Foto: TLGG

„Wir haben auch schon Kandidaten-Tinder ausprobiert“ – über Bewerbungsprozesse in Agenturen

Ein Job in einer Agentur ist für viele Bewerber ein begehrtes Ziel. Elfrun Otterbach arbeitet als Personalerin in der Berliner Digitalagentur TLGG und verrät im Interview, worauf es ihr bei Bewerbungen ankommt.

Nur mit Tischtennisplatte

Tischkicker, Bürohund, Siebträgermaschine – das Bild des Arbeitsalltags in Agenturen mag geprägt sein von Klischees, verspricht aber in den meisten Fällen viel kreative Freiheiten, Büros in Szenevierteln und flache Hierachien. Kein Wunder also, dass viele Menschen sich nach Schul- oder Uni-Abschluss der Agenturenszene zuwenden und gerne einen Job in einem Büro mit Sitzsäcken ergattern würden. Doch wie stellt man das am besten an?

Jemand, der dort arbeitet, wovon andere träumen, ist Elfun Otterbach. Elf ist seit zehn Jahren in der Berliner Agenturwelt zuhause und entscheidet als Personalerin, wer in ihrem Team mitspielen darf und wer nicht. Seit über zwei Jahren ist sie bei der Digitalagentur Torben, Lucie und die gelbe Gefahr, bekannt unter der Abkürzung TLGG, um neue Talente zu entdecken und an Bord zu holen. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was in Bewerbungen gar nicht geht, welche Aussicht Initiativbewerbungen haben und wie man in einem halbstündigen Bewerbungsgespräch erkennt, ob jemand zur Stelle und zum Team passt.

Man hört oft, Bewerber sollten ihre Bewerbung der Branche anpassen, in der sie arbeiten wollen. Was heißt das im Fall einer Agentur? Werden klassische Bewerbungsschreiben direkt ausgemustert?

„Auf keinen Fall, wir gucken uns alle Bewerbungen an und versuchen immer die interessanten Informationen herauszufiltern. Auch ein klassisches Anschreiben wird erstmal gescannt. Besonders begeistern kann man uns aber schon, wenn die Bewerbung eine ansprechende Form hat und sich aufs Wesentliche beschränkt.“

Was sind echte No-Gos für dich?

„Was gar nicht geht sind Rechtschreibfehler – vor allem wenn unser Firmenname falsch geschrieben wird. Da hatten wir von TKKG bis Torben, Luzie und die gelbe Gewalt schon alles dabei. Da sieht man auf den ersten Blick, dass der Bewerber oder die Bewerberin sich nicht mit dem Unternehmen auseinandergesetzt hat. Bewerbungen ohne Anrede machen nicht so viel Spaß. Sowas passiert auch oft bei Bewerbungen im Serienbriefstyle. Klar wollen wir Leute im Team, die TLGG kennen und wissen, warum sie hier gerne arbeiten würden.“

Welche Eigenschaften sollte man grundsätzlich mitbringen, um in einer Agentur Karriere zu machen?

„Bock haben sich einzubringen ist bei uns auf jeden Fall Grundvoraussetzung. Ohne das geht es nicht. Wer kreativ arbeiten möchte, sollte außerdem beweglich im Kopf bleiben und Prozesse kritisch hinterfragen. Neugierde sowie Lust auf Veränderungen können in einem dynamischen Umfeld natürlich auch nicht schaden.“

Am besten zeigt man schon in der Bewerbung seine Persönlichkeit. Aber was heißt das konkret?

„Bei einer Bewerbung geht es ja immer darum, dass man einen ersten Eindruck einer Person bekommen möchte. Da ist schon auch interessant, was die Leute neben dem Job noch so machen. Hobbys können da helfen, aber wenn, dann bitte gerne konkret. Lesen, Musik, Freunde treffen verraten uns wenig über eine Person. Wichtig ist, dass die Personaler und Personalerinnen erfahren, was jemanden ausmacht und was man unbedingt über ihn oder sie wissen sollten.“

„Zeig uns deine Projekte, nicht dein Zeugnis‘“ ist Teil eurer Recruiting-Philosophie. Wie kann man sich hierbei als Berufsanfänger oder Quereinsteigerin beweisen?

„In dem man uns schlicht und einfach die Projekte zeigt. It’s as simple as that. Das kann ein eigener Blog, ein Freelance-Portfolio oder ein Studentenprojekt sein. Was uns hier interessiert ist nicht nur das Ergebnis, sondern vielmehr die Herangehensweise. Wie wird die eigene Leistung eingeschätzt, welche Probleme gab’s bei dem Projekt, was würde man heute anders machen. So erfahren wir viel über die Arbeitsweise des Bewerbers und darüber, wie kritisch sie oder er Arbeiten reflektiert. Wer also Bock auf einen Agenturjob hat, sollte anfangen, so früh wie möglich eigene Projekte zu realisieren.“

Welche Chancen haben deiner Ansicht nach Initiativbewerbung? Ist das eine gute Idee oder verschwinden die doch irgendwann ungesehen in der Versenkung?

„Wichtig bei jeder Bewerbung ist, dass die Kandidaten wissen, worauf sie Lust haben und was sie bei uns machen möchten. Wo treffen eigene Interessen auf das Business der Agentur?  Das muss nicht immer in Bezug auf eine ausgeschriebene Stelle sein, denn die Bedarfe in unserer Branche ändern sich schnell. Initiativbewerbungen sind also völlig okay, solange sie gut gemacht und durchdacht sind.“

Viele Agenturen haben eine hohe Fluktuation. Muss man einen hohen Personalwechsel haben, um kreative Leistungen garantieren zu können?

„Ich glaube, das ist zu kurz gedacht. Exzellente kreative Leistungen entstehen in einer Atmosphäre von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt. Teamspirit und Ausdauer sind hierfür letztendlich ausschlaggebend. Und die können nur entstehen, wenn man sein Team ernstnimmt und ihm zuhört. Ein hoher Personalwechsel hilft da wenig. Ich glaube deshalb nicht, dass die Personalfluktuation in der Agenturwelt größer ist als in anderen sich im Wandel befindenden Branchen.“

Sind eure Bewerbungen anonymisiert?

„Nein, unsere Bewerbungen sind nicht anonymisiert. Da wir unsere Bewerber aber ausschließlich nach ihren Erfahrungen, Leistungen und Projekten beurteilen, wäre es für uns kein Problem auch anonyme Bewerbungen zu beurteilen. Allerdings ist es schon netter, wenn man auch ein Gesicht zur Story hat.“

Wie findet man in einem Vorstellungsgespräch heraus, ob jemand ins Team passt? Viel Zeit hat man da ja nicht, um sich kennenzulernen. Worauf achtet ihr besonders?

„Um ehrlich zu sein, ist es oft das Bauchgefühl, das entscheidet. Wir halten nichts von Psychotests, Fangfragen oder krassen Assessments. Wenn fachlich alles passt, ist am Ende vor allem wichtig, ob Team und Bewerber Lust haben, zusammenzuarbeiten. Und das kann man in einem persönlichen Gespräch mit einer Tasse Kaffee herausfinden, ohne unnötig einen hierarchischen Unterschied zwischen Bewerber und Unternehmen zu konstruieren.“

Wie wichtig ist Talent in kreativen Jobs und wie entdeckt man es?

„Wie eben schon gesagt, machen wir keine Tests, um etwas über unsere Bewerber rauszufinden. Talent hat sowieso erstmal jeder, da bin ich mir sicher. Man muss nur herausfinden, wofür und was man am besten damit macht. In guten Unternehmen haben Mitarbeiter die Möglichkeit und Unterstützung sich individuell weiterzuentwickeln, in die Richtung, die sie selbst einschlagen. Wir helfen dabei, aber entwickeln kann man sich immer nur selbst.“

Welche Innovationen werden uns in Zukunft beim Recruiting und in der Personalpolitik erwarten und welche davon sind am spannendsten für dich persönlich?

„Ich denke vor allem im Recruiting wird es immer mehr interaktive Tools geben, um mit Bewerbern und Kandidaten in Kontakt zu treten. Wir haben zum Beispiel das Kandidaten-Tinder „truffls“ probiert und sehr interessante Erfahrungen gemacht. Dort wird man direkt mit den geeignetsten Bewerbern gematcht und kann so den Kontakt aufnehmen.

Auch im Hinblick auf Personalentwicklung gibt es immer mehr brauchbare Tools. Digitale Feedback-Tools sind toll zur Unterstützung und Vorbereitung von Meetings. Im letzten Schritt sollten sie aber nie das persönliche Gespräch ersetzen.““

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