Foto: Leah Kunz

Wann hören wir endlich auf, von „schlechter“ Haut zu sprechen?

In ihrer Kolumne schreibt Camille Haldner über all die Dinge, die ihr auf den Keks gehen. Dieses Mal: Kommentare über das Hautbild anderer Menschen und eine Industrie, die davon lebt, makellose Haut als Norm anzupreisen.

Pickel, Rötungen, Narben, Schuppen, Pigmentflecken, Ölglanz, erweiterte Poren, Ausschlag – die Liste an Merkmalen, die als Indikatoren für „schlechte Haut“ gelten, ist lang. Die Liste an Verletzungen, die Menschen aufgrund genau dieser Merkmale erfahren, ist länger. Das kann ich ziemlich selbstsicher sagen, denn: Ich spreche aus Erfahrung.

Meine früheste Erinnerung in Zusammenhang mit „schlechter Haut“: Schüler*innen, die sich im Sportunterricht vor der Neurodermitis an meinen Armen ekelten und lautstark befürchteten, sie sei ansteckend. Versuche, diese Bedenken auszuräumen, gingen unter in „Iih“-Rufen.

In der Oberstufe: Alberne Sprüche über eine angebliche BDSM-Vorliebe. Woher sollten diese strichlinienförmigen Hautrötungen an meinem Hals denn sonst kommen? Die Neurodermitis-Erklärung war den Witzbolden zu unspektakulär.

„Lass einfach das Make-up weg! Wenn deine Haut atmen kann, verschwinden die Pickel.“ Ein Klassiker, den wohl die meisten Menschen mit Akne auswendig kennen.

Viele werden auch die gut gemeinten, aber unerbetenen Kommentare kennen, wie „Ich kann dir eine tolle Kosmetikerin empfehlen“ oder „Du solltest keine Milchprodukte zu dir nehmen und die Creme XYZ verwenden, dann wird deine Haut besser“.

„Schlechte“ Haut – ein Problem, das es zu lösen gilt

In zahlreichen Artikeln, Social-Media-Posts und TV-Formaten wird „schlechte“ Haut als das Problem deklariert, das es zu lösen gilt. Stellvertretend für all die wunderbaren Ergüsse der Beauty-Industrie, hier ein absolutes Lowlight: Das „Glamour“-Magazin, das vergangenen Sommer bei Twitter verlauten ließ, für Erwachsenen-Akne gäbe es keine Entschuldigung. Shitstorm sei Dank, zeugen nur noch Screenshots im Netz von diesem unsäglichen Tweet.

Screenshot Tweet „Glamour-Magazin“

Heute kann ich mit mehr Leichtigkeit über dieses Thema sprechen. An guten Tagen wage ich mich sogar ohne Make-up aus dem Haus – etwas, das für mich viele Jahre unvorstellbar war. An schlechten Tagen erwische ich mich noch immer beim Impuls, mich für meine gefühlt „unansehnliche Haut“ entschuldigen zu wollen. Bis heute habe ich für Pflegeprodukte und Behandlungen wahrscheinlich die Anzahlung für ein Auto ausgegeben (ok, nicht ganz, aber ihr wisst schon), in der Hoffnung, meine Haut möge irgendwann dem propagierten Idealbild „normaler“, makelloser Haut entsprechen.

Sich trotz Makel in der eigenen Haut wohlfühlen? Fehlanzeige!

Warum ich und so viele andere Menschen mit „Hautproblemen“ Unwohlsein verspüren, hat mir kürzlich die Nachricht einer Kollegin in Erinnerung gerufen. Sie schickte mir einen Screenshot einer Instagram-Story, in der eine prominente Person in die Kamera sprach – zusammen mit den Worten: „Weißt du eigentlich, warum X so schlechte Haut hat?“ Bääm, da war sie wieder, die Bestätigung, dass man als Mensch mit „schlechter Haut“ zum Gesprächsthema wird.

Meine Kollegin meinte das nicht böse: Sie erklärte, dass sie einfach neugierig gewesen sei, ob Promi X die Akne und Ekzeme im Gesicht schon einmal adressiert hat. Dennoch wühlte mich ihre Nachricht auf und führt vor Augen, warum so viele Menschen ihren Körper auch im Hochsommer lieber mit langer Kleidung bedecken, als den Blick auf ihre nicht makellose Haut freizugeben; warum so viele Menschen ein Vermögen für Kosmetik ausgeben, in der Hoffnung, ihr Hautbild möge so perfekt werden wie in der Werbung; und warum es vielen schwer fällt, sich trotz „Makel“ in ihrer Haut wohlzufühlen. Nicht unerwähnt bleiben darf an der Stelle übrigens, dass für Schwarze Menschen und People of Color Rassismus als weitere Diskriminierungsdimension beim Thema Haut hinzukommt.

Das Stigma des Ungepflegt-Seins

Ich frage mich schon länger, was das überhaupt sein soll, „unreine“ Haut? Wie abwertend kann ein Bezeichnung eigentlich sein?!

Unsere Gesellschaft hat irgendwann entschieden, in „schlechte“ und „normale“, in „reine“ und „unreine“ Haut zu unterteilen. Was zur Folge hat, dass zahlreiche Menschen von Scham über ihr Hautbild geplagt sind. Mit dem Gebrauch solcher Begriffe manifestieren wir Bilder in den Köpfen. Bilder von zwei Gruppen von Menschen. Jene, die ihre Haut offenbar reinigen, sie richtig pflegen, sich stets gesund ernähren – und mit einem makellosen Hautbild belohnt werden. Und jene, die all das vermeintlich nicht tun – und deshalb mit Hauterscheinungen wie Pickeln, Rötungen, Narben gestraft werden.

Wenn es tatsächlich so einfach wäre, wie uns von allen Seiten vermittelt wird, gäbe es wahrscheinlich kaum noch Menschen mit „schlechter“ Haut – und auch keine blühende Industrie, die mit dem Verkauf von Hautpflegeprodukten Milliarden scheffelt. Auf dieses Stigma des Ungepflegt-Seins könnten die meisten Menschen mit Hautproblemen verzichten. Dass die ganze Sache viel komplexer ist und unser Hautbild von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird, bestätigte mir die Dermatologin Yael Adler im Interview: „Es gibt ganz viele Aspekte, die wir beachten müssen, wenn wir eine Haut beruhigen und für Besserung sorgen wollen. Wenn man einfach von außen mehr reinigt, wird die Haut nur kränker, weil dadurch die Hautbarriere zerstört wird.“

„Tatsächlich neigen Menschen mit Hautproblemen dazu, eher zu viel zu reinigen als zu wenig“, erzählt mir Dr. Yael Adler – und bestätigt damit meinen Eindruck, dass Menschen mit Akne und Co. entgegen aller Vorurteile sogar sehr penibel auf ihre Hautpflege achten – eben weil sie dem Stigma entkommen wollen. Die Dermatologin sagt: „Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir Menschen nicht die Schuld für ihren Hautzustand geben und einfach eine Pflegeempfehlung aussprechen, kombiniert mit der Behauptung, dadurch werde das schon. Das stimmt nicht.“

„,Normale‘ Haut ist ein Mythos“

Bei der Recherche für diese Kolumne habe ich mich auf die Suche nach dem Ursprung dieser Haut-Unterscheidungen gemacht, die implizieren, dass alles, was sich außerhalb eines bestimmten Spektrums bewegt, „nicht normal“ sei. Fündig wurde ich bei der Journalistin Jessica De Fino, die sich auf das Thema Haut spezialisiert hat und beschreibt, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts findige Marketingprofis erkannt haben, dass man Kosmetikprodukte ganz wunderbar an den Menschen bringen kann, wenn man ein Problem kreiert und so ein Bedürfnis schafft. Also wurden vier Hauttypen definiert: Ölige, trockene, normale und Mischhaut. Und damit war wahrscheinlich auch die Unterscheidung in „schlechte“ (weil ölig, trocken und gemischt) und „normale“ Haut geboren. Und auch mehr als hundert Jahre später nutzt die Beauty-Industrie diese Typisierungen munter weiter, um Produkte zu verkaufen.

Jessica De Fino, die die Beauty-Industrie in ihren Beiträgen kritisch beleuchtet, beschreibt, dass diese Typisierung viel zu kurz greift und dem Ganzen keine fundierte wissenschaftliche Basis zugrunde liegt. Auch die Dermatologin Yael Adler empfiehlt, wegzukommen von dieser versimplifizierten Typisierung: „,Normale‘ Haut ist ein Mythos. Ich würde dafür plädieren, statt von ,normaler‘ eher von ,gesunder‘ Haut zu sprechen.“

Pickel, Rötungen, erweiterte Poren, Trockenheit, Ölglanz, Entzündungen, Schuppen oder auch mal eine Blase sind laut Adler alles „normale“ Reaktionen einer gesunden Haut, „die viel zu schnell pathologisiert werden. Haut hat eine Funktion und ,normal‘ oder eben gesund ist eine Haut, die in der Lage ist, auf verschiedene Reize zu reagieren, die von außen oder innen auf sie einwirken.“ Die Dermatologin betont, dass diese Erscheinungen auf eine Gemengelage aus verschiedenen Aspekten zurückzuführen seien, die meist nicht mit einzelnen Produkten auf der Oberfläche behandelt werden können.

Kommentare herunterschlucken

Wir sollten also aufhören, über das Hautbild anderer Menschen zu urteilen und unerbetene Ratschläge und Kommentare zum Thema künftig herunterschlucken. Wir wissen nicht, was im Körper anderer Menschen vorgeht und warum deren Haut so aussieht, wie sie aussieht. Und wir wissen erst recht nicht, welche Wunden solche Bemerkungen aufreißen. Geschweige denn, ob wir damit nicht genau jene Ängste, jene Scham, die diese Personen eh schon mühsam mit sich herumschleppen, bestätigen.

Was wir viel eher tun sollten: Die von kapitalistischen Interessen getriebene Beauty-Industrie näher beleuchten, die sich von gesellschaftlichem Stigma und unseren Selbstzweifeln nährt und mit jedem Pickel, der auf irgendeinem Körper sprießt, weiter aufblüht. Der erste und zugleich wahrscheinlich wertvollste Schritt, diese Mechanismen auszuhebeln, wäre ein anderer Umgang untereinander und eine Absage an Medien und Unternehmen, die uns wegen unseres Hautbildes ein doofes Gefühl vermitteln.

P.S. Während ich diese Zeilen tippe, tanzt die Neurodermitis in meinem Gesicht und auf meinem Körper Tango – passend zum Anlass in einem flammend roten Kleid. Sie spiegelt, wie aufgeregt ich bin, über dieses Thema zu schreiben – und wie nah es mir geht. Ich freue mich, wenn ihr eure Erfahrungen mit mir teilt, egal ob per Mail an camille.haldner@editionf.com, via Social Media oder im Kommentarfeld.

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