Ohne Hebamme im Wochenbett, keine Geburtsstation in der Nähe, eine traumatische Geburt. Die Entwicklung in der Geburtshilfe hat viele negative Folgen – für Frauen und Hebammen. Die Bloggerin Janina Weser ruft nun Eltern dazu auf, ihre Geschichten #ohneHebamme zu teilen und das Thema sichtbarer zu machen.
Schlechte Versorgung von Schwangeren und Müttern
Das Thema ist nun breit in den Medien angekommen, denn die Situation für werdende und frische Eltern in Deutschland wird immer schlechter: Überfüllte Kreißsäle in Kliniken, wo Frauen auf dem Gang die Wehen veratmen und Hebammen mehrere Geburten gleichzeitig betreuen müssen. Lange Anfahrtswege zu Geburtsstationen und Babys, die in Autos zur Welt kommen. Mütter, die trotz Anspruch darauf keine Hebamme für die Nachsorge im Wochenbett finden – alleingelassen mit Stillproblemen und Fragen rund um ihr Neugeborenes.
Die Situation in der Geburtshilfe ist seit Jahren unter den Betroffenen ein Thema. Die Petition zur Sicherung der Hebammen war 2010 die erfolgreichste Petition an den Deutschen Bundestag mit mehreren Hundertausend Unterschriften. Geändert hat sich seit dem die Lage vor allem zum Negativen: Kleinere Geburtsstationen schließen, weil sie als nicht wirtschaftlich beurteilt werden. Hebammen geben ihren Beruf auf, weil sie von ihrer Arbeit nur schlecht leben können – mit dem Effekt, dass Eltern allein dastehen.
Die Bloggerin Janina Weser, die als „Perlenmama“ schreibt, hat Eltern nun zur Blogparade #OhneHebamme aufgerufen, um dem Thema mehr Sichtbarkeit zu geben und zu zeigen, wie essentiell Hebammen für Familien sind, wenn ein neues Kind dazu kommt. Wir haben mit Janina darüber gesprochen, warum sie sich für das Thema stark macht und wie ihr mitmachen könnt.
Welche Bedeutung hatten Hebammen für dich bei der Geburt deiner Kinder?
„Bei der Geburt meiner ersten Tochter ging sehr viel schief. Damals hatte ich keine Beleghebamme gefunden und die Hebamme im Krankenhaus war leider nur mit halbem Herzen bei der Sache. Die Chemie passte auch einfach nicht und als die Geburt dann leider im Notkaiserschnitt endete, gab sie mir die Schuld. Das war sehr schlimm für mich. In der zweiten Schwangerschaft fand ich sehr schnell eine Hebamme, die mich dann die Schwangerschaft hindurch begleitete und aktiv versuchte, mit mir mein Trauma zu bewältigen. Mit ihr konnte ich dann eine wunderschöne und selbstbestimmte natürliche Geburt erleben. Ohne sie hätte ich das nie geschafft.“
„Beide Male hat mich meine Hebamme stark gemacht.“
Viele Frauen finden schon jetzt keine Hebamme, die sie im Wochenbett betreut. Wie wäre das Wochenbett für dich ohne Hebamme als Ansprechpartnerin verlaufen?
„Bei beiden Kindern war ich schon im Wochenbett alleinerziehend. Daher war die Betreuung durch eine Hebamme in dieser Zeit für mich essentiell. Es war super und ich weiß nicht ,wie ich es ohne sie geschafft hätte. Besonders bei meiner ersten Tochter war ich der Nachsorge-Hebamme extrem dankbar für ihre Unterstützung. Jede frische Mutter bzw. Elternpaar sollte diese Unterstützung garantiert bekommen. Es ist so viel mehr als das Kind zu wiegen und Stilltipps zu geben. Beide Male hat mich meine Hebamme stark gemacht und mir gezeigt, dass das Bauchgefühl schon ein sehr guter Kompass ist und dass ich Vertrauen in mich selber als Mutter haben soll und kann.“
Die Entwicklung in der Geburtshilfe, die viele Hebammen zur Berufsaufgabe zwingt und kleinere Geburtsstationen schließen lässt, ist seit Jahren ein akutes Problem. Bist du wütend?
„Wütend ist der beste Ausdruck. Und enttäuscht. Es ist einfach so unverständlich. Es ist keine Arbeit, die durch Maschinen ersetzt werden kann. Und es ist einfach ein geschlechtsspezifisches Thema. Die derzeitige Entwicklung lässt mich denken (und empfinden), dass wir Frauen und unsere Geburtserlebnisse einfach nicht wichtig sind. Es verleitet mich sogar zu der pauschalen Aussage: ,Große Entscheidungen werden nach wie vor zum größten Teil von Männern getroffen und denen ist dieses Thema einfach egal!‘ Viele Gespräche mit Männern – die meisten davon selbst Väter – haben mir aber gezeigt, dass dies nicht unbedingt der Fall ist. Aber ich frage mich wirklich, wie es sonst zu dieser Entwicklung kommen konnte. Und dieses Unverständnis macht mich sehr wütend, ja.“
Bist du selbst politisch engagiert bzw. hat das Thema „Gute Betreuung in der Schwangerschaft und bei der Geburt“ für dich Relevanz beim Thema Wahlentscheidung 2017?
„Während meines Studiums habe ich gelernt wie wichtig es ist sich für die Dinge zu engagieren und einzusetzen, die einem wichtig sind. Damit habe ich seither nicht aufgehört. Dieses Thema wird in der Tat meine Wahlentscheidung dieses Jahr beeinflussen und ich bin gespannt, wie es sich in Anbetracht der kommenden Wahlen nun entwickeln wird.“
„Gemeinsam ist man immer stärker und lauter als allein, daher versuche ich andere Frauen dazu zu motivieren, mitzumachen.“
Du rufst jetzt andere Mütter zu einer Blogparade auf: #OhneHebamme. Was hat dich dazu veranlasst, was versprichst du dir davon und was waren erste Reaktionen?
„Ich befinde mich derzeit selbst noch im Wochenbett (meine zweite Tochter wurde Ende Januar geboren) und das zweite, so wunderbare Geburtserlebnis ist noch sehr frisch. Meine Hebamme und ich unterhielten uns bei einem Nachsorgetermin über die neusten Entwicklungen. Und da ich gerade erst erleben durfte, was für einen Unterschied es macht, eine mir vertraute Hebamme bei der Geburt dabei zu haben, brach mein Herz für all die Frauen, denen dies verwehrt bleiben könnte, sollten die Krankenkassen ihre derzeitigen Überlegungen wahr machen. Daher entschied ich mich meine Stimme und meine Reichweite dazu zu nutzen, für Hebammen, die tagtäglich für Frauen einstehen und ihnen bei ihren wichtigsten Erlebnissen zur Seite stehen, einzustehen. Und da ich weiß, dass man gemeinsam immer stärker und lauter ist als allein, habe ich versucht andere Frauen dazu zu motivieren, mitzumachen. Bisher war die Resonanz überwältigend. Viele Frauen und auch viele Lobby-Organisationen haben sich bei mir gemeldet um mitzumachen. Sei es um die Aktion zu teilen oder um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Ich hoffe, dass dieses Thema so noch lauter wird. So laut, dass es unsere Lobby stärkt und die Politiker da oben es als ein wichtiges Thema ansehen. So wichtig, dass es in Wahlprogramme mit aufgenommen wird, öffentlich diskutiert wird und sich dann hoffentlich die Situation für Gebärende und Hebammen wieder etwas entspannt.“
Du rufst aber auch Väter auf, sich zu beteiligen.
„Ja, ich rufe natürlich nicht nur die Mütter auf, ihre Geschichte zu erzählen, ich finde es auch wichtig, dass sich die Männer zu Wort melden und erzählen, warum die Arbeit der Hebammen für sie unter der Geburt ihrer Kinder und während der Wochenbettzeit wichtig war. Ich glaube nämlich, dass dies auch der Politik zeigt, dass es nicht nur um weibliche Wählerstimmen geht, sondern dass es ein wichtiges Thema für alle ist, die ein Kind oder mehrere Kinder haben oder haben möchten. Es ist einfach nicht nur ein Frauenthema. Leider fühlt es sich aber oft an, als würde es quasi darauf reduziert. Und dem möchte ich entgegenwirken. Einmal, indem Frauen ihre Geschichte erzählen, wie sie #ohneHebamme abgelaufen wäre und zum anderen, indem Männer aufzeigen, dass es eben nicht nur ein wichtiges Thema für werdende Mütter ist, dass man von einer vertrauten Hebamme unterstützt wird. Ich hoffe, dass wir so gemeinsam laut werden und unsere Lobby und die der Hebammen so stärken.“
Janina ist studierte Grundschullehrerin und Sozialpsychologin und alleinerziehende Mama von zwei Kindern. Ihr könnt mehr über die Blog-Aktion #OhneHebamme auf ihrem Blog „Perlenmama“ lesen und euch mit euren Geburtsgeschichten beteiligen und euch für eine gute Geburtshilfe einsetzen.
Beteiligt euch
Die Bloggerin Katha von „Kurmel mal 5“ hat sich schon mit dem Text „#OhneHebamme – Blogparade – mein Vergleich zwischen Beleg- u. Klinik- Hebamme“ beteiligt und uns erzählt: „Ich nehme an der Blogparade teil, weil ich denke, dass die Thematik Geburtshilfe und Hebamme noch viel mehr Beachtung braucht. Viele Menschen, sei es die ,normale Gesellschaft‘, die Politik oder die Krankenkassen, scheinen nicht zu wissen oder zu verstehen, wie wichtig die Hebamme oder Beleghebamme bei der Geburtshilfe ist. Es ist für eine Frau immens wichtig, dass sie sich bei der Geburt, was wirklich eine anstrengende, schmerzhafte und emotionsgeladene Angelegenheit ist, sicher fühlt. Eine Hebamme vermittelt diese Sicherheit. Eine Hebamme, gerade eine Beleghebamme, die eine gebärende Frau bereits während der Schwangerschaft begleitet hat, baut eine hohe Vertrauensbasis auf. Eine Gebärende fühlt sich unter der Entbindung besser, wenn ihr jemand zur Seite steht, der sich auskennt und ihr wichtig ist. Einer Beleghebamme öffnet man sich im Vorfeld. Man berichtet Ihr von eventuellen Ängsten oder Befürchtungen und die Hebamme kann während der Geburt darauf eingehen und diese Ängste nehmen.“
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