Paul Niedermayer

Wie Serien unseren Blick auf Mütter und Schwangerschaftsabbrüche prägen

Die Aktivistin und Künstlerin Franzis Kabisch hat untersucht, wie Schwangerschaftsabbrüche in Filmen und Serien dargestellt werden – und damit den Blick einer Gesellschaft auf das Thema selbstbestimmte Mutterschaft beeinflussen.

Als wir in der Pro-Choice-Gruppe, in der ich in Wien aktiv war, einmal Erfahrungsberichte von verschiedenen Frauen zu ihren Abtreibungen sammelten, bot ich an, auch meine Geschichte vor der Kamera zu erzählen. Ich fragte eine Freundin, die ebenfalls Aktivistin in der Gruppe war, ob sie ebenfalls Lust hätte, über ihre Erfahrungen zu sprechen. „Ich hatte gar keine Abtreibung“, antwortete sie mir. Ich war verdutzt und fragte sie nach ihrer Motivation, sich so intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass das Thema Abtreibung nur jene interessiert, die selbst mal eine hatten. Oder jene, die sie um jeden Preis verhindern wollen.

Sie antwortete: „Ich hatte eine sehr anstrengende Schwangerschaft und eine nicht gerade einfache Geburt. Aber mein Kind war gewollt. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, durch all das hindurchzugehen, wenn man gar keinen Kinderwunsch hat. Deswegen bin ich aktiv geworden. Damit jede schwangere Person selbst entscheiden kann, wie es für sie weitergeht.“

Meine Verwunderung darüber, dass jemand, die selbst keine Abtreibung hatte, ja sogar Mutter ist, sich für Pro-Choice-Kämpfe einsetzt, kommt nicht von ungefähr. Gesellschaftlich werden Menschen, die eine Schwangerschaft abbrechen, und Mütter oft gegeneinander ausgespielt. Während Abtreibungen tabuisiert werden, wird Muttersein glorifiziert. Dabei hängt beides eigentlich sehr eng miteinander zusammen. Laut Statistischem Bundesamt haben 60 Prozent der Frauen, die 2019 eine Schwangerschaft in Deutschland abbrechen ließen, schon mindestens ein Kind. Mehr als die Hälfte der Frauen wissen also, was auf sie zukommt und brechen trotzdem oder gerade deshalb eine weitere Schwangerschaft ab. Jede davon hat ihre eigenen Gründe, aber keine von ihnen ist herzlos, kinderfeindlich oder verantwortungslos. So werden Menschen, die eine Abtreibung vornehmen lassen, nämlich gerne dargestellt.

Mütter und Abtreibungen in Filmen und Serien

Mit der Darstellung ist das überhaupt so eine Sache. Wenn man sich anschaut, wie Abtreibungen in Filmen und Serien inszeniert werden (und das tue ich seit einem Jahr), fällt auf, wie einseitig diese Darstellungen sind. Die meisten fiktiven Geschichten drehen sich um junge, oft noch jugendliche Frauen, die sich noch nicht bereit für ein Kind fühlen oder kein stabiles Umfeld um sich haben. Viele von ihnen beteuern aber, dass sie später Mutter werden möchten, so als ob sie beweisen müssten, dass sie später der von ihr erwarteten Mutterrolle entsprechen werden. Auch dem Forschungsprogramm Abortion Onscreen, das jedes Jahr einen Bericht über Abtreibungen in Filmen und Serien in den USA veröffentlicht, ist diese Diskrepanz aufgefallen. Im Bericht für das Jahr 2019 schreiben die Forscher*innen: „Six out of twenty-five characters obtaining abortions or disclosing past abortions were parents. This is more than we’ve seen in previous years’ depictions, yet remains staggeringly low given that the majority of people who obtain abortions are raising children. Only one mother was a woman of color.“

Auch wenn Mütter, die eine Schwangerschaft abbrechen, in den Medien unterrepräsentiert sind, gibt es doch ein paar tolle Darstellungen, die ich euch hier gerne vorstellen möchte.

The Letdown: internalisierte Scham

Eine der tollsten Serien, die ich während meiner Forschung gesehen habe, ist die australische Serie „The Letdown“ (zu streamen bei Netflix). Die von Alison Bell und Sarah Scheller kreierte und geschriebene Serie zeigt auf sehr ehrliche und humorvolle Weise die Aspekte des Elternseins, über die sonst niemand spricht. Audrey (gespielt von Alison Bell selbst) und Jeremy haben gerade erst ein Kind bekommen und strugglen mit gesellschaftlichen Erwartungen, Geldsorgen und der fehlenden Zeit für sich und einander. (Mein Lieblingsdialog zwischen Audrey und einer Freundin: „God, I miss make-up.“ – „You never wore make-up.“  – „I miss making the conscious choice to not wear it.”) Kurz vor dem ersten Geburtstag ihrer Tochter wird Audrey wieder schwanger und ist überfordert damit. Dass sie die Schwangerschaft abgebrochen hat, erfahren wir in der zweiten Staffel, in der sie sich intensiv mit ihren eigenen Schuldgefühlen auseinandersetzt und sich lange nicht traut, jemandem davon zu erzählen.

Die größte Scham hat sie vor ihren Freundinnen aus einer Muttergruppe, die zum Teil zweite Kinder bekommen oder nicht mehr fruchtbar und unglücklich darüber sind. Als es doch endlich aus ihr herausplatzt, spricht ihre Freundin Ester ihr gut zu: „Hey, you don’t need to explain. You had one. Well, I had one years ago.” Auch Audreys Mutter ist für sie da und überrascht sie mit einem Geheimnis: “God, when I had mine, that was in the mid-80s, I didn’t tell a soul.” Audrey kann es kaum glauben: “You, what? You know how much I wanted a sibling! How could you?” Aber sie realisiert sofort, dass sie das gleiche Shaming betreibt, das auch sie zum Schweigen gebracht hat und fügt hinzu: „Oh my god. Sorry. Sorry, Mum, that’s… sorry.” Ich finde die ganze Serie wirklich sehr lustig und sehenswert, für Mütter, Nicht-Mütter und Väter natürlich auch.

„Workin’ Moms“: humorvoll und komplex

Eine andere tolle Serie rund um selbstbestimmte Mutterschaft ist die kanadische Serie „Workin‘ Moms“ über die erfolgreichen Mittelschichtsmütter Kate, Anne, Frankie und Jenny und deren Balance zwischen Arbeit und Familie. Auch hier spielt Humor eine große Rolle, zum Beispiel als Anne kurz nach der Geburt ihres zweiten Kinds erfährt, dass sie wieder schwanger ist. Wenig begeistert über die Nachricht sagt sie zu ihrem Gynäkologen: „No! Can you just check again because I had a baby eight months ago and she is barely alive yet.” Obwohl sie ihre zwei Kinder sehr liebt, romantisiert sie Mutterschaft nicht. Zu ihrer Babysitterin sagt sie später: “They say that babies are blessings. But maybe the absence of a baby could be a blessing, too?”, woraufhin diese antwortet: “For sure. I have no kids and I feel super blessed.” Anne kann sich ein drittes Kind absolut nicht vorstellen, schreckt aber auch bei dem Gedanken an eine Abtreibung zurück, genau wie die Frauen in ihrer Muttergruppe, denen sie davon erzählt.

Aber im Laufe der ersten Staffel kann sie das internalisierte Stigma mithilfe ihres Manns Lionel und ihrer Freundin Kate nach und nach abbauen. Ihr innerer Konflikt wird dabei sehr realistisch gezeigt. Von Unsicherheit und Überforderung bis zu auflockernden Witzen und anschließender Erleichterung ist alles dabei. Eine berührende Szene findet in der zehnten Folge statt, als Kate Anne zu einem Beratungstermin in der Klinik fährt. Nachdem Anne überfordert wieder herausrennt, beschwert sie sich: „Did you not see how cold and sterile that place was?“ Kate antwortet: „Of course I did, Anne, but what do you expect? Their job isn’t to seduce you into buying a procedure. They’re not a day spa.” Sie fügt hinzu: „What they’re doing in there is serious, right? And if it felt wrong it is good that you know now.” Daraufhin Anne: „It didn’t feel all that wrong. It just felt wrong that Lionel wasn’t there, you know?” Und so gehen sie und ihr Mann in der nächsten Folge zusammen zum Termin und unterstützen sich in ihrer gemeinsam getroffenen Entscheidung.

Tabuisierung und Schuldvorwürfe

Andere Serien, in denen Mütter eine Schwangerschaft abbrechen, die sich aber nicht explizit um das Thema Mutterschaft drehen, sind „Crazy Ex-Girlfriend“, „Sex Education“ oder „Jane the Virgin“. Bei allen spielen Tabuisierung, Scham und Schuldvorwürfe eine große Rolle. Als Paulas Mann in Crazy Ex-Girlfriend sie fragt, ob sie wirklich noch ein Baby haben will und andeutet, dass es ja noch andere Optionen gibt, antwortet Paula: „Scott, I am a married mother of two. Those options are for teenagers the month after winter formal.” Weil sie sich aber den Traum eines Jura-Studiums verwirklich will, bricht sie die Schwangerschaft dann doch ab. Nach dem Eingriff ruht sie sich im Bett aus und ihr Mann bestellt Pizza. Als es klingelt, ruft ihr Sohn durchs Haus: „Mom, I’ll get since you just had an abortion.“

In „Sex Education“ ist es Sarah, die gleichzeitig mit der Protagonistin Maeve in der Abtreibungsklinik ist. Als Maeve nach dem Eingriff mit Schuldgefühlen ringt, beruhigt Sarah sie: „Don’t worry, love. I have got three kids. And I feel way more guilty about the ones that I had than about the ones I chose not to. It’s better not being a mom at all that being a bad one.” Woraufhin Maeve sagt: „I bet your kids really love you.” Und es stimmt: Nach der Abtreibung wird Sarah von ihrer Tochter abgeholt und lange umarmt.

In „Jane the Virgin“ hat Xiomara, die nicht nur Mutter von Jane, sondern auch schon Großmutter von Mateo ist, eine Abtreibung. Xioamara ist sich sehr sicher in ihrer Entscheidung, aber nachdem ihre religiöse Mutter davon mitbekommt, macht diese ihr ein schlechtes Gewissen. Xiomara beschwert sich bei ihrem Partner: „She’s making me feel guilty. Not for the abortion. She’s making me feel guilty about not feeling guilty.” Woraufhin dieser sehr unterstützend erwidert: “If you’re sure about your choice, that’s all that matters.”

Mütter und Verantwortung

Ein wichtiger Faktor, der Mütter dazu bewegen kann, eine Schwangerschaft abzubrechen, wird in zwei deutschen Filmen gezeigt. Sowohl im ZDF-Fernsehfilm „Aufbruch in die Freiheit“, als auch im sehr empfehlenswerten „24 Wochen“ geht es um Verantwortung für sich und die eigenen Kinder. In „Aufbruch in die Freiheit“, der die Pro-Choice-Kämpfe im Deutschland der 1970er nachzeichnet, ist die Hausfrau Erika ungewollt wieder schwanger. Damals noch illegal, muss sie heimlich abtreiben und erzählt auch ihrem Mann nichts davon. Als er jedoch davon erfährt, macht er ihr Vorwürfe: „Ach komm, wo drei satt werden, da schaffen’s doch auch vier.“ Erika erwidert: „Es geht aber nicht ums Sattwerden. Ein Kind, das bedeutet doch viel mehr. Das bedeutet Liebe, das bedeutet Kraft, das bedeutet Verantwortung“. Kurt unterbricht sie: „Das musst du mir doch nicht sagen.“ Daraufhin Erika wieder: „Nee, weil du dich nämlich nicht um die Kinder kümmern musst. Aber ich.“

Im Film „24 Wochen“ geht es um eine gewollte Schwangerschaft und die tragische Nachricht, dass das Kind nicht gesund auf die Welt kommen wird. Nach einer Down-Syndrom-Diagnose entscheiden Protagonistin Astrid und ihr Mann Markus sich aktiv für das Kind, aber als sie erfahren, dass es auch noch einen Herzfehler und eine sehr geringe Lebenserwartung haben wird, ringen die beiden um eine Entscheidung. Ein Abbruch kommt für beide eigentlich nicht in Frage, weil sie schon eine Beziehung zu dem Kind aufgebaut haben. Ihre Emotionen sind völlig durcheinander und werden in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit toll dargestellt. In sehr interessanten Dialogen setzen die beiden sich mit internalisierter Schuld auseinander und diskutieren, wer die Entscheidung eigentlich treffen darf, beide oder nur Astrid?

Am Ende entscheidet Astrid sich alleine für den Abbruch, auch wenn sie sehr darunter leidet. Sie fragt die Hebamme, die den Eingriff begleiten wird, davor: „Wie würden Sie denn entscheiden?“ Diese antwortet liebevoll: „So eine Entscheidung, die kann man nur treffen, wenn man sie treffen muss. Das kann einem keiner abnehmen und da darf auch keiner drüber urteilen.“ Astrid bringt die Komplexität auf den Punkt: „Ich hätte mich so gerne anders entschieden.“ Die innere Zerrissenheit wird auch deutlich, als sie ihrem Mann gesteht: „Es ist auch meinetwegen. Ich mach das nicht nur wegen dem Kind. Auch wegen mir selbst. Weil ich so ein Leben nicht le—“ Er beruhigt sie: „Es ist egal, warum du es machst. Du kannst es nicht. Alles andere ist egal.“ Mit „24 Wochen“ hat die Regisseurin Anne Zohra Berrached einen wirklichen tollen Film gemacht, der das emotionale Thema Spätabbruch sehr behutsam thematisiert und dabei immer die Perspektive der Mutter wertschätzt und anerkennt.

Pro Choice heißt Entscheidungsfreiheit für alle

Mutter sein und pro choice sein muss sich nicht ausschließen. Auch wenn es in Filmen und Serien gerne so dargestellt wird (Zum Beispiel, wenn ungewollte Schwangere plötzlich nur noch glückliche Familien, süße Babys und glückliche Mütter sehen wie in „GZSZ“ oder „Dear White People“. Oder wenn der ungewollt schwangeren Person eine verurteilende Freundin gegenübergestellt wird, die sich nichts sehnlicher als Kinder wünscht, wie Charlotte in „Sex and the City“), dürfen wir uns nicht spalten lassen. Pro-Choice-Bewegungen drehen sich ja nicht um verpflichtende Abtreibungen für alle, sondern kämpfen dafür, dass jede Person die für sie richtigen Entscheidungen über ihren Körper, ihre Sexualität und ihre Familienplanung treffen kann. Das meint Entscheidungen für oder gegen eine Schwangerschaft, für Kinder später im Leben oder nie, für lesbische oder trans Elternschaft und vieles mehr.

In meiner letzten Filmempfehlung wird genau diese Themenvielfalt gut auf den Punkt gebracht. In der gerade erschienenen Serie „Little Fires Everywhere“ werden sehr unterschiedliche Aspekte immer mit Bezug auf Muttersein angeschnitten: lesbisches Begehren, Unfruchtbarkeit, Schwangerschaftsabbruch, Entscheidungsfreiheit und die wichtige Frage, wer sich Entscheidungsfreiheit überhaupt leisten kann. Über acht Folgen begleiten wir die beiden Mütter Elena, eine weiße Upper-class-Journalistin, und Mia, eine Schwarze, prekär arbeitende Künstlerin, sowie ihre sehr unterschiedlichen Familien.

Dabei werden Ideale, Normen, Rollenvorstellungen und Machtdynamiken mit messerscharfen Rassismus- und Klassismus-Analysen auseinandergenommen. Aus diesem Grund finde ich die Serie besonders wichtig, denn wie auch Abortion Onscreen in ihrem Bericht angemerkt haben, sind Perspektiven und Geschichten Schwarzer Menschen und Menschen of Color, was Abtreibungen in Filmen angeht, besonders unterrepräsentiert. Auch die von mir gefundenen Serien mit Müttern, die abtreiben, zentrieren bis auf „Jane the Virgin“ weiße, klassenprivilegierte Protagonist*innen. Um unterschiedliche und vor allem machtkritische Perspektiven zu zeigen, bin ich auf der Suche nach Darstellungen Schwarzer Mütter und Mütter of Color und freu mich sehr über Tipps. Denn wie gesagt, Pro Choice heißt Entscheidungsfreiheit für alle.

  1. “Selbstbestimmte Mutterschaft” und “als Anne kurz nach der Geburt ihres zweiten Kinds erfährt, dass sie wieder schwanger ist” sind nur 2 Beispiele für einen Stutzpunkt beim Lesen des Artikels. Fängt die Selbstbestimmung nicht schon vorher an, indem Frau an Verhütung denkt und somit selbst bestimmt, was am Ende “dabei raus kommt”. Schwangerschaften passieren ja nicht einfach so. Für mich gibt es als Betroffene und als Frau generell natürlich Situationen, die einen Abbruch rechtfertigen können. Aber auch damit muss man leben ein Leben lang. Mich stört diese Sichtweise, als hätte das alles etwas mit Emanzipation und Feminismus zu tun, wenn erst gehandelt Wird, “wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist”. Sollten wir nicht aufgeklärter sein??

  2. Danke für den Artikel und die Filmempfehlungen, da landen ein paar auf meiner Liste.

    An einer Stelle gleich am Amfang bin ich hängebeblieben:
    Zitat: ‘Jede davon hat ihre eigenen Gründe, aber keine von ihnen ist herzlos, kinderfeindlich oder verantwortungslos.’

    Mich stört etwas daran – denn selbst wenn eine Frau herzlos, kinderfeindlich oder verantwortungslos ist und eine Abtreibung vornehmen lässt (was es mit Sicherheit auch gibt), wäre das dann zu verurteilen? Ist eine Abtreibung nur dann ok, wenn sich die Frau mit der Entscheidung schwer tut?

    Oder wäre es nicht gerade sinnvoll, dass eine herzlose, kinderfeinliche oder verantwortungslose Frau ein von ihr unerwünschtes Kind nicht austrägt?

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