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Breaking News: Schwangerschaftsabbrüche sind OK für die weibliche Psyche

Eine neue Studie belegt einmal mehr: Schwangerschaftsabbrüche führen nicht zwangsläufig zu psychischen Schäden. Wozu brauchen wir solche Studien überhaupt noch?, fragt sich unsere Kolumnistin Helen Hahne heute in ihrer Politikkolumne „Ist das euer Ernst?“.

Das entscheidende Gefühl nach Schwangerschaftsabbrüchen: Erleichterung

Letzte Woche berichteten viele Medien über eine amerikanische Studie, die im Journal „Social, Science und Medicine“ veröffentlicht wurde und untersucht hat, wie es Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch geht. Über einen Zeitraum von fünf Jahren haben die Forscherinnen 667 Frauen begleitet und immer wieder abgefragt, wie es ihnen mit der getroffenen Entscheidung geht. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie: Ein hoher Prozentsatz der Frauen hat die Abtreibung über die fünf Jahre immer als richtige Entscheidung empfunden – und nach fünf Jahren konnten das 99 Prozent der Befragten für sich bestätigen, Erleichterung war die am häufigsten gefühlte Emotion in den fünf Jahren nach der Abtreibung, schlecht ging es den Frauen mit ihrer Entscheidung vor allem, wenn sie Angst haben mussten, für den Schwangerschaftsabbruch sozial geächtet zu werden.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die psychischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs für die befragten Personen vor allem mit ihrem persönlichen und sozialen Kontext zusammenhängen und nicht mit dem Abbruch an sich. Wenn die Teilnehmende also in einem Umfeld lebt, in dem Abtreibungen kritisch gesehen werden, kann das einen Effekt auf ihre psychische Verfassung nach der Abtreibung haben. Das hat dann aber nichts mit dem Eingriff selbst zu tun.

219a zieht vor das Verfassungsgericht?

„No shit, Sherlock“! , möchte man rufen. Das ist bei weitem nicht die erste Studie, die zu diesen Ergebnissen kommt. Und trotzdem scheinen die Fakten auch in Deutschland noch nicht angekommen zu sein. Bilderbuchhaft konnte man das im vergangenen Jahr beobachten, als Paragraf 219a, der sogenannte Werbung (die eigentlich Information heißt) über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen unter Strafe stellt, neu diskutiert wurde. Der Bundesregierung gelang ein (lächerlicher) Kompromiss, der weiterhin verhindert, dass Schwangere sich gut informieren können und der Ärzt*innen, die auf ihren Internetseiten erwähnen, welche Form von Abbruch sie durchführen, weiter kriminalisiert. Und Teil des Kompromisses war eben auch die Umsetzung einer groß angelegten Studie zu den vermeintlichen psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen.

Der Gesundheitsminister Jens Spahn hat für seine Studie vom Bundeskabinett fünf Millionen Euro bereitgestellt bekommen. Seit September 2019 ist immerhin klar, dass die Studie nicht nur – wie anfangs von Spahn angedacht – die „seelischen Folgen“ von Schwangerschaftsabbrüchen untersuchen, sondern auch die medizinische Versorgungslage in den Blick nehmen soll. Fünf Millionen Euro, die man viel sinnvoller investieren könnte: Man könnte damit zum Beispiel Demokratieprojekte fördern, die versuchen zu verhindern, dass rechtspopulistische Kräfte bald tatsächlich in Regierungsverantwortung sind. Denn dann würde es auch für die reproduktiven Rechte von Frauen düster aussehen. Nur so eine Idee.

Der einzige Hoffnungsschimmer für eine Verbesserung der gesetzlichen Regelung zu 219a sind derzeit Klagen zweier Ärztinnen gegen das Informationsverbot: Kristina Hänel und Bettina Gaber. Beide wurden wegen Informationen, die sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen, verurteilt und beide wollen deshalb vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Was Gebärfähigen wirklich helfen würde

Während darauf gewartet wird, könnten all die Menschen, die sich offenbar große Sorgen um die psychische Gesundheit von Frauen (und anderen gebärfähigen Menschen) machen, die Dinge auf die Agenda bringen, die wirklich für psychische und physische Gesundheit sorgen könnten: Studien zu Endometriose, zu den Folgen von verhinderten Schwangerschaftsabbrüchen, von illegal durchgeführten Abbrüchen, von sozialer Ächtung, weil sich Frauen und andere Menschen, die schwanger werden können, für ihr Recht auf Selbstbestimmung entscheiden. Oder: flächendeckende medizinische Versorgung, ein gutes psychosoziales Netz, faire Löhne, verlässliche Möglichkeiten, Kinder betreuen zu lassen, geteilte und entlohnte Care-Arbeit.

Reproduktive Rechte sind hochpolitisch

2018 wurden in Deutschland rund 101.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sind seit einigen Jahren stabil. In Deutschland und überall auf der Welt gilt: Das Verbot oder die strenge Regulierung von Abtreibungen führen nicht dazu, dass es weniger Abtreibungen gibt. Sie werden nur unsicherer, damit potentiell gesundheitsschädigend und im schlimmsten Fall lebensbedrohlich. Und der beste Schutz ist immer noch der Zugang zu Verhütungsmitteln und medizinischer Versorgung.

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben jedes Jahr 23.000 Frauen an den Folgen von unsicheren Abtreibungen. Dabei trifft es marginalisierte Menschen am härtesten. Der Stand der Gesetze zu Abtreibungen sagt viel über den Stand der Gleichberechtigung insgesamt aus. Ob Frauen und Mädchen (und andere Menschen, die schwanger werden können) ihre Ausbildung abschließen können, ob sie Teil der Gesellschaft sein können, ob sie ein Recht auf (körperliche) Selbstbestimmung haben. In 26 Ländern ist Abtreibung komplett verboten, in 39 ist sie nur erlaubt, um das Leben der Gebärenden zu retten. In 56 Ländern dürfen Abbrüche durchgeführt werden, um die physische oder psychische Gesundheit zu bewahren (unter diese Regel fällt zum Beispiel Polen), in 14 Ländern, wenn soziale oder ökonomische Voraussetzungen nicht gegeben sind. Und in 67 Ländern (unter anderem Deutschland) gilt die sogenannte „Fristenregel“, bei der Abtreibungen in einem bestimmten Zeitraum (meistens 12 Wochen) zumindest straffrei bleiben oder legal sind.

Angriffe von rechts

Die bittere Wahrheit ist: Körperliche Selbstbestimmung für gebärfähige Menschen ist und bleibt Verhandlungssache. Bereits gewonnene Rechte sind keinesfalls sicher. Beispielhaft ist das gerade in Polen zu beobachten. Aber auch in Deutschland befinden wir uns in einer politischen und gesellschaftlichen Phase, in der Aktivist*innen für mehr und umfassende Selbstbestimmung von Schwangeren kämpfen und gleichzeitig versuchen müssen, die bereits errungenen Kompromisse gegen Angriffe von rechts und aus christlich-konservativer Richtung zu verteidigen. Während für ein besseres Morgen gekämpft wird, muss gleichzeitig der Angriff von einem rückständigen Gestern verteidigt werden. Reproduktive Rechte sind deshalb hochpolitisch. Sie sind wichtige Indikatoren für den Zustand einer Gesellschaft. Und dürfen auch deshalb nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Am 22. Januar 2020 war der Jahrestag von „Roe v. Wade“ in den USA: Der Fall vor dem Obersten Gerichtshof, der den Schwangerschaftsabbruch 1973 unter das Recht auf Privatsphäre stellte und damit das Recht auf eine sichere und legale Abtreibung in der Verfassung verankerte. Expert*innen sehen Roe v. Wade heute durch unterschiedliche Gesetzesmaßnahmen einzelner Staaten und eine mögliche Neuaufrollung der Entscheidung gefährdeter als jemals zu vor. Auch in den USA stehen also bereits erkämpfte Rechte auf körperliche Selbstbestimmung wieder zur Disposition.

Im amerikanischen „Bitch“-Magazin (Leseempfehlung!) ist gerade ein Artikel über sogenannte „Clinic escorts“, also Personen, die Menschen auf dem Weg in eine Abtreibungsklinik begleiten, um sie von den Protesten von Abtreibungsgegner*innen zu schützen, erschienen. Bei der Begleitung tragen die Freiwilligen eine Weste, auf der steht „Clinic Escort Volunteer“. Die Autorin, die selbst eine freiwillige Begleiterin ist, schreibt am Ende: „Menschen werden immer Abtreibungen brauchen, und Menschen werden dabei immer Unterstützung brauchen. Die Art der Klinikbegleitung wird sich vielleicht ändern, wenn die Gesetze sich verändern; aber die Idee hinter dem Westen-Job wird bleiben.“

Das ist das Versprechen, das man gebärfähigen Menschen geben kann. Es wird immer ein Support-System geben, auch im Verborgenen. Aber je verborgener es ist, umso gefährlicher wird es. Die körperliche Selbstbestimmung von Frauen und anderen Menschen, die schwanger werden können, wird immer noch als verhandelbar angesehen. Und deswegen muss weiterhin jede Studie Aufmerksamkeit bekommen, die einmal mehr belegt, dass Schwangerschaftsabbrüche keine psychischen Spätfolgen nach sich ziehen. Die Wahrheit ist: Schwangerschaftsabbrüche dürfen für die betroffene Person traurig sein. Sie dürfen aber erleichtern. Sie dürfen glücklich machen. Sie dürfen viele Gefühle auslösen. Und sie dürfen keine Gefühle auslösen. Nur eines dürfen sie nicht sein: verboten.

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