Foto: George Gvasalia | Unsplash

Warum wir uns mit der Mystifizierung des Weiblichen keinen Gefallen tun

Hört auf, Frauen und ihre Körper wie ein Mysterium zu behandeln, schreibt Theresa Lachner. In ihrer neusten Kolumne erklärt sie, weshalb wir offener über unsere Körper sprechen sollten.

Von vorne nach hinten abputzen

„Was aber will das Weib?“ Auch nach Jahrzehnten voll Analyse und Koks blieb Freud ratlos zurück. Ich würde jetzt gerne behaupten, dass sich in dieser Fragestellung in den letzten 100 Jahren viel getan hätte, aber der sympathische junge Mann, in dessen Bett ich gerade liege, fällt fast aus allen Wolken, als ich ihm etwas erkläre, das jede Frau dieser Welt allerspätestens im Alter von anderthalb Jahren lernt: von vorne nach hinten abputzen, nie andersherum.

Er hat ein „Zeit“-Abo, deutlich mehr Aesop-Produkte im Bad als ich und eine ziemlich solide Verführungsroutine, aber keinen blassen Schimmer davon, warum Frauen sehr schnell sehr schlecht gelaunt werden können, wenn man ihnen mit demselben Körperteil oder Gegenstand erst am Hintern und dann an der Vagina herumspielt.

Wider Erwarten kacken Frauen keine Blütenblätter

Deswegen hier im Serviceteil noch mal kurz zusammengefasst, ein kleiner Exkurs in die weibliche Anatomie: Wider Erwarten kacken Frauen keine Blütenblätter. Somit sind in unserem Enddarm – ich weiß, es klingt schockierend, aber es ist wahr – eben auch Fäkalbakterien. Gleichzeitig ist unsere Harnröhre sehr viel kürzer als die der meisten Menschen mit Penis, deswegen braucht es bei manchen von uns nur ein klein bisschen stümperhaftes Rumgefummel und schon können wir eine Woche lang Antibiotika gegen Blasenentzündung essen, und uns dabei unter einer Wärmflasche vor Schmerzen winden.

Normalerweise ist es das – no offense – in der Kosten-Nutzen-Rechnung nicht ganz so wert. Deswegen führen wir dieses medium-angenehme Gespräch entweder direkt stotternd bei medium-angenehmem Gefummel im Bett, oder wir rennen danach sofort panisch aufs Klo.

Gibt es den G-Punkt wirklich?

Dass jemand mit anderer Anatomie diese Dinge vielleicht nicht auf Anhieb weiß, ist schon okay, deswegen reden wir ja darüber. Was mir dagegen seit Jahren so richtig auf die Nerven geht: wie sehr Frauen medial als diese unglaublich mysteriösen, sinnlichen, schwer zu entschlüsselnden Kreaturen gehandelt werden. „Gibt es den G-Punkt wirklich? Kann jede Frau squirten?“ Was aber will das Weib? Abgesehen davon, dass diese Fragen ungefähr genauso schlau sind, wie zu fragen, ob eigentlich jede Frau eine Nase hat, tun wir uns mit dieser Mystifizierung des weiblichen Körpers definitiv keinen Gefallen.

Denn was, wenn das alles gar nicht so mystisch ist? Was, wenn die meisten Menschen einfach nur zu faul sind, sich mal genauer mit all dem zu befassen? In einer Welt, in der immer noch die wenigsten Menschen klar zwischen Vulva (das da außen) und Vagina (das da innen) differenzieren können, weil das alles „da unten“ leger zusammengefasst einfach mal „Schambereich“ heißt, hat es zum Beispiel bis 1998 – Neunzehn Hundert Fucking Achtundneunzig – gedauert, bis sich jemand die Mühe gemacht hat – genauer die australische Urologin Helen O’Connell – die eigentliche, dreidimensionale Form der Klitoris zu erforschen. Da war ich zwölf und die Menschheit konnte seit 29 Jahren auf den Mond fliegen.

Lasst uns neugierig bleiben

Ich finde, da ist immer noch Luft nach oben, also sprecht mir nach: Vulva, Vagina, Klitoris, G-Punkt, Cervix. Jeder Mensch, der diese Körperteile hat, sollte sie zu jeder Tages- und Nachtzeit wiederfinden und eine Wegbeschreibung dorthin liefern können. Und jeder Mensch, der sich ihnen gerne nähern würde, sollte sich ein bisschen schlau machen, wo genau es da langgeht und was sich für die andere Person gut anfühlt.

Was außerdem immer sehr beim Entmystifizieren hilft: ein unverkrampfter Umgang mit der eigenen Räudigkeit. Das freudige Begrüßen dieses wirklich stinknormalen Flecks in der Unterhose, ein Faible für Vaginalschleimkonsistenzen entwickeln, die uns so viel über unseren faszinierenden Zyklus verraten können. Freundinnen beim Brunch fragen: Eiklar oder Hüttenkäse? Über Menstruationstassen diskutieren wie über Kaffeetassen. Schwitzen und stinken, einfach nur weil das alles nicht nur sehr normal ist, sondern eben auch etwas ziemlich Tolles. Lasst uns neugierig bleiben.

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