Die Digitalisierung ist kein kurzweiliger Trend, sondern eine langfristige Entwicklung. Sich davor zu verstecken ist also für kein Unternehmen eine Lösung. Birte Gall, Geschäftsführerin der Berlin School auf Digital Business, weiß, wie die digitale Transformation funktioniert.
Digitalisierung als Chance nutzen
Die Butter wird online gekauft, Videotheken sterben aus, unsere Stereoanlage staubt immer mehr zu – das nennt man Digitalisierung. Zumindest ist es das, was wir in erster Linie davon mitbekommen. Dass sich diese Entwicklung aber nicht erst in unserem alltäglichen Konsumverhalten bemerkbar macht, sondern schon in der internen Unternehmenskommunikation beginnt, erfährt Birte Gall, Geschäftsführerin der Berlin School of Digital Business, jeden Tag.
Gemeinsam mit sieben Mitarbeitern und rund 90 Dozenten, hilft sie Unternehmen dabei, ihre bisherigen Geschäftsmodelle zu transformieren und an den digitalisierten Markt anzupassen. Sie erweitert das Blickfeld für digitale Tools, hilft bei der Ideenentwicklung, gibt kreativen Input.
Birte Gall hilft Unternehmen bei der digitalen Transformation. Quelle: Silvia Neumann.
Vor zwei Jahren ist die Academy entstanden, momentan zählen unter anderem die Deutsche Bahn, Volkswagen, Ebay, Orthomol und Viessmann zu ihren Kunden. Warum sich Unternehmen vor der Digitalisierung nicht fürchten, sondern als Chance nutzen sollten, erzählt uns Birte im Interview.
Digitalisierung ist ein großer, weiter Begriff – Wie definierst du denn eine digitale Marke überhaupt?
„Bei einer digitalen Marke geht es insbesondere um die Verwirklichung des Omni-Channel-Prinzips. Das heißt, der Gedanke, wie, wo und auf welche Art und Weise die Firma mit den Kunden kommuniziert, ist wirklich durchdacht und wird systematisch durchgeführt.
Außerdem geht ein digitales Unternehmen sehr stark von der User-Experience aus. Das bedeutet für sie automatisch: Wir gewinnen dich nur als neuen Kunden, wenn du die Kommunikation sowie Interaktion mit der Marke als positives Erlebnis wahrnimmst – insbesondere bei der wachsenden Nutzung von mobilen Endgeräten spielt die User-Experience daher eine wichtige Rolle.“
Warum wird dieses Omni-Channel Prinzip für traditionelle Unternehmen, die bisher mit ihrem nicht-digitalen Konzept gut gefahren sind, immer wichtiger?
„Mit jedem neuen Mitarbeiter einer neueren Generation werden andere Ansprüche an das Unternehmen gestellt, digitale Tools verändern die Zusammenarbeit, der Netzwerkgedanke wird verstärkt. Es ist wichtig für die Unternehmen sich von den command and control- Strukturen zu entfernen und auf die Neuerungen zu reagieren. Nur so können sie auch die Leute anziehen, die sie haben wollen. Außerdem ergibt sich durch die Digitalisierung die Möglichkeit, neue Einnahmequellen sowie neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Weil dadurch neue Wettbewerber auf der Bildfläche erscheinen, bleibt den Unternehmen keine andere Möglichkeit, als auf die Digitalisierung zu reagieren.
So ist es beispielsweise beim Google Auto, das traditionelle Automobilhersteller
angreift. Auch Amazon greift als ,Techie Bude‘ traditionelle Händler wie Otto an. Die Unternehmen müssen verstehen, dass sich das
Wettbewerbsfeld vergrößert hat, dass sie mit anderen Mitteln angreifen, und dahingehend einfach auch selbst Ideen entwickeln müssen.“
Welche Aufgabe schreibt ihr euch in dieser Transformation als School of Digital Business zu? Welche Kompetenzen wollt ihr vermitteln?
„Es gibt zwei Komponenten, die wir vermitteln wollen: Awareness und Methodenentwicklung. Zum einem wollen wir den Führungskräften eine breitere Sicht vermitteln auf das, was Digitalisierung für Unternehmen bedeutet. Die Vorstellung, dass das Thema Digitalisierung nur die IT-Abteilung etwas angeht, ist schließlich einfach nicht mehr aktuell.
Dabei geht es aber nicht nur darum, dass sie intern routinierter werden, digitaler zu interagieren, sondern auch um die Weiterentwicklung und den Ausbau ihrer Geschäftsmodelle, die richtige Kundenansprache. Der Blick von Führungskräften muss so erweitert und für Digitalisierung sensibilisiert werden, dass ihre Firma auch noch in fünf Jahren existiert.
Wir können zwar die Methoden und Tools mit auf den Weg geben und für kreativen Anstoß sorgen, doch liegt die nachhaltige Integration und Umsetzung im Arbeitsalltag in der Hand der Mitarbeiter.“
Welche Tools sind das zum Beispiel?
„Sowohl auf der kommunikativen Ebene der Zusammenarbeit als auch auf der Prototyping-Ebene gibt es natürlich viele Tools. Diese empfehlen wir auch, aber grundsätzlich ist unser Ansatz immer: Nutzt
überhaupt mal irgendwelche Tools. Ob eine Firma Trello für Projektmanagement nutzt oder Slack
implementiert, das ist völlig egal. Sie müssen einfach das, was in den
Firmen schon da ist, anders nutzen.“
Welche Bedeutung schreibst du Social Media-Kanälen zu? Sollten auch traditionelle Unternehmen, deren Zielgruppe vielleicht gar nicht unbedingt social Media benutzt, auf Facebook und Co. aktiv werden?
„Auf jeden Fall, Social Media haben einen ganz großen Wert, der häufig von den Unternehmen gar nicht erkannt wird. Die Versprechen, die eine Firma macht – Weiterbildungsprogramme, teamorientiertes Arbeiten, Firmenphilosophie – werden ganz häufig durch ihren Social Media-Auftritt entlarvt. Das haben viele Firmen leider nicht im Blick und verkennen dadurch ihr Potential.
Häufig haben sie keine Social Media-Strategie und wollen teilweise auch gar kein Unternehmensprofil anlegen – leider. Schließlich verpassen sie dadurch die Chance, Rückmeldung zu bekommen, die sie selbst wieder auswerten können.“
Manche Marken setzen aufs Ganze und bauen ihre Marke ausschließlich über Social Media auf. Denkst du, diese Marketingstrategie ist sinnvoll?
„So ein Affiliate Marketing ist wirklich clever. Sie lassen andere für sich sprechen, beispielsweise Blogger, und erzeugen damit Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit, auch im Netz. Und das ist ja eigentlich die Währung heutzutage. Es gibt Marken, die es mit 0,0 Prozent Marketingbudget geschafft haben, einen immensen Umsatz zu generieren. In dieser Hinsicht sind solch digitale Marken wirklich ein Vorbild.“
Aber ist diese Marketingmethode nachhaltig?
„Die Nachhaltigkeit einer Methode ist schwer messbar. Aber auch Haribo, die lange mit Thomas Gottschalk warben, mussten sich nach einem neuen Werbeträger umschauen, als Gottschalk nicht mehr aktuell war. Das wird ähnlich sein bei dieser Social Media-Marketingmethode. Das ist eine ganz normale Evolution. Diejenigen werden Erfolg haben, die es schaffen, ein bisschen hinter den Horizont zu gucken und schauen, was als nächstes kommt, wer der nächste Werbeträger sein könnte. Den Firmen muss einfach klar sein, dass sie auf allen Channeln präsent sein müssen.“
Häufig haben Firmen eine einzige Person, die für die Kommunikation nach außen zuständig ist. Ist das sinnvoll?
„Jeder Mitarbeiter sollte sich im Klaren sein,
dass er als ein Botschafter seiner Firma nach außen agiert. Man kann nicht nicht
kommunizieren. In Deutschland kommuniziert man nun mal sehr viel über die
Arbeit. Daher ist es wichtig zu sagen: So sind wir, das sind unsere Ziele, das
sind unsere Werte – auch nach außen. Das gilt für jeden Mitarbeiter.“
Dann sollte nicht nur die Firma als Unternehmen, sondern auch die Mitarbeiter selbst auf Social Media, Linkedin und Co. aktiv sein?
„Ja, auf jeden Fall. Die Hälfte der Mitarbeiter
ist es sowieso, dann ist es komisch, wenn es die andere Hälfte nicht ist. Wenn sie dort noch nicht aktiv sind, müssen sie es dringend lernen.“
Was hast du aus deiner eigenen Karriere
gelernt, dass du deinen Unternehmen gerne mit auf den Weg geben willst?
„Mein Ziel ist, dem sonst stark angstbehafteten Thema Digitalisierung eine positive Konnotation zu geben. Also: nicht nur die Gefahren, sondern auch die Chancen, die sich dahinter verbergen, aufzeigen und den Mitarbeitern vermitteln, wie sie diese Chancen nutzen können.
Ein großer Aspekt ist die Kreativität: Wie
lege ich die Kreativität frei, die sonst häufig im beruflichen Kontext,
und vor allem stark in großen Unternehmen eingeschränkt wird, wie kann ich eigene Ideen entwickeln und über die Barrikaden gehen, um Neues zu entdecken und zu entwickeln? Ich möchte die Unternehmen dazu animieren, solche Dinge etwas bewusster außer Kontrolle laufen zu lassen, nicht das passieren zu lassen, was man sowieso schon weiß. Nur dann gibt’s auch
diese Funken, die wiederum zu Neuem führen. Und vor allem: Macht es nie allein, die großartigsten Ideen
entstehen immer nur im Team. Digitalisierung kommt vom Menschen und ist für Menschen.“
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