Das Buch „Tussikratie” will eine Debatte um Gleichberechtigung gemeinsam mit Männern anstoßen. Doch nach ihren Positionen sucht man im Buch vergeblich.
Das Klischee des Frauennetzwerks
Etwa einmal pro Jahr erscheint in Deutschland ein Buch, das als ein neues Manifest der Gleichberechtigung vermarktet wird. In diesem Frühjahr haben die Autorinnen Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling „Tussikratie: Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können“ veröffentlicht, ein Buch, in dem sie vor allem mit Frauen hart ins Gericht gehen. Im aktuellen Diskurs um Gleichberechtigung seien die Debattenführerinnen am Austausch mit Männern nicht interessiert, so Bäuerlein und Knüpling. Männer seien im Weltbild der „Tussis“ entweder „trauriges Beiwerk oder übermächtige Gegner“. Frauennetzwerken stehen sie skeptisch gegenüber. Anekdotisch eingestreut schildern die beiden Begegnungen mit beruflichen Zusammenschlüssen von Frauen, in denen bei Cocktails gejammert würde, über Männer geschimpft und immer die äußeren Umständen die Schuld trügen – aber nicht die eigenen Ambitionen: „Alle Tussis denken von sich, dass sie karrieremäßig längst viel weiter sein sollten.“
Dass Bäuerlein und Knüpling kein gutes Haar an Frauennetzwerken lassen, ist schade. Denn sie untermauern ein Klischee berufstätiger Frauen mit einseitig ausgewählten Geschichten und schaffen so ein neues Feindbild statt einen Dialog zu befördern. Zusammenschlüsse, wie beispielweise die Geekettes, die Frauen in der Tech-Branche unterstützen, Seminare und Hackathons auf die Beine stellen, oder der Verein „Pro Quote“, der die Geschlechterquoten in Redaktionen transparent macht und Veränderung fordert, finden keine Erwähnung. Dabei machen diese beiden Netzwerke das, was Bäuerlein und Knüpling wollen: Sie schaffen Transparenz über ihre Ideen für mehr Gleichberechtigung, setzen konstruktive Lösungen gleich in die Tat um – und arbeiten mit männlichen Unterstützern zusammen. Die von den Autorinnen beschriebenen „Tussis“ findet man hier nicht.
Viele Manifeste, kaum Bewegung
Doch wie nachhaltig sind Debatten, die von einzelnen Büchern angestoßen werden sollen? „Wir Alphamädchen: Warum Feminismus das Leben schöner macht“ (2008) von Susanne Klingner, Barabara Streidl und Meredith Haaf war ein Verkaufserfolg und machte Feminismus zugänglich für junge Frauen, die zuvor den Begriff als verstaubt empfanden. Im gleichen Jahr erschien Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, ein Buch, dass Diskussionen um Körperbilder und Sex in den Mainstream holte und Feuilletonisten angeekelt aufstöhnen ließ. Und: Selbst der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder reichte ihre politische Arbeit nicht aus. Sie veröffentlichte 2012 die Streitschrift „Danke, emanzipiert sind wir selber“ und erklärte, dass Feminismus der Vergangenheit angehöre. Ihr neues Zauberwort: die Zeitsouveränität. 2013 fand das Buch der US-Amerikanerin Hanna Rosin auch in deutschen Medien große Resonanz; sie schrieb über „Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen“ , ein Titel, der in Deutschland besonders interessiert aufgenommen wurde, weil die Geschlechterquote für Unternehmen näher rückte.
Fragt man heute berufstätige Eltern, ist von der Zeitsouveränität aus Schröders Buchkapitel im Alltag bislang nicht viel angekommen. Kitaplätze sind nur zu bekommen, wenn sich Eltern schon auf die Suche begeben, wenn der Bauch noch kaum zu sehen ist. Unternehmen, die wichtige Meetings so legen, dass sowohl Väter als auch Mütter ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen können, sind weiterhin selten. Der Vorstoß der neuen Familienministerin Manuela Schwesig, für Eltern kleiner Kinder eine 32-Stunden-Woche einzuführen, wurde von ihrer eigenen Partei kassiert, bevor er von der Wirtschaft überhaupt diskutiert werden konnte. Und auch das Ende der Männer, mit dem sogar die Wochenzeitung DIE ZEIT aufmachte, ist bislang nicht eingetreten. Die gesetzliche Frauenquote, die die neue Bundesregierung beschließen wird, gilt nur für Aufsichtsräte und lässt Männern weiterhin 70 Prozent der Sitze, wenn sie diese denn möchten.
Vielleicht geht es euch ähnlich: Der Begriff „Vereinbarkeit“ kommt mir zu den Ohren wieder heraus. Seit Jahren erscheinen Artikel und Bücher zum Thema, in Talkshows und Parlamenten wird Abend für Abend diskutiert, doch gesellschaftlich und politisch verändert sich wenig. Frauen, die ihr Kind bereits vor dem ersten Lebensjahr in eine Kita geben möchten, gelten als Rabenmütter. Viel schwieriger noch ist es diesen Kitaplatz überhaupt zu finden und zu finanzieren. Nüchtern gesprochen brauchen die Eltern kleiner Kinder zehn Tage zusätzlichen Urlaubsanspruch, um die Betreuung ihres Kindes zu organisieren. Vergeblich sucht man nach „Innovation made in Germany“, wenn es um ein einfaches, schnelles und bedarfsorientiertes Vergabesystem für Kitaplätze geht.
Gleichberechtigung ist mehr als Familienpolitik
Die Wut über zu langsamen Wandel spürt man in „Tussikratie“ nicht. Die Autorinnen fordern nichts von Politik. Ihr Fazit formulieren sie auf der letzten Seite des Buches: „Der Geschlechterkampf hat lange genug gedauert, allmählich sollte echter Frieden einkehren.“ So weit, so banal. Dabei ist ein Ansatz von Bäuerlein und Knüpling im Kern wichtig. Wenn wir von Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprechen, geht es viel zu oft nur darum, wie Mütter einen Vollzeitjob und Kinderbetreuung in Einklang bringen sollen. Geht es in Talksshows um Familienpolitik, werden Politikerinnen und Schauspielerinnen eingeladen.
Kaum ein anderes Politikfeld hätte eine Männerquote so nötig wie die Familienpolitik. In der öffentlichen Debatte ist Geschlechterpolitik zudem auf familienpolitische Aspekte verkürzt worden.
Doch eine gesellschaftliche Debatte, die nur junge Familien betrifft, bleibt zu klein um Veränderungen anzustoßen. Zudem bedeutet Frausein oder Mannsein sehr viel mehr als Mutter oder Vater zu werden. Frauen und Männer sind unterschiedlich. Frauen und Frauen aber auch.
Was wollen Männer?
Theresa Bäuerlein machte den wichtigsten Punkt nicht in ihrem Buch, sondern erst in einem Brigitte-Interview nach der Veröffentlichung: „Mir tun die Männer leid, weil sie bislang keine echte Männerbewegung hatten. (…) Es geht selten darum, was Männer wirklich wollen.“ Doch genau das erfahren Leser in ihrem Buch nicht. Ihre wichtigste Quelle für eine männliche Perspektive auf die Geschlechterdebatte ist der Autor Ralf Bönt, der in einem jüngeren Text für die FAZ leider nur klingt wie ein wütender, dummer Junge, wenn er schreibt: „Dabei war es der Mann, der so oft mit den mörderischsten Selbstversuchen die moderne Wissenschaft vorangebracht, die Sterblichkeit gesenkt und Diktatoren besiegt hat.“ Eine gemeinsame Debatte scheint auch er nicht zu wollen. Zusätzlich wirkt es so, als hätten auch die Autorinnen trotz langer Recherche keine Männer gefunden, die etwas Relevantes darüber zu sagen hätten, was Männern wichtig ist und was sie gesellschaftlich verändern möchten. Wo sind diese Stimmen?
Autorinnen können diese Lücken in der Geschlechterdebatte nicht füllen. „Tussikratie“ enthält zwar auch einige solide Texte zu feministischen Themen, die so aber in den letzten Jahren schon vielfach aufgeschrieben worden: gemeinsame Verantwortung für Verhütung, Gehaltsunterschiede, neue Arbeitszeitmodelle. Die gemeinsame Perspektive der Geschlechter, die die Autorinnen fordern, sucht man jedoch vergeblich. Das wirft die Frage auf, warum der Verlag nicht ein gemischtes Team mit einem Buch betraut hat. Und warum Männer nicht endlich zum Stift greifen und aus ihrer Sicht beschreiben, wie sie sich ein gutes Leben vorstellen. Für sich selbst, für ihre Freunde, für ihre Partnerinnen oder Partner. Die Debatte um Gleichberechtigung wird schneller neue Lösungen hervorbringen, wenn Frauen und Männer sich auch gleichberechtigt daran beteiligen. Die Quote als Bevorzugung abzustempeln, kann jeder. Was ein Zusammenleben jedoch besser macht, sind neue Ideen.
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