Foto: Isaiah Rustad | Unsplash

Wir müssen nicht allen gefallen! – Warum nein sagen so wichtig ist

Insbesondere Frauen werden von klein auf dazu erzogen, gemocht werden zu wollen. Umso schwerer fällt es vielen, Grenzüberschreitungen anzusprechen und sich zu wehren. In ihrer neusten Kolumne schreibt Theresa Lachner darüber, wie wichtig es ist, selbstbewusst nein zu sagen, wenn wir nicht einverstanden sind. 

Nein sagen

Ich sitze mit einer Freundin im Café. Wir reden über Kreativität und den Tod, als ein Mann vom Nebentisch uns fragt, ob wir öfter hierherkommen, wie wir heißen, das Wetter, die Wahlen. Ich sage ihm, dass wir gerade mitten im Gespräch sind und uns nicht mit ihm unterhalten wollen.

Langstreckenflug, der Mittelsitz zwischen uns ist frei. Nach vier Wodka-Cranberry und zwei Baileys fragt mich der Typ vom Gangplatz, ob er sich neben mich setzen kann. Ich sage nein. Why? I like my space! Die restlichen drei Stunden des Flugs sind wir beide hauptsächlich damit beschäftigt, auf keinen Fall in die Richtung der anderen Person zu schauen.

Ich sitze auf einer relativ ehrwürdigen Bühne. Die Moderatorin Mitte 50 fragt mich, warum ich ständig Sex mit Unbekannten hätte, warum ich Menschen mit dieser Jugendsprache absichtlich ausgrenze, sie sagt, dass das ja eigentlich keine Literatur sei, was ich da mache. Ich halte dagegen, beschwere mich bei ihrer Vorgesetzten darüber, höre gestammelte Entschuldigungen und Ausflüchte, die ich mich weigere wegzulächeln.

Ich habe Sex. Ich sage: langsamer. Er macht schneller. Ich sage nochmal: ey, langsamer! Er macht genau so weiter. Beim dritten Mal stoße ich ihn von mir weg, schreie ihn an, dass er gehen soll, und zwar jetzt, sofort. Er fängt an rumzulamentieren, will ein Glas Wasser, bisschen quatschen, bisschen kuscheln, „jetzt sei doch nicht so, es war doch gerade so nett“. Ich stoße ihn raus, schlage die Tür hinter ihm zu und verriegle zweimal, reiße zitternd das Bettlaken runter, schnell in die Wäsche damit, weg, damit es bitte niemals passiert ist.

Diese scheiß Gefallsucht

Vier ziemlich unterschiedliche Situationen, die mir im letzten Jahr passiert sind. Vier Situationen, nach denen ich zittrig war vor Wut und Adrenalin, und gleichzeitig stolz. Stolz, weil ich es geschafft habe, meinen Raum zu verteidigen, meine Wünsche, meinen Körper, meine Würde und meine Grenzen. Und vier Situationen, nach denen mir eine andere Frau dazu gratuliert hat, wie gut ich das gemacht hätte, sie sei so neidisch, sie könne das ja nicht so einfach, diese scheiß Gefallsucht. Das sind die Momente, in denen mir wieder auffällt, wie gefangen wir noch immer sind.

Ich habe das selbst oft genug schmerzhaft am eigenen Leib erlebt. Wenn man als Frau sozialisiert ist, wird man dazu erzogen, gemocht werden zu wollen. Man hört, so wie ich, sein komplettes Leben lang, man solle sich nicht so anstellen, jetzt bitte nicht so hysterisch sein, sondern lieb, nicht so schwierig. „Ich weiß echt nicht, was du jetzt schon wieder hast, das hast du bestimmt nur falsch verstanden.“ Von klein auf werden unsere Grenzen so oft und so systematisch übergangen und verletzt, dass wir internalisiert haben, dass das normal sei. Wir nehmen es mit einem Schulterzucken hin, weil das oft eben auch einfacher ist und weniger anstrengend, als es auszusprechen und einfach mal auszudiskutieren. Uns wird systematisch das eigene Bauchgefühl kleingeredet.

Einfordern, was wir uns wünschen

Wenig hat mein Leben in so vielen Bereichen derart verändert wie der Beschluss, da nicht mehr mit zu machen. Aufzuhören mit dem Gefallenwollen. Weil mich – egal, wie ich mich verhalte – sowieso immer irgendwer ziemlich blöd finden wird und ich es deshalb primär mir selber recht machen muss. Und das geht nur, wenn ich auf mich höre, auf das, was mir gegen den Strich geht und das, was ich eigentlich haben möchte.

Das fängt bei den banalsten Momenten an: „Könnten Sie mir vielleicht noch Limette dazu bringen?“ „Hier, hinter den Ohren gern noch ein bisschen kürzer.“ „Entschuldigung, aber Sie sitzen auf meinem Platz.“ „Würde es Ihnen was ausmachen, Ihre Fingernägel woanders zu feilen? Mich stört das.“ Jedes Mal, wenn wir solche Kleinigkeiten anmerken, trainieren wir unseren Sperrigkeitsmuskel. Wir riskieren Situationen, in denen uns jemand so richtig doof finden könnte, und stehen trotzdem für das ein, was wir gerne hätten.

Je eher wir uns in den kleinen Dingen selbst den Platz und die Berechtigung in dieser Welt einräumen, umso eher schaffen wir es auch, in den wirklich wichtigen Momenten für das einzustehen, was wir gerade brauchen.

Man darf immer nein sagen

Es ist ein riesiges Machtgefühl, wenn man herausfindet, dass man immer nein sagen darf. Nicht nur, wenn jemand offensichtlich Böses im Sinn hat. Nicht erst, wenn wir längst mit dem Rücken zur Wand stehen, wenn wir schon vor zwei Stunden hätten nein sagen wollen und es jetzt sehr laut schreien müssen, um noch gehört zu werden. Sondern, weil es – egal, wann – einfach immer vollkommen gerechtfertigt ist, zu sagen: Ich möchte das jetzt gerade nicht.

Und je öfter wir das trainieren, umso besser können wir auch zu den Dingen ja sagen, die wir gern wollen. Erst dann bekommen wir nämlich egalitären Gestaltungsspielraum, in dem uns die Welt und der Sex nicht nur irgendwie einfach passieren, sondern wir das einfordern können, was wir uns wünschen – auch auf die Gefahr hin, dass jemand anderes das blöd finden könnte. Weil auch wir ein fremdes Nein leichter annehmen können als das, was es ist: eine Information. Eine Grenze, die wir uns selbst und anderen zugestehen. Und die unser Leben und unseren Sex so viel besser macht.

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