Foto der Autorin und Journalistin Sibel Schick.
Foto: Benjamin Jenak Veto

„Selbst zu erleben, wie entmündigend die Situation rund um Schwangerschaftsabbrüche ist, war krass“

Die Autorin Sibel Schick hat mit uns darüber gesprochen, weshalb eine ungewollte Schwangerschaft lebensbedrohliche Folgen für sie hatte – und wie unangenehm die damit verbundene Erfahrung im Gesundheitssystem war. 

„Ich wurde ungewollt schwanger und bin fast daran gestorben“. Mit diesen Zeilen beginnt Sibel Schick einen Text bei Instagram, in dem sie davon berichtet, wie eine ungewollte Schwangerschaft eine beidseitige Lungenembolie bei ihr auslöste. Der Post, in dem sie über den erschwerten Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und den unsensiblen Umgang der behandelnden Mediziner*innen schreibt, bewegte tausende Menschen und regte zu Diskussionen über körperliche Selbstbestimmung an.

Wir haben Sibels Post zum Anlass genommen, mit ihr über ungewollte Schwangerschaften und den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem Thema zu sprechen. Im Interview erzählt die Autorin und Journalistin, was sie sich vom medizinischen Personal und den Menschen in ihrem Umfeld gewünscht hätte – und warum wir dringend, anders und häufiger über Schwangerschaftsabbrüche sprechen müssen.

Du hast bei Instagram über eine einschneidende Erfahrung berichtet. Magst du, für alle, die nichts davon mitbekommen haben, erzählen, was passiert ist?

„Ich habe sehr ausgeprägte Myome in und um meinen Uterus. Diese sollten in drei Eingriffen entfernt werden. Kurz vor der ersten OP habe ich herausgefunden, dass ich schwanger bin. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich davon ausgegangen, dass ich nicht schwanger werden kann, das hatte meine Gynäkologin diagnostiziert. Die geplante Myom-Operation wurde dann wegen der Schwangerschaft abgesagt – obwohl ich vom ersten Moment an wusste, dass ich abtreiben möchte und das so kommuniziert hatte. Ich hatte bei den Mediziner*innen, die die Myome entfernen sollten, nachgefragt, ob der Schwangerschaftsabbruch mit der Myom-OP kombiniert werden könne, da ich mich bereits in der Behandlung befand und es sowieso unklar war, ob ich eine Schwangerschaft mit austragen kann. Die Kombination der Eingriffe wurde aber abgelehnt mit der Begründung, dass meine Situation nicht ausreiche als medizinische Indikation und ich erst in die Konfliktberatung müsse.

Meine Frauenärztin hat mich erst gar nicht über den Vorgang rund um Schwangerschaftsabbrüche informiert und mir dann auch noch gesagt, dass ich mir diese Entscheidung tausend Mal überlegen solle, da ich nie wieder schwanger werden könne. Etwas, worauf ich nach ihrer ersten Fehldiagnose nicht vertrauen kann. Als ich daraufhin die Ärztin wechselte, habe ich weitere unangenehme Erfahrungen gemacht: Fragen, die ich stellte, haben Mediziner*innen zu Diskussionen mit mir verleitet. Ein Arzt meinte zu mir, dass sich eine andere Frau gefreut hätte, trotz der Myome schwanger zu werden. Das mag sein, aber ich bin nicht diese hypothetische Frau und ich sage auch keiner hypothetischen Frau, sie solle eine Schwangerschaft abbrechen.“

Wie ging es dann weiter?

„Es dauerte mehrere Tage, bis ich einen Termin für die Schwangerschaftskonfliktberatung vereinbaren konnte, die Stellen waren überlastet. Das Gespräch war dann für die Folgewoche geplant, zum erstmöglichen Termin. Doch genau in der Woche, in der ich auf den Termin gewartet habe, wurde ich mit Atemnot und Herzrasen in die Notaufnahme eingeliefert. Die Mediziner*innen hatten rasch den Verdacht einer Lungenembolie, da eine Schwangerschaft das Risiko dafür massiv erhöht – und haben mich dementsprechend behandelt. Eine umfangreichere Untersuchung wurde erst vier Tage später durchgeführt. Die Mediziner*innen hatten es erst abgelehnt, eine bildgebende Untersuchung wie ein MRT mit Kontrastmittel oder ein Röntgenbild zu machen. Die Begründung: Sollte ich die Schwangerschaft austragen wollen und das Kind durch die Strahlung Schäden davontragen, wären sie haftbar. Dabei hatte ich direkt bei der Aufnahme ins Krankenhaus deutlich kommuniziert, dass ich einen Abbruch möchte. Erst, als einer der Ärzt*innen eingefallen ist, dass eine nuklearmedizinische Untersuchung mit so wenig Strahlung gemacht werden kann, dass es dem Embryo nicht schadet, wurde dies nachgeholt.“

Du beschreibst bei Instagram, wie unangenehm es für dich war, in Lebensgefahr zu schweben und zu merken, dass die Mediziner*innen die Behandlung entgegen deines Wunsches an die ungewollte Schwangerschaft angepasst haben, also dein Selbstbestimmungsrecht schwächer gewichtet haben als die Gesundheit des Embryos. Hat man dir nicht die Möglichkeit eingeräumt, einen Haftungsausschluss zu unterschreiben?

„Nein, das wurde mir nicht angeboten. Ich hatte den Eindruck, dass die Mediziner*innen unsicher waren in Bezug auf meinen Wunsch abzutreiben. Wenn sie darüber gesprochen haben, waren sie hypervorsichtig. Ein Arzt hat zu einer anderen Ärztin gesagt: ,Also, wenn ich das richtig verstanden habe, besteht die Überlegung, dass die Patientin vielleicht abtreiben möchte.‘ Und das, nachdem ich bereits mehrfach betont hatte, dass ich die Schwangerschaft abbrechen werde. Wie überzeugt ich von dieser Entscheidung war, schien die Mediziner*innen nicht zu interessieren. Ich hatte den Eindruck, dass es ihnen vor allem darum ging, sich und das Krankenhaus rechtlich abzusichern. Ich werfe niemandem vor, Abtreibungsgegner*in zu sein, finde es aber bezeichnend, dass selbst hochqualifizierte, supermodern wirkende, junge Mediziner*innen, die in Großstädten wohnen, total verunsichert wirken, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht.“

„Ich finde es bezeichnend, dass selbst hochqualifizierte, supermodern wirkende, junge Mediziner*innen total verunsichert wirken, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht.“

Das klingt so, als fehle es an Sensibilisierung rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch und körperliche Selbstbestimmung. Was hätte dir in dieser Situation geholfen?

„Mir hätte es definitiv geholfen, wenn man mir die Option geboten hätte, einen Haftungsausschluss zu unterschreiben. Es ist gang und gäbe, dass man bei kleinsten Eingriffen tausend Unterlagen unterschreiben muss – ich verstehe also nicht, was der Unterschied gewesen wäre. Natürlich wusste ich aufgrund meiner Arbeit als feministische Autorin, dass die gesamte Situation rund um Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland total entmündigend ist. Das aber auf dieser persönlichen Ebene zu erleben, war schockierend. Normalerweise fällt es mir nicht schwer, wütend zu werden, doch in diesem Moment fühlte ich mich ohnmächtig. Ich dachte ,Passiert das gerade wirklich?‘ – ,Bin ich hier in einem dystopischen Sci-Fi?‘ – ,Wo bin ich gelandet?‘. Obwohl ich wusste, dass die Versorgungslage, die Gesetze und der Umgang mit dem Thema in Deutschland problematisch sind, war es krass, diese Erfahrung zu machen.“

Du hattest mehrere Tage nicht die Gewissheit, dass du die Behandlung bekommst, die du tatsächlich brauchst?

„Die Mediziner*innen hatten natürlich ein besseres Bild als ich. Es ist nicht so, als hätten sie nur auf Verdacht behandelt. Sie haben Untersuchungen wie Bluttests gemacht, um möglichst schnell ein genaueres Bild zu erhalten. Aber als Außenstehende ist es fast unmöglich, das Ganze nachvollziehen zu können. Hinzu kommt, dass in diesen sehr kurzen Visitengesprächen oft in Fachbegriffen kommuniziert wurde, mit denen ich absolut nichts anfangen konnte. Ich hatte das Privileg, dass ich mit einer Person zusammen bin, die ausgebildete Pflegekraft ist und übersetzen konnte. Aber was machen andere? Als Patientin bist du ausgeliefert, wenn du nur einen Teil des Gesagten verstehst. Die Mediziner*innen wussten, was sie tun, aber für mich war es unangenehm zu merken, dass mögliche Behandlungsoptionen von Anfang an ausgeschlossen werden, aufgrund einer Schwangerschaft, die ich nicht beibehalten wollte. Dass mir diese Entscheidung nicht zugetraut wurde, empfand ich als sehr problematisch.“

Was hat es mit dir gemacht, das zu erleben?

„Die körperliche Ebene ist schon schwer genug, dazu kommt noch die psychische Belastung: zu erleben, dass ich als erwachsene Person, die bestimmte Bedürfnisse äußert, überhaupt nicht gehört werde. Ich stehe noch immer leicht unter Schock und befinde mich in der Erholung, weshalb ich bis heute nicht die emotionalen Kapazitäten hatte, mich fachlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich wäre beinahe gestorben. Schuld daran waren nicht die Mediziner*innen, sondern die durch die Schwangerschaft ausgelöste Lungenembolie. Dass ich überlebt habe, verdanke ich unter anderem der Tatsache, dass ich mit einer erfahrenen Pflegekraft zusammen bin, die den Ernst der Lage rasch erkannt hat, als ich meine Beschwerden beschrieb. Embolien werden oft erst nach dem Tod festgestellt, nur in etwa 30 Prozent der Fälle wird die Erkrankung rechtzeitig diagnostiziert.

Dass es überhaupt zur Lungenembolie kam, war eine Verkettung von Faktoren: Hätte der Schwangerschaftsabbruch zusammen mit der Myom-Operation durchgeführt werden können und wäre das Prozedere, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu können, nicht so voller Hürden, wäre ich eventuell gar nicht an der Embolie erkrankt. Diese ungewollte Schwangerschaft und der Wartezustand haben mich so deprimiert, dass ich viel herumlag und mich zu wenig bewegt habe. Tatsächlich wusste ich nicht, dass ich mich als schwangere Person viel bewegen muss, weil sonst die Gefahr für Embolien oder Thrombosen steigt. Das ist eine eklatante Aufklärungslücke.“

Hast du in diesem Prozess Unterstützungsangebote erhalten? Beispielsweise in Form eines psychologischen Angebots?

„Das wäre notwendig gewesen, aber davon war nicht einmal die Rede. Die Hürden, um in Deutschland einen Therapieplatz zu erhalten, sind viel zu hoch, die Versorgungslage ist katastrophal. Wer krank ist und Hilfe braucht, hat meist nicht die nötigen Ressourcen, sich um einen Therapieplatz zu kümmern. Das ist ein Teufelskreis. Ich hätte es tatsächlich nicht geschafft, ganz alleine einen Therapieplatz zu finden, wurde aber von HateAid dabei unterstützt.

Der Hass, dem ich als feministische, rassismuskritische Autorin ausgesetzt werde, hat keine Pause gemacht, nur weil ich krank wurde. Wenige Wochen nach der Lungenembolie erhielt ich zwei Morddrohungen. Damit umzugehen, fällt mir aktuell schwerer, weil ich durch die Krankheit weniger Kraft habe. HateAid hat mich mit einer Therapeutin vernetzt, die sich mit der Problematik Online-Gewalt auskennt. Ich werde nächstes Jahr eine Therapie anfangen können, die ich allerdings, so wie es aussieht, aus eigener Tasche bezahlen muss. Meine Krankenkasse hat es abgelehnt, die Kosten zu übernehmen, obwohl ich aktuell nicht in der Lage bin, die Suche nach einer*einem Therapeut*in mit Kassensitz zu stemmen – und die Therapeutin, die mich begleiten wird, Expertin ist, was meine besondere Situation betrifft.“

„Die Hürden, um einen Therapieplatz zu erhalten, sind viel zu hoch, die Versorgungslage ist katastrophal. Wer krank ist und Hilfe braucht, hat meist nicht die nötigen Ressourcen, sich darum zu kümmern.“

Wie geht es dir nun?

„Mir geht es jeden Tag ein bisschen besser. Da ich keine Vorerkrankungen hatte, sollte ich mich laut den Mediziner*innen vollständig erholen. Aber das wird eine Weile dauern. In Folge der Lungenembolie habe ich eine Herzschwäche entwickelt. Die beiden Organe arbeiten eng zusammen und als die Lunge ihren Job nicht machen konnte, hat das mein Herz belastet. Die ganze Erkrankung zieht einen Rattenschwanz hinter sich her: Durch die Blutverdünner habe ich eine akute Anämie bekommen und bin deshalb sehr erschöpft.

Allerdings ärgert mich eine Sache: Die Kosten für den Abbruch werde ich sehr wahrscheinlich selber tragen müssen, das sind knapp 2000 Euro. Wegen der Embolie nehme ich Blutverdünner, weswegen der Abbruch operativ und stationär stattfinden musste. Das kostet viel mehr als ein medikamentöser Abbruch. Ich werde nun um eine erneute Prüfung bitten, kann aber nicht einschätzen wie es ausgeht.“

Ich fand es eindrücklich, was für eine enorme Resonanz der Post, in dem du von dieser Erfahrung berichtest, erhalten hat. Hättest du damit gerechnet?

„Für mich war das die Bestätigung, dass das Thema viele Menschen umtreibt. Schwangerschaftsabbrüche betreffen nun einmal alle gebärfähigen Menschen, egal ob reich oder arm, egal aus welcher Bildungsschicht – auch wenn es innerhalb gesellschaftlicher Gruppen unterschiedliche Betroffenheit gibt. Die Reaktionen auf den Post entsprechen dem Bild, das ich bereits aus der Türkei kenne: Selbst konservative Frauen sind für ein Recht auf Abbrüche, weil auch sie mit der Sorge leben, keinen sicheren Zugang zu körperlicher Selbstbestimmung zu haben. Das Bedürfnis nach Austausch und Erfahrungsberichten ist größer, als ich gedacht hätte. Dafür, dass wir in Deutschland heute im Gegensatz zum Mittelalter Zugang zu Informationen und alle Möglichkeiten haben, um Abbrüche sicher und unkompliziert durchzuführen, ist es ziemlich schlimm, was wir derzeit rund um Schwangerschaftsabbrüche erleben.“

„Dafür, dass wir in Deutschland heute im Gegensatz zum Mittelalter Zugang zu Informationen und alle Möglichkeiten haben, um Abbrüche sicher und unkompliziert durchzuführen, ist es ziemlich schlimm, was wir derzeit rund um Schwangerschaftsabbrüche erleben.“

Gab es Reaktionen auf den Post, die dich erstaunt haben?

„Mich hat erstaunt, wie viel positive Aufmerksamkeit der Post und wie viele Rückmeldungen ich erhalten habe. Ich hatte mehr ekelhafte Kommentare aus der Ecke der ,Lebensschützer*innen‘ oder von Trollen erwartet. Wahrscheinlich haben die sich aufgrund der breiten, sichtbar geäußerten Solidarität nicht getraut. Erstaunt haben mich auch die Rückmeldungen von Personen, die meinten, dass sie die Schilderung meiner Erfahrung von Fällen aus Polen kennen, aber ,doch nicht in Deutschland‘. Diese Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Realität ist krass.“

Inwiefern?

„Ich habe seit Jahren einen Google-Alert aktiviert für Beiträge, die das Wort Abtreibung beinhalten und stelle immer wieder fest, dass es in der Berichterstattung mehrheitlich um Polen und die USA geht und kaum um Deutschland. Natürlich sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland irgendwie zugänglich, aber dieses ,Irgendwie‘ ist doch das Problem. Dass nicht flächendeckend über dieses Thema gesprochen wird, ist ein Grund, weshalb die Versorgungslage so schlecht bleibt. Diese ,In Polen, aber doch nicht in Deutschland‘-Kommentare und die auf andere Länder fokussierte Berichterstattung entspringen demselben Selbstverständnis: Mag sein, dass die Lage in Deutschland viel besser ist, aber perfekt ist es lange nicht. Es gibt Raum nach oben. Die Reaktionen auf meinen Post zeigen deutlich, wie groß das Bedürfnis danach ist, dass Schwangerschaftsabbrüche öfter thematisiert werden.“

„Natürlich sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland irgendwie zugänglich, aber dieses ,Irgendwie‘ ist doch das Problem.“

Vor diesem Interview hast du darum gebeten, dass wir auch über den Sprachgebrauch rund um dieses Thema sprechen.

„Ich bin privat umgeben von tollen Menschen, die andere nicht absichtlich verletzen würden, aber auch in meinem Umfeld gab es unreflektierte Kommentare zu der Schwangerschaft. Wenn ich ein Gespräch damit eröffnet habe, dass eine Schwangerschaft festgestellt wurde, erhielt ich umgehend impulsive Glückwünsche. Die Leute haben gar nicht lange genug zugehört, um mich vom Schwangerschaftsabbruch erzählen zu lassen. Auf das Wort Schwangerschaft folgte Freude. Ich bin durch die ungewollte Schwangerschaft fast gestorben, dann Glückwünsche zurückweisen zu müssen, war sehr belastend und unschön. Dadurch wurde mir Raum genommen, in dem ich über meine Probleme hätte berichten können.

„Es wird so getan, als wäre eine Schwangerschaft immer ein Glücksfall. Das mag für viele Menschen zutreffen, aber Freude als die einzige Möglichkeit zu betrachten, wenn wir mit schwangeren Menschen sprechen, finde ich problematisch, weil es keinen Raum lässt für andere Realitäten.“

Diese Erfahrung hat für mich verdeutlicht, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir mit dem Thema umgehen. Viele wissen gar nicht, welche Gesundheitsrisiken mit Schwangerschaft verbunden sein können. Es wird direkt so getan, als wäre eine Schwangerschaft immer ein Glücksfall. Das mag für viele Menschen zutreffen, aber Freude als die einzige Möglichkeit zu betrachten, wenn wir mit schwangeren Menschen sprechen, finde ich problematisch, weil es keinen Raum lässt für andere Realitäten. Mir nahm das die Luft weg, ich hatte das Gefühl, dass meine Realität überhaupt nicht zählt. So als wäre es eine große Ausnahme, eine Schwangerschaft abbrechen zu wollen. Die Abweichung von der Norm. Das muss sich ändern. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel.“

Wie könnte so ein Kulturwandel aussehen?

„Ich habe kürzlich mit meiner Cousine telefoniert, die in England lebt und schwanger ist. Sie hat mir berichtet, dass die erste Frage nach der Feststellung einer Schwangerschaft dort lautet: ,Wie geht es dir damit?‘ Es wäre so gut, wenn wir jedes Gespräch über Schwangerschaften mit so einer Frage eröffnen würden und nicht automatisch davon ausgehen, dass es sich dabei um eine Nachricht handelt, die beglückwünscht werden soll.

Ich habe vor kurzem einen Text veröffentlicht, in dem ich dazu aufgerufen habe, ein neues Wort für ungewollte Schwangerschaften zu erfinden, weil das Wort Schwangerschaft positiv konnotiert ist. Eine Veränderung der Sprache kann ein Umdenken anleiten. Wir alle haben eine persönliche Verantwortung, uns selbst und unsere Perspektive auf das Thema zu reflektieren und zu überlegen, wie wir in Situationen, in denen Menschen über Schwangerschaften sprechen, handeln. Es ist gar nicht so selten, dass Menschen unter einer Schwangerschaft leiden, selbst wenn diese gewollt ist.

Außerdem müssen wir flächendeckend über die problematische Versorgungslage sprechen. Diese Debatte darf sich nicht nur in feministischen Kreisen bewegen. Der Umgang mit ungewollten Schwangerschaften und der Zugang zu Abbrüchen ist kein ausschließlich feministisches Anliegen. Gesellschaftlich und politisch muss sich etwas bewegen.“

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Zur Person: Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie kam 1985 in der Türkei zur Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Schick ist Kolumnistin und Podcasterin der linken Tageszeitung „nd“, arbeitet beim Leipziger Stadtmagazin „kreuzer“ als Social-Media-Redakteurin und gibt den Newsletter „Saure Zeiten“ heraus. Ihr Buch „Hallo, hört mich jemand“ erschien 2020 bei Edition Assemblage.

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