilt haben, ist nun zu einem riesigen Berg angewachsen. Dabei schläft der Kleine tagsüber noch recht viel und einiges lässt sich in diesen Zeiten erledigen. Auf einmal gibt es den Job, den Haushalt, die Zeit mit dem Kind, die wir gleich verteilen wollen, und es gibt auch noch unsere Beziehung. Unsere Leben überschneiden sich jetzt auf eine ganz andere, neue Art und Weise. Bisher hat es nie eine Rolle gespielt, wann wer wie lange weg von zu Hause ist, wann man schläft, isst, etc. Jetzt ist da dieser schreiende Zwerg, der uns seinen Rhythmus aufzwingt, obwohl er noch nicht mal selbst essen, geschweige denn laufen oder sprechen kann. Jede bisher angewandte Form von Zeitbudgetierung und -Management versagt.

In den guten Momenten klappt die Aufteilung zu Hause schon ganz ordentlich. Einiges hat sich eingespielt, es gibt gewisse Routinen. So etwas muss sich ja auch erst einmal entwickeln. Es fühlt sich gut an, wenn man sich gegenseitig berichtet, was man alles gemacht hat und demnächst erledigen wird. Nicht anders als eine toll funktionierende Zusammenarbeit im Job. Stefanie und ich beobachten, dass wir nicht mehr alles ganz genau nehmen, sondern dass Effizienz oberste Priorität hat. Während ich noch meine Doktorarbeit geschrieben habe, war ich plötzlich furchtbar penibel, habe dauernd geputzt, nur um mich abzulenken und nicht am Schreibtisch sitzen zu müssen. Von diesem Tick verabschiede ich mich gern. Im Staubsaugerrohr muss es knistern, sonst kann man es auch sein lassen. Der Windeleimer wird geleert, wenn es stinkt. Trockene Wäsche nehmen wir ab, wenn die nasse aufgehängt wird. Vor Johanns Geburt hätte jederzeit unangekündigt der Fotograf vom Einrichtungsmagazin auftauchen können. Mit Kind aber ist es einfach nicht mehr so ordentlich wie vorher. Mal sehen, wie es wird, wenn der Kleine erst überall seine Spielsachen verteilt.

In den schlechten Momenten sind wir, nun ja, nicht besonderes effizient und alles andere als gelassen. Da beobachte ich Stefanie bei allem, was sie macht, und kommentiere alles. Ich finde saubere, freie Flächen in der Küche nun mal schöner, als wenn alles zugestellt ist. Mit der Frage »Wieso räumst du eigentlich dreckiges Geschirr nicht gleich in die Spülmaschine? Soll das erst antrocknen?« lässt sich ein hervorragender Grundstein für einen verkorksten Tag legen. Ohne es zu wollen, habe ich schon das ein oder andere Mal eine Lawine von Vorwürfen losgetreten, die wir uns dann gegenseitig voller Überzeugung hinwerfen und man fragt sich, wo das jetzt auf einmal alles herkommt. Es fallen Sätze, in denen wir »Du« mit »immer« oder »nie« kombinieren. Offensichtlich bilden wir uns beide ein, mit fotografischem Gedächtnis die Pflichterfüllung des anderen dokumentiert und dabei jedes Versäumnis genau registriert zu haben.

Anspruch und Wirklichkeit

In einer Studie der Universität Bamberg wurden Männer und Frauen zur Ermittlung des zeitlichen Umfangs von Haus- und Familienarbeit gebeten, minutiös Tagebuch über ihre verschiedenen Tätigkeiten zu führen. Man verglich die so erhobenen Daten mit den eigenen Zeitschätzungen der Teilnehmer und es kam heraus, dass Männer ihr Zeitbudget für die entsprechenden Arbeiten um 36 Prozent überschätzten, Frauen um 27 Prozent. Hinzu kommt, dass man die investierte Zeit des Partners tendenziell unterschätzt. Umfragen sind in Bezug auf die Haltungen zum Thema Gleichberechtigung und Familienarbeit sowieso recht interessant. Anspruch und Wirklichkeit liegen nämlich Welten auseinander, leider vor allem bei den Männern.

(…)

Würde die Arbeitsteilung im Alltag von Familien den in zahlreichen aktuellen Studien erhobenen Einstellungen entsprechen, dann hätten Stefanie und ich keinen Grund, dieses Buch zu schreiben, geschweige denn Gleichberechtigung zum Prinzip unserer Beziehung zu erheben. Dann wäre Deutschland ein anderes Land. In einer 2009 erschienenen Studie des Sinus Forschungsinstituts etwa sagten 97 Prozent der befragten Männer und Frauen aus, sie fänden es gut, wenn sich Frauen und Männer in einer Partnerschaft die Aufgaben in Haushalt und Familie gleichberechtigt teilen.

Nehmen wir die Erwerbstätigkeit hinzu: 2008 hielten es laut TNS Infratest über 50 Prozent (und sogar mehr Männer als Frauen) für das Beste, wenn beide Partner in gleichem Umfang erwerbstätig sind und sich Kindererziehung und Haushalt teilen. Inzwischen ist es zudem eine Selbstverständlichkeit, dass Männern ihre Familie am wichtigsten ist, noch vor der Arbeit. Das war bis in die 1990er Jahre noch in allen Umfragen umgekehrt. Viele Männer wünschen sich heute sogar, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit mit der Familie zu haben. Klingt das nicht wunderbar? Arbeitsteilung ist das Ideal, mehr noch bei den Männern als bei den Frauen. Deswegen rennen Stefanie und ich auch bei allen, denen wir von unserem Projekt erzählen, offene Türen ein.

Zumindest theoretisch. Denn die Realität sieht anders aus. Schön formuliert es der Soziologe Ulrich Beck, der die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit bei Männern als »verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre« beschreibt. Tatsächlich sind es in erster Linie die Männer, die ihrer Offenheit im Hinblick auf Gleichberechtigung keine Taten folgen lassen. Ganz vorsichtig und langsam vollzieht sich zwar eine Verschiebung hin zu einer eher partnerschaftlichen Arbeitsteilung, aber die zeitliche Belastung von Frauen durch Haus- und Familienarbeit liegt nach Aussage der meisten Studien der letzten 15 Jahre deutlich über der der Männer.

Die Zahlen der Studie von Walter und Künzler (2002) bilden ab, was anscheinend trotz allen guten Willens die gesellschaftliche Realität ist: Demnach wendeten Mütter wöchentlich im Durchschnitt 28 Stunden und Väter 18 Stunden für die Betreuung der Kinder auf. Das eigentliche Ungleichgewicht besteht aber bei Erwerbsarbeit (Frauen durchschnittlich 18, Männer aber 52 Stunden) und Haushalt (Frauen 40, Männer 16 Stunden). Solche Daten finden sich zur Genüge. Männer würden gern, sehen sich aber nicht in der Lage, wenn es konkret darum geht, entsprechende Schritte zu gehen. Zeitgeist hin, Gerechtigkeitsempfinden her, die vermeintlichen Zwänge der Arbeitswelt stechen alles andere aus.

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