Foto: Priscilla du Preez | Unsplash

Sterilisation mit 23: „Nur weil ich eine Frau bin, habe ich keinen angeborenen Kinderwunsch“

Für Lysann ist ihre Sterilisation eine Frage der Selbstbestimmung. Doch viele Ärzt*innen lehnen den Eingriff bei Menschen mit Uterus unter 30 und ohne Kinder ab.

„Sie werden die Entscheidung später noch bereuen“

„Ich bin unfruchtbar.“ Dieser Satz ist für Lysann unglaublich schön. Sie weiß, dass das makaber klingt. Doch der Gedanke, dass ein Kind in ihr heranwächst, dass sie dieses Kind gebären muss, es erziehen muss, der sei für sie nur abschreckend, sagt die 23-Jährige. Keine Kinder zu wollen, ist für Lysann schon lange klar. „Nur weil ich eine Frau bin, habe ich keinen angeborenen Kinderwunsch.“ Dass sie auch einen Arzt gefunden hat, der den Eingriff bei ihr durchführte, ist ungewöhnlich. Denn viele Gynäkolog*innen lehnen eine Sterilisation bei Menschen mit Uterus unter 30 und ohne Kinder ab.

Diese Erfahrung hat auch Melissa gemacht. Sie ist 26 und hat sich vor ein paar Monaten sterilisieren lassen. Drei Jahre hatte sie da bereits nach einer*m Ärzt*in gesucht. Bis zu 600 Kilometer waren die Praxen, die sie kontaktierte, von ihrem Wohnort entfernt. Alle hätten Nein gesagt. „Wie viele es genau waren, kann ich gar nicht mehr sagen“, sagt Melissa. Die gängigsten Gründe für die Absagen: Zu jung, noch keine Kinder und sie werde ihre Entscheidung später bereuen. „Wieso darf man, auch als junge Frau, nicht selbst über seinen Körper entscheiden? Weil man unter 35 nicht zurechnungsfähig ist?“, schreibt Melissa in einem Post auf Facebook. „Es ist deprimierend, sich durch einen Dschungel von Gynäkologen und Kliniken zu kämpfen und von jedem belächelt und abgewiesen zu werden.“

Ärzt*innen sind nicht verpflichtet, eine Person zu sterilisieren

In Deutschland kann man sich mit 18 Jahren sterilisieren lassen. Dabei gelten erst mal dieselben Regeln wie bei jeder anderen Operation auch: Der*die Patient*in muss mündig sein, sich aus freien Stücken für den Eingriff entscheiden und über die Folgen und mögliche Risiken aufgeklärt werden. Der*die Ärzt*in muss erkennen, dass die Person überblickt, was die OP für ihr weiteres Leben bedeutet. Gynäkolog*innen sind jedoch nicht verpflichtet, eine Sterilisation durchzuführen und können sie ablehnen, wenn sie Bedenken haben.

So erklärt es auch Christian Albring, Gynäkologe und Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte gegenüber Deutschlandfunk Nova. Die Sterilisation sei eine Ermessensleistung, weil es sich nicht um eine lebensnotwendige OP handle. Etwas anderes wäre es, wenn eine Frau durch eine Schwangerschaft in eine bedrohliche Lage käme.

Albring gibt zu Bedenken, dass die meisten Frauen in Deutschland ihr erstes Kind durchschnittlich mit 30, 31 Jahren bekommen. Viele Frauenärzt*innen, so Albring, hätten bereits erlebt, dass Frauen ihre Sterilisation im Nachhinein bereuen. Zum Beispiel, wenn sie einen neuen Partner haben. Er empfehle deshalb die Sterilisation des Mannes, eine Vasektomie. Die sei einfacher durchzuführen, günstiger und, wenn gewünscht, auch leichter rückgängig zu machen.

Dass es für Männer einfacher ist, sich sterilisieren zu lassen, ist auch die Erfahrung von Katia von der Heydt, Mitbegründerin des Leipziger Vereins Selbstbestimmt steril e.V. Hier können sich Menschen mit Uterus über Sterilisationen informieren und sich unter anderem in einer Facebookgruppe austauschen. Katia sagt: „Es gibt Verzeichnisse im Internet, in denen man Ärzt*innen finden kann, die eine Vasektomie durchführen. Teilweise müssen Urolog*innen Geld bezahlen, um dort geführt zu werden. Für Sterilisationen gibt es das nicht. Das ist nicht fair.“

Sucht man beispielsweise im Onlineportal jameda nach Ärzt*innen, die Vasektomien durchführen, erhält man deutschlandweit 512 Treffer. Gibt man hingegen Sterilisation als Suchbegriff ein, spielt jameda dieselbe Liste aus – allerdings handelt es dabei eben um Urolog*innen, die Vasektomien durchführen, und nicht um Gynäkolog*innen, die sterilisieren.

Unser Ziel ist nicht, dass alle Gynäkolog*innen Sterilisationen anbieten, sondern dass die Menschen, die diesen Wunsch haben, ernst genommen werden.

Katia von Selbstbestimmt steril e.V.

Selbstbestimmt steril e.V. wurde von Frauen zwischen 21 und 31 Jahren gegründet, die entweder selbst schon sterilisiert sind oder den Wunsch haben. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich. Doch zusammengeführt hat sie die gemeinsame Erfahrung, dass es gerade als junge Person mit Uterus schwer ist, eine*n Ärzt*in zu finden. Das wollen sie ändern – mit einer Karte, auf der mit Einverständnis der jeweiligen Gynäkolog*innen Praxen aufgeführt werden, in denen Menschen mit Uterus sterilisiert werden können. „Unser Ziel ist nicht, dass alle Gynäkolog*innen Sterilisationen anbieten, sondern dass die Menschen, die diesen Wunsch haben, ernst genommen werden“, sagt Katia.

„Irgendwann willst du Kinder“

Lysann kann zwar nachvollziehen, dass manche Gynäkolog*innen den Eingriff nicht durchführen wollen. „Viele versuchen aber auch nicht, uns nachzuvollziehen. Wenn Ärzte sagen ‚Irgendwann willst du Kinder‘, dann wird einem doch etwas in den Mund gelegt. Das finde ich ziemlich dreist.“

Katia und ihre Kolleginnen von Selbstbestimmt steril e.V. nennen das die magische Fünf-Jahresregel: „Warten Sie noch fünf Jahre, dann haben sie bestimmt einen Kinderwunsch. Spätestens, wenn der*die Traumprinz*essin kommt“, heiße es oft. So als würde zumindest dann doch jede*r Kinder wollen. Dass abgeschlossene Familienplanung eben auch heißen kann, dass jemand gar keinen Nachwuchs möchte, scheint für viele schwer zu verstehen, so Katia. Sicherlich gebe es auch Menschen, die ihre Sterilisation später mal bereuen. „Aber das ist die Kehrseite der Selbstbestimmung. Man entscheidet sich eben manchmal auch einfach falsch. Darüber muss man sich bewusst sein, wenn man diese OP durchführen lässt“, sagt Katia.

Wenn Ärzte sagen ‚Irgendwann willst du Kinder‘, dann wird einem doch etwas in den Mund gelegt. Das finde ich ziemlich dreist.

Lysann

In Lysanns Fall half ein psychologisches Gutachten. „Ich denke, ohne hätte ich keine Chance gehabt, weil ich eben aus Sicht vieler Ärzte zu jung bin.“ Darin bescheinigte ihr eine Therapeutin, dass sich die 23-Jährige im Klaren über die Tragweite ihrer Entscheidung ist. Eine Absicherung für die Gynäkolog*innen. Auch bei Melissa verlangte die Klinik, in der sie sterilisiert wurde, ein solches Gutachten. Die Kosten dafür musste sie selbst tragen. Seit 2004 ist eine Sterilisation außerdem keine Kassenleistung mehr, wenn der Eingriff nicht medizinisch notwendig ist. Die OP kann zwischen 400 und mehr als 1.000 Euro kosten.

Hormonfrei leben und verhüten

Lysann erinnert sich noch gut an den Moment, als sie nach dem Eingriff im Mai 2019 aufwachte und an ihrem Bauch die drei OP-Pflaster ertastete. Ein Glücksmoment, sagt sie. Bis heute fällt es ihr aber schwer, sich in puncto Verhütung komplett auf die Sterilisation zu verlassen. Schließlich könne ihre Gynäkologin nicht ohne Weiteres nachsehen, ob ihre Eileiter noch dicht sind, so wie sich prüfen lässt, ob eine Hormonspirale oder Kupferkette noch korrekt sitzt.

Tatsächlich ist es so, dass eine Sterilisation, bei der die Eileiter nicht entfernt werden, keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Schwangerschaft bietet. Der sogenannte Pearl-Index, der beurteilt, wie sicher Verhütungsmethoden sind, gibt für die Sterilisation von Menschen mit Uterus den Wert 0,2 bis 0,3 an. Das bedeutet, dass zwei bis drei von 1.000 Personen schwanger werden, die ein Jahr lang das gleiche Verhütungsmittel nutzen. Allerdings fließt hier auch die weniger sichere Methode per Clip ein. Zum Vergleich: Für Kondome liegt der Pearl-Index bei zwei bis zwölf, für die Pille bei 0,1 bis 0,9.

Die Pille haben Lysann und Melissa mittlerweile beide abgesetzt. Hormonfrei zu verhüten, war für Melissa neben dem fehlenden Kinderwunsch ein wichtiger Grund für die Sterilisation. Seither hat sie keine Migräne mehr und fühlt sich fitter. Durch die Entfernung der Gebärmutterschleimhaut bekommt sie außerdem ihre Periode nicht mehr, die bei ihr bis dahin sehr unregelmäßig und mit extremen Schmerzen verbunden war. Lysann ist nach ihrer Sterilisation weiter in Gruppen in den sozialen Netzwerken aktiv und versucht, anderen jungen Menschen mit Uterus Mut zu machen. Sie hofft, dass das Thema bald mehr toleriert wird und Ärzt*innen denen, die diesen Wunsch haben, unvoreingenommen begegnen.

An ihrer rechten Hand hat sich Lysann das Datum 17.05.2019 tätowieren lassen. Es ist das Datum ihrer Sterilisation.

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Was passiert bei einer Sterilisation?

In Deutschland gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine Person mit Uterus zu sterilisieren:

  • Die Eileiter werden durchtrennt und anschließend teilweise oder komplett entfernt,
  • die Eileiter werden verödet,
  • oder die Eileiter werden mit einem Clip verschlossen oder abgebunden. Diese beiden Formen sind eher selten.

Bei Lysann und Melissa wurden die Eileiter jeweils verödet. Beide Frauen haben außerdem eine Endometriumablation durchführen lassen. Das bedeutet, dass ihre Gebärmutterschleimhaut entfernt wurde.

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In diesem Text wird bewusst nicht von Frauen mit Sterilisationswunsch geschrieben, sondern von Menschen mit Uterus. Damit schließen wir auch nicht-binäre, inter und trans Personen ein. Denn die Voraussetzung für eine Sterilisation ist nicht, eine Frau zu sein, sondern einen Uterus zu haben.

Der Originaltext von Nina Monecke ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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