Johanna arbeitet als Sterbeamme. Sie hilft Sterbenden, den nahenden Tod anzunehmen – und Angehörigen, ihren ganz individuellen Weg der Trauerbewältigung zu finden.
Wie wird das wohl sein, wenn ich tot bin?
Hast du einmal – in einem melancholischen Moment, nach einem tragischen Film, nach einer Behandlung im Krankenhaus oder als du einem Bestattungswagen hinterhergeschaut hast – darüber nachgedacht, wie es sein wird, zu sterben? Hast du dich mal gefragt, wie es wohl sein wird, tot zu sein
Meine Erfahrung ist, dass die wenigsten Menschen den Gedanken an die Endgültigkeit ihres Lebens wagen. Warum eigentlich nicht? Ist es nicht so, dass das Unbekannte, das Fremde uns viel leichter ängstigt, als das Bekannte, Vertraute? Wenn uns der Tod doch alle eines Tages erwartet: Warum machen wir uns dann nicht jetzt schon mal mit ihm bekannt? Oft heißt es: Man sei noch jung, man hätte noch Zeit. Als würden nur alte Menschen sterben. Als würde es keine Kindersterblichkeit, Krankheiten, Unfälle, Katastrophen und Kriege geben.
Die meisten tun das Thema ab. Viele glauben, dass der bloße Gedanken an den Tod wie eine Einladung wirkt, ihn anlockt und damit das eigene Leben früher beendet, als man es selbst für sich vorgesehen hatte. Aber gibt der Tod dem Leben nicht erst seinen Sinn? So, wie auch der Tag und die Nacht nur gemeinsam einen Sinn ergeben?
Das Leben bewusst in die Hand nehmen
Das eigentliche Problem ist doch: Alle haben Angst vorm Tod, der symbolisch immer als Mann dargestellt wird. Mir persönlich gefällt die Vorstellung, dass der Tod eine Frau ist: Eine Tödin eben – rundlich, gütig und warm. Eine Tödin, die mich sanft in sich aufnimmt, wenn es so weit ist. Irgendwie nimmt ihr das den Schrecken, finde ich. Gerne stelle ich mir vor, dass sie sich zu erkennen gibt, mir eine Ankündigung zukommen lässt. Dass sie mich immer wieder daran erinnert, mein Leben bewusst in die Hand zu nehmen: „Ja!“ zu sagen, Fehler zu machen, das Leben auszuprobieren, es zu schmecken und zu fühlen.
Ich stelle mir auch vor, dass mich die Tödin begleitet, mir eine Gefährtin ist, im Übergang. Und während ich so von ihr spreche – von meiner Tödin – verflüchtigen sich die Ängste.
Und das bin ich: Johanna – Sterbeamme und Bestatterin. Sterbeamme Bestatterin? Eine ungewöhnliche Berufswahl, denken jetzt wohl die meisten. Für mich ist es jedoch mehr als eine Berufswahl: Für mich ist es Berufung. Ich war Anfang zwanzig, als ich mich für die Ausbildung zur Sterbeamme entschied.
Eine Sterbeamme ist eine Frau, die sich mit den Sterbe- und Trauerphasen und mit den vielschichtigen Prozessen und den komplexen Gefühlswelten um Sterben, Tod und Trauer auskennt. Sie begleitet Sterbende und Angehörige während des Sterbeprozesses, im Tod und in der Trauer.
Einen heilsamen Abschiedsprozess fördern
Ihre Aufgabe ist es: Ängste zu lösen und einen heilsamen Abschiedsprozess für
alle Beteiligten zu fördern. Mit anderen Worten: Der Beruf der Sterbeamme ist
vergleichbar mit dem der Hebamme. Dieses Berufsbild ist wohl den meisten
bekannt. Eine Hebamme begleitet Frauen durch die Schwangerschaft, während und nach der Geburt – dem Wochenbett – ihres Kindes. Sie sorgt nicht nur für das körperliche, sondern auch für das seelische Wohl von Mutter und Kind – sie ist der „Gute Geist“. Mir persönlich hilft es, dieses Bild auch auf die Tätigkeit
einer Sterbeamme zu übertragen, um ihren Tätigkeitsbereich in seiner Bedeutung und Vielschichtigkeit zu begreifen.
Sterbeamme sein heißt: „Ja!“ zu sagen, zum Leben und zum Tod. Den Sterbenden in seinem Prozess zu ermutigen. Mit ihm gemeinsam einen „geistigen Raum des Vertrauens“ zu entwickeln, in dem er sich auf die Suche nach seinen ganz eigenen Bildern vom Tod machen kann. In dem er seine Reise planen und gestalten kann. In dem er für sich und für andere etwas hinterlässt.
Sterbeamme sein heißt: Den Sterbenden dabei zu unterstützen, sich seinen individuellen Ängste zu stellen. Sie zu erkennen, sie zu versorgen und zu verwandeln. Den Sterbenden als Experten für seine eigene Gefühlswelt zu achten und ihn dabei zu begleiten, seinen Sterbeprozess mit der größtmöglichen Freiheit zu gestalten. Sterbeamme sein heißt: Gemeinsam mit dem Sterbenden Rückschau zu halten. Rückschau auf Unerledigtes, auf Verletzungen und Versäumnisse. Ihn dabei zu unterstützen, diese aufzulösen und seinen Frieden zu schließen. Denn: Es ist nie zu spät! Es ist immer alles möglich! Und, wenn derjenige es nicht selbst kann, so kann die Sterbeamme stellvertretend handeln.
Sterbeamme sein heißt auch: Dasein, innehalten, aushalten. Im Prozess mit dem Sterbenden und über seinen Tod hinaus in der Begleitung der Angehörigen. Denn eine Sterbeamme versorgt immer zwei Ebenen: Die der Lebenden und die des Verstorbenen. Sie hat das große Ganze im Blick.
Umgehen mit der Verlusterfahrung
Gemeinsam mit Sterbenden und ihren trauernden Angehörigen erarbeite ich einen ganz persönlichen Werkzeugkoffer, der verschiedenste Rituale und Lösungsansätze für Konflikte im Abschiedsprozess bereithält. Nun ist es aber so, dass viele in ihrer Trauer keine Unterstützung durch eine Sterbeamme oder Trauerbegleiterin haben und so ist der Gedanke eines Erste-Hilfe-Angebots entstanden: Die Trauerbox. Sie bietet Trauernden nach dem Tod eines geliebten Menschen Hilfe zur Selbsthilfe im Umgang mit der Verlusterfahrung. Sie beinhaltet nicht nur Wissenswertes, sondern auch Handfestes zur Gestaltung des Abschieds. Sie unterstützt und ermöglicht – und lässt jeden seinen ganz individuellen Weg finden.
Als Sterbeamme glaube ich daran, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Dass wir immer die Möglichkeit haben, mit dieser – für unsere Augen – unsichtbaren Welt in den Kontakt zu treten. Ich glaube, dass uns diese Welt wohlgesonnen ist. Und dass wir sie nicht leugnen sollten. In meiner Arbeit als Bestatterin begegne ich immer wieder trauernden Menschen, die mir von den erstaunlichsten und wunderbarsten nachtodlichen Begegnungen mit ihrem verstorbenen Angehörigen berichten. Ich weiß nicht nur um diese Begegnungen, sondern kenne sie auch persönlich. Und deshalb kann ich sagen: Diese Welt ist voller Wunder. Und es lohnt sich, für diese Wunder einzustehen. Sie machen den Abschied – mit all seinem Schmerz – reicher.
Vielleicht fragst du dich jetzt, wie man Sterbeamme wird: Meine Ausbildung zur Sterbeamme dauerte zwei Jahre und fand in Hamburg. Eine Ausbildungsgruppe fasst ungefähr 15 Teilnehmer. Verschiedene Dozenten und Dozentinnen unterrichten die insgesamt 14 Blöcke der Ausbildung. Dazu gehören auch Exkursionen, Gruppen- und Hausarbeiten.
Ich habe in dieser Zeit sehr viel über Sterben, Tod und Trauer gelernt. Am meisten aber habe ich über mich gelernt. Ich habe mich selbst besser kennengelernt – meine Ängste, meine Träume. Ich habe gelernt, mit beiden Füßen fest auf der Erde zu stehen: In dem Wissen, dass auch ich einmal sterben werde.
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