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Arbeiten im Niedriglohnsektor: Weniger als 10,80 Euro die Stunde – wie soll man davon leben?

Ein Viertel aller Beschäftigten in Deutschland arbeitet im sogenannten Niedriglohnsektor, also für Löhne, die kaum zum Leben reichen. Besonders betroffen davon sind Frauen, Migrant*innen und Menschen, die sich gegen unfaire Bezahlung nicht wehren können. Warum ist das so?

Arbeiten für weniger als 10,80 Euro

Fast acht Millionen Menschen oder 22,5 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten im sogenannten Niedriglohnsektor. Das zeigen Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) von 2019. Rechnet man dazu noch diejenigen Arbeitnehmer*innen, die einen Niedriglohn in einer Nebentätigkeit erhalten, also zum Beispiel neben ihrer hauptberuflichen Beschäftigung noch als Reinigungskraft oder Nachtwächter*in für weniger als 10,80 arbeiten, sind es sogar knapp 9 Millionen Beschäftigte oder 24,5 Prozent. Damit ist der Niedriglohnsektor zwischen 1995 (5 Millionen Beschäftigte) und 2017 (7,9 Millionen) um 46 Prozent gestiegen. Diese Menschen arbeiten für Löhne, die kaum zum Leben reichen.

Denn nichts anderes bedeuten Löhne, die (Stand 2017) unter 10,80 Euro liegen. Das ist die derzeitige Niedriglohngrenze. Sie ergibt sich aus dem Medianlohn des Bruttostundenlohns aller Beschäftigen. Der Medianlohn teilt alle Arbeitnehmer*innen in zwei Gruppen: die eine Hälfte erhält einen Stundenlohn über dem Medianlohn, die andere Hälfte darunter. 2017 lag
der Medianlohn in Deutschland bei 16,20 Euro. Zwei Drittel davon definieren die Niedriglohngrenze von 10,80 Euro. Die Konsequenzen eines solchen Stundenlohns: Das Gehalt reicht nicht zum Leben, die Arbeitnehmer*innen sind auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen und die Gefahr von Altersarmut steigt.

Und besonders betroffen von Niedriglöhnen sind Frauen und Migrant*innen. Wie ihre Realität aussieht hat kürzlich ein Beitrag der ARD-Sendung Monitor eindrücklich gezeigt.

Deutschland, Land der Niedriglöhne?

Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren der EU. Ursprünglich wurden Niedriglöhne gestärkt, um Menschen einen Einstieg in besser bezahlte Jobs zu ermöglichen. Die Idee war (oder wurde zumindest so beschrieben), dass Menschen nur kurze Zeit in Niedriglohnjobs arbeiten und dann – ganz im Sinne der sozialen Mobilität – aufsteigen können. Hat das funktioniert? Die Forscher*innen des DIW sind sich einig: Nein. „Dass der Niedriglohnsektor lediglich als Übergang oder gar als Sprungbrett gilt, erweist sich für die meisten als Illusion. Vielmehr gibt es eine Niedriglohnfalle. Die Politik sollte darauf hinwirken, dass der Niedriglohnsektor eingedämmt wird“, wird der Wissenschaftler Markus M. Grabka in der Studie zitiert. Die Studie zeigt: Beinahe zwei von drei Menschen, die für Niedriglöhne arbeiten, bleiben mittelfristig in diesem Sektor.

Warum Frauen besonders häufig in diesem Sektor arbeiten? Ein Grund dafür ist, dass Niedriglöhne besonders stark in sogenannten frauentypischen Berufen üblich sind und Frauen auch in sogenannten männertypischen Berufen schlechter bezahlt werden als Männer. Außerdem arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit, um private Care-Arbeit leisten zu können, sich um Haushalt und Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Ein Modell, dass durch das Ehegattensplitting staatlich sogar gefördert wird, das aber für die Frauen erhebliche negative Konsequenzen hat: Abhängigkeit vom Partner, drohende Altersarmut und das Feststecken in einer Situation, in der der eigene Lohn nicht zum Leben reicht, sind nur drei dieser Aspekte. Und eine Situation, die sich für Alleinerziehende noch einmal dramatischer darstellt.

Wir müssen über gerechte Bezahlung sprechen

Die renommierte Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger forderte vor ein paar Monaten in ihrer Kolumne in der Süddeutschen Zeitung: „Es wird Zeit, die persönlichen und gesellschaftlichen Kosten von schlechter Arbeit endlich in den Blick zu nehmen. Denn nicht nur Arbeitslosigkeit belastet Staat, Gesellschaft und Menschen – auch die Erwerbsarmut birgt immense Kosten für uns alle“. Schaut man sich die aktuellen Zahlen des DIW an, wird deutlich, wie dringend wir ein System brauchen, das es Menschen, die sich nur schwer wehren können und die besonders abhängig von ihren Jobs sind – und das sind nun einmal oft Alleinerziehende, Frauen, Migrant*innen und junge Menschen – ermöglicht, von ihrem Lohn zu leben. Und zwar ohne andauernde Existenzängste. Dazu ist eine Lohnpolitik notwendig, die die Arbeitnehmer*innen in den Mittelpunkt rückt, aber auch eine Diskussion über radikale Neuverteilung von (unbezahlter) Care-Arbeit und eine Stärkung der Rechte und Sicherheit von Arbeitnehmer*innen.

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