Fränzi Kühne ist bald die jüngste Frau in einem Aufsichtsrat in Deutschland. Uns hat die Co-Gründerin der Agentur TLGG erzählt, was für Karrieren heute entscheidend ist.
Jung, weiblich, Aufsichtsrat
Die Mitgründerin und Geschäftsführerin der Digitalagentur TLGG soll am 1. Juni auf der Hauptversammlung der Freenet AG in den Aufsichtsrat gewählt werden. Fränzi Kühne wäre dann die jüngste Aufsichtsrätin in einem börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Sie ist 34 und außerdem vor einem Jahr das erste Mal Mutter geworden. Im Interview haben wir mit ihr über digitales Know-how, Kompetenzen für Berufsanfänger und Recruiting-Strategien gesprochen.
Du wirst in deinen Aufsichtsratsposten viel digitale Expertise einbringen. Bewirkt die Digitalisierung aus deiner Sicht, dass die Kompetenzbewertung von Führungskräften sich wandelt?
„Vor allem fordert sie mehr Klarheit über die Grenzen der eigenen Kompetenzen. Die Digitalisierung macht vieles komplexer, sie schafft in kurzer Zeit große Veränderungen. Viele Entwicklungssprünge sind über neue Technologien möglich, aber es weiß in vielen Bereichen auch keiner, wo der Weg hingeht, beziehungsweise, wann man sein Ziel erreicht. So wird eine klare Prognose immer schwieriger. Die Dynamik der Digitalisierung und Technologisierung auf Märkten, in Unternehmen, in der Gesellschaft schafft unklare Situationen in Entscheidungsmomenten. Dadurch wird die Abhängigkeit aller Entscheider und Führungskräfte von der Expertise anderer größer. Es kann also nicht mehr um den weisen einzelnen Mann auf dem Berg gehen, es braucht eine Vielfalt der Kenntnisse und Einschätzungen. Diese kuratieren und pflegen, also ein Team offen, kooperativ und partnerschaftlich führen zu können, ist wahrscheinlich die zentrale Führungskompetenz unserer Zeit.“
Aus deiner Arbeit für TLGG hast du Einblick in viele große Unternehmen und die bestehenden Strukturen dort. Siehst du neben digitalen Kompetenzen weitere Veränderungen dabei, was für die Rekrutierung guter Mitarbeiter relevant ist?
„Die Arbeitswelt und die Ansprüche der Arbeitenden verändern sich gegenseitig. Diversität in der Arbeitswelt zuzulassen, ist für Unternehmen der Schlüssel, Mitarbeiter zu rekrutieren und zu binden. Ich stelle immer wieder fest, dass es für Wissensarbeiter, Kreative und Experten schlicht nicht attraktiv ist, in Konzernstrukturen – oder auch nur in großen Unternehmen – zu arbeiten. Diese Menschen rekrutiert, wer ihnen flexible und diverse Arbeitsmodelle anbieten kann. Ein schlichtes ,Homeoffice‘ kann hier nicht die Antwort sein. Man muss sie dort abholen, wo sie sind, sich in ihren Netzwerken glaubwürdig und interessant darstellen und lebensnahe Angebote zur Gestaltung von Arbeit machen. Das ist für Unternehmen, bei denen schon ein Tag im Homeoffice eine technische oder prinzipielle Unmöglichkeit ist und deren Unternehmens- bzw. Rekrutierungskommunikation sich auf Pressemitteilungen und Sponsoring beschränkt, natürlich eine Herausforderung.“
Welche Rolle spielt aktuell das Geschlecht? Haben sowohl Diskussion als auch Einführung der Geschlechterquote dazu geführt, dass der Blick auf Talente breiter wird?
„Gerade auf der Vorstands- und Führungsebene kehrt langsam ein Bewusstsein dafür ein, dass die Gesellschaft vielfältig ist und sich das auch in Führungsstrukturen widerspiegeln darf. Man muss also nicht mehr 50 werden und männlich sein, um in solche Positionen zu kommen. Das ist überfällig. Gleichzeitig muss es um mehr Kriterien als nur das Geschlecht gehen, um von echter Diversität profitieren oder sprechen zu können. Und da sind Menschen und Unternehmen noch immer schwerfällig: Man rekrutiert halt, wen man zu kennen meint. Die Herausforderungen unserer Zeit brauchen aber mehr als das.“
Was reizt dich an der Arbeit im Aufsichtsrat von Freenet?
„Was die technologische Zukunft angeht, bewege ich mich bei der Freenet AG sicherlich in der spannendsten Branche. Themen wie Machine-to-Machine, Sensorik, autonome Mobilität der Zukunft – in diesem Innovationsumfeld Mitverantwortung tragen zu können, ist sehr reizvoll und eine große Chance.
Ich mache Freenet gerade zu einem Teil von mir, den TLGG auch einnimmt, da ich das als Voraussetzung dafür sehe, die Rolle des Aufsichtsrats gut ausfüllen zu können und die richten Fragen zu stellen. Wenn ich TLGG als mein Baby ansehe, so ist Freenet jetzt mein Patenkind, das ich jetzt in eine aufregende Zukunft begleite und sehr an einer positiven Entwicklung interessiert bin.“
Deine Karriere hat sich wahnsinnig schnell entwickelt, ohne, dass du die großen Sprünge genau planen konntest. Was ist dir am schwersten dabei gefallen, Chefin einer immer größer werdenden Teams zu sein?
„Meine Entwicklung war und ist ja sehr eng mit der von TLGG und der unseres Teams verknüpft. Und so wie wir die Strukturen und Abläufe bei uns immer wieder nachziehen und Neues ausprobieren mussten, so musste ich das auch für mich machen. Dabei gleichzeitig offen zu sein für Kritik – an TLGG und an mir – und die Balance zwischen persönlicher und formeller Beziehung auch bei 170 Leuten gut zu halten, das ist schon kein leichtes Paket an Herausforderungen.“
Hast du selbst eine Mentorin oder einen Mentor? Wer gibt dir Feedback und wen fragst du um Rat?
„Mein direktes Team gibt mir jeden Tag wichtiges Feedback und wichtige Impulse, persönlich wie fachlich. Meine Familie und enge Freunde sind ebenso wichtig. Die große Konstante aber ist seit vielen Jahren Christoph. Ebenfalls persönlich und fachlich.“
Studierende und Berufsanfänger, aber auch Menschen mitten im Job fragen sich, in welchen Bereichen sie zusätzliche Skills erwerben sollten, um auf die Berufswelt von morgen vorbereitet zu sein. Wo lohnt es sich aus deiner Sicht, dazu zu lernen?
„Kleine Abschlüsse und Erfolge im Praktischen sind heute sicher hilfreicher als der eine große Abschluss. Deshalb sind ,Nanodegree‘-Angebote wie Udacity, das gerade sicherlich zeigt, wo Bildung und Ausbildung hingehen wird oder eben auch die Female Future Force zeitgemäß. Auch eigene Projekte bringen Wissen und Orientierung. Mutig sein, machen, scheitern, lernen – wir haben schon früh ,Zeig uns deine Projekte, nicht dein Zeugnis‘ in unsere Recruiting-Philosophie geschrieben und halten das für einen zukunftsfähigen Ansatz. Dagegen ist die Universität heute starr auf eine Gesellschaft von gestern ausgerichtet. Größtes Manko: Viele gehen raus mit dem Gefühl, es geschafft zu haben. Dabei stehen sie noch am Anfang.“
Als Aufsichtsrätin vorgeschlagen zu werden, ist eine große Anerkennung. Gibt es etwas in den nächsten Jahren – beruflich oder persönlich – was dir darüber hinaus viel bedeuten würde?
„Ich möchte weiterhin gut auf mich selbst achten und mir das Gefühl bewahren, Kind, Familie und Karriere gut unter einen Hut zu bekommen. Achtsamkeit ist zur Zeit so ein Allerweltswort, aber wenn es schlicht bedeutet, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden und die eigene Kraft entsprechend fokussieren zu können, dann ist es eben das.“
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