Foto: Simone Hawlisch

BDSM: „Eine Ohrfeige kann genauso zärtlich sein wie ein Streicheln“

Für ihre sexuelle Vorliebe, sich ihrem Partner unterzuordnen, erfährt unsere Autorin immer wieder Verständnislosigkeit. Zeit, mit Vorurteilen über BDSM aufzuräumen.

Wann immer ich erzähle, dass ich mich meinem Freund mit Seele, Herz und Hingabe sexuell unterordne, flitzt ein Pfau durchs Bild und schlägt sein Rad. Es schimmert grün, es schimmert blau und dann sagt sehr oft jemand den folgenden Satz: „Aber … ist deine Beziehung nicht total unausgeglichen für dich?!“

Bei dieser Frage nimmt der Pfau neben mir Platz und hält mir seinen schlanken Hals zum Kraulen hin, und ich denke an Raymond Carver. Der amerikanische Meister der Short Story hat viele klug beobachtete Kurzgeschichten über Liebesbeziehungen geschrieben; die beste heißt „Der Pfau“ und beschreibt ein Dinner zweier befreundeter Paare. Die Gastgeber*innen halten einen Pfau, der sich mit dem Paar das Wohnhaus teilt. Die Besucher*innen sind zunehmend irritiert, derweil der Pfau frohgemut durch das Wohnzimmer stakst und gelegentlich gellend schreit. Für mich ist es eine Erzählung über die größte Wahrheit in jeder Beziehung: Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen eine Liebe funktioniert, lassen sich Außenstehenden kaum je vermitteln. Zumal in einer Sadomaso-Beziehung – also, Vorsicht bei Allergiker*innen – Spuren von Schmerz, Macht und Unterordnung enthalten sind.

Schluss mit Klischees

Auf die obige Frage habe ich nach einem Jahrzehnt gründlichen Überlegens eine gute Antwort gefunden. Zeit, mit beliebten Sadomaso-Klischees aufzuräumen.

„Deine Beziehung ist total unausgeglichen für dich.“

Ja. Stimmt. Meine Beziehung ist total unausgeglichen. Aber zu meinen Gunsten.  Jede Beziehung bedeutet, dass sich zwei oder mehr Partner*innen über die Verteilung ganz verschiedener Arten von Arbeit einig werden müssen: Erwerbs- und Care-Arbeit sind nur zwei Beispiele aus einer ganzen Palette von Arbeitsformen. Zu einer Liebesbeziehung gehört genauso die emotionale und die erotische Arbeit. Wer initiiert Sexualität? Wer trägt neue Phantasien und besondere Empathie für die Bedürfnislage des*der anderen in das gemeinsame Intimleben? Paarsexualität kann ziemlich anstrengend sein, es läuft nicht alles von allein, manchmal stottert der Motor und manchmal stirbt er für eine Weile ganz. 

Erotische Spannung braucht einen Resonanzraum im Alltag, um ihr Versprechen in unseren Köpfen knistern zu lassen. Mit meiner Selbständigkeit als Journalistin und meiner künstlerischen Arbeit als Schriftstellerin ist mein Kopf manchmal so angefüllt mit Gedanken, Ideen, Sorgen, dass dieses Knistern, das ich mir so wünsche, an einem besonders beschäftigten Tag zum nervigen Störsignal wird – oder ganz ausfällt. Weil mein Partner in seiner (meistens, denn wir wechseln uns auch ab) dominanten Rolle den Hauptteil der erotischen Arbeit übernimmt, sich also neue Szenarien für uns ausdenkt und auch an hektischen Tagen durch einen einfachen Blick oder eine Geste die Spannung zwischen uns aufrecht erhalten kann, macht mir unsere Paarsexualität keinen Stress, gerade wenn ich an vielen anderen Baustellen gleichzeitig arbeite. Das empfinde ich als großen Komfort und in der Tat als sehr unausgeglichen – und zwar für ihn.

Alles eine Frage der Definition

„Das tut doch weh!“

Erst einmal: Zärtlichkeit ist eine Frage der Definition. Die meisten Menschen verstehen unter Zärtlichkeit das, was sanft ist: ein weiches Streichen über die Haut des*der Partner*in, ein zarter Kuss. Ich finde: Eine Ohrfeige kann genauso zärtlich sein wie ein Streicheln. Es kommt darauf an, wie sie gemeint ist. Bei allem, was wir sexuell miteinander tun, ist die Intention entscheidend. Wenn ich weiß, dass mein*e Partner*in sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ich ihn schlage, ist eine Ohrfeige konsensuell, und meine Absicht dahinter eine liebevolle: Ich tue etwas, weil es ihm*r gefällt. Ein mechanisches Rückenstreicheln, die Gedanken dabei beim nächsten Einkaufszettel oder im letzten Meeting, finde ich wesentlich unzärtlicher als einen aufmerksam und empathisch ausgeführten Schlag mit der Peitsche.

Sadomaso ist die vielleicht achtsamste Art, sexuell miteinander umzugehen. Weil die Vorlieben häufig sehr spezifisch sind und manchmal nicht ganz gefahrlos durchzuführen, sind kopflose One-Night-Stands in dieser Szene eher ausgeschlossen. Bevor man etwas miteinander tut, unterhält man sich – und zwar ausführlich, in allen Details und mit einer Aufmerksamkeit für die*den jeweils andere*n, die mir in anderen Zusammenhängen selten begegnet ist.

Schräg ist eine Definitionsfrage

Und was den Schmerz angeht: Im Zustand der Erregung ist genau dosierter (!) Schmerz nichts anderes als ein Stimulus. Er tut auf eine ganz andere (gute) Weise weh als etwa ein Besuch beim Zahnarzt, spannt die Nerven bis fast zum Zerreißen und kann Orgasmen enorm intensivieren …

Sadomaso kann übrigens auch ohne jeglichen Schmerz auskommen: Für ein Spiel mit Macht und Unterwerfung ist es nicht einmal notwendig, sich überhaupt zu berühren. Viel spannender als die reine Körperlichkeit sind kleine erotische Anordnungen und Gesten, gerade wenn man sie am wenigsten erwartet. Ein Beispiel? Du kommst von einem Termin nach Hause, volle Einkaufstüten in der Hand, ein vermeintlich wichtiges Telefongespräch am Ohr – und dein Partner greift dir sanft, aber bestimmt in den Nacken und lässt dich zur Begrüßung ein paar ewig lange Minuten auf dem Boden knien. Klingt schräg? So ein Perspektivwechsel kann sehr entspannend sein (guck dir nur die Staubmäuse unterm Sofa nicht zu lange an), ja, fast ein spiritueller Moment: So fest auf dem Boden kannst du dich daran erinnern, dass in all der Alltagshektik unter dir immer etwas sein wird, das dich trägt – aus einem ähnlichen Grund trägt man in einigen Religionen eine Kopfbedeckung: Ein ständiges beruhigendes Memo, dass da etwas über dir ist.

„Schräg“ ist im Übrigen auch eine Definitionsfrage. Sie hängt viel mehr mit gelernten sozialen Normierungen zusammen als mit irgendeiner angeblichen Wahrheit über etwas, das sich an der herrschenden Konvention reibt.

Consent is key 

„Wer sich sexuell unterordnet, ist unfrei.“

Der dominante Part in einer Sadomaso-Beziehung, das glauben viele, ist derjenige, der über alles entscheidet. Der*die submissive Partner*in dagegen hat nichts zu melden. – Die Person, die sich unterwirft, mag zwar dann und wann einen Ballgag im Mund haben. Zu melden hat er*sie aber genauso viel wie der*die dominante Partner*in, wenn nicht gar mehr. Mit dem Ausleben jeder Phantasie ist sofort Schluss, sobald der*die offiziell Unterworfene sein Einverständnis zurückzieht. Und so bedrohlich ein Top auch auftreten mag:  Am Ende ist seine Rolle häufig nicht so sehr der des*r großen Dominators*Dominatrix, sondern der des*r Wunscherfüller*in für die Bedürfnisse des*r Sub.

Dominante Menschen sind oft besonders umsorgende Menschen, die ihrem*r Partner*in vor allem Gutes tun wollen – ob mit einer Nippelklemme oder mit einer langen Umarmung. Und ein*e Sub hat neben einer erfüllten Sexualität auch gleich ein philosophisches Paradoxon jeder menschlichen Existenz geknackt: Wirkliche Freiheit ist nur das Anerkennen von Grenzen – und wie man sich in ihnen bewegt, ohne sich daran zu stoßen.

Es ist zwar nicht einfach, den jeweiligen Pfau in einer Beziehung anderen zu erklären. Aber hier ist mein Vorschlag: Statt sich darüber zu wundern, dass er beim Abendessen auf dem Tisch sitzt, kann man gemeinsam die Farben seines Pfauenrads bewundern. Sie schillern mal grün, mal blau. Je nachdem, wie das Licht darauf fällt.

Glossar

BDSM: Sammelbezeichnung für eine Gruppe miteinander verwandter sexueller Vorlieben; eine Abkürzung für Bondage (deutsch: Fesselspiele) und Discipline (deutsch. Disziplinieren), Dominance (deutsch: Dominanz) und Submission (deutsch: Unterwerfung), Sadismus und Masochismus.

Sadomaso: Der Begriff Sadomaso setzt sich aus den zwei Wörtern Sadismus und Masochismus zusammen und ist eine sexuelle Spielart, bei der es vor allem um Schmerzen, Dominanz, Unterwürfigkeit, Demütigung und Macht geht.


Sub: Dabei handelt es sich um die*den devote*n (unterwürfige*n) Partner*in, der*die freiwillig einen bestimmten Teil seiner*ihrer Selbstbestimmung zum Lustgewinn aufgibt.

Dominator*Dominatrix: Der*die dominante (bestimmende) Partner*in, der den Reiz und die Erregung in der Kontrolle, der Macht über den*die Sub findet.

Ballgag: Eine Art Knebel, der in den Mund des Subs eingeführt wird, um sie*ihn am Sprechen zu hindern; besteht aus einem Ball aus Gummi mit 2 Riemen, die hinter dem Kopf verbunden werden.

Quelle: Wikipedia, BDSM-Lexikon Amorelie-Magazin

In ihrem Debüt-Roman „Der Defekt“ widmet sich Leona Stahlmann ebenfalls dem Thema BDSM und schreibt über das Aufwachsen mit einer von der Norm abweichenden Sexualität.

  1. “Sadomaso ist die vielleicht achtsamste Art, sexuell miteinander umzugehen.” C’est ça.
    Mangels passender PartnerIn habe ich kaum Gelegenheit, dies selbst auszuleben, habe aber Freunde, die Shibari, also die japanische Fesselkunst, ausüben. Ich durfte einige Male zusehen und habe den oben zitierten Satz genau bestätigt gefunden: Es ist eine einfühlsame, präzise Kommunikation, es ist Verantwortung und Hingabe, es kann ein Ritual sein, es kann auch Spaß an höherem Blödsinn sein (eine Frau stellte ihre Freundin auf ein Scateboard und hängte sie so auf, daß die Freundin wie in einem eingefrorenen Sprung von der Decke hin), es ist im Falle von Shibari höchst ästhetisch. Es kann ein ganzer Spannungsbogen erzählt werden, der von einem zarten Beginn über einen starken, gewollten, lustvollen Schmerz wieder dahin zurückführt, daß die Partnerin oder der Partner sanft aufgefangen wird. Wie gesagt, ich durfte zusehen, habe mich aber irgendwann abgewandt, weil es mich zu stark gerührt hat und mir auch zu intim war. Ich hatte den Eindruck zwei Menschen erlebt zu haben, die von einer Wolke aus Zärtlichkeit, Liebe und Lust umgeben waren.

  2. Liebe Leona,
    ich bin dir für deinen Artikel sehr dankbar!! Frauen, die auf BDSM stehen und offen darüber reden, sind absolut eine Seltenheit! Ich habe selbst erst im Laufe der Zeit meine Neigung dazu entdeckt, die letzten Endes zu einer Trennung meines bisherigen Partners geführt hat. Weil es ihn überfordert hatte und weil das Thema BDSM mit so vielen Vorurteilen belegt ist. Im Gespräch mit Bekannten darüber habe ich es auch erlebt, dass ich dafür verurteilt worden bin, keine “normale” Sexualität mit Blümchensex leben zu wollen. Deshalb Chapeau für deinen Artikel!! 🙂

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