Foto: Mateus Lunardi Dutra – Flickr – CC BY 2.0

Depression: Mein Schlachtplan gegen die Dunkelheit

Was kann man tun, wenn eine Depression im Anflug ist – oder sich sogar schon ein wenig festbeißt? Ashley Winter hat zehn Strategien gefunden, die für sie bei leichten Depressionen funktionieren – und vielleicht auch für dich.

Depressionen: Sie kommen und gehen

Ich litt an Depressionen. Falsch. Ich leide an Depressionen. An schweren, an leichten. Sie kommen und gehen. Einst verglich ich Depressionen mit dem Herpesvirus. Hast du einmal eine Fieberblase, bekommst du immer wieder welche. Manchmal vier hintereinander, dann wieder Jahre keine. Das ist bei den Depressionen nicht anders. Wie ein Virus schlummern sie in dir und dann und wann brechen sie aus. Zack. Boom. Da hilft dann kaum was. Ähnlich wie bei Fieberblasen.

In den Jahren seit meiner „Infektion“ habe ich ein paar Kniffe gelernt, um sie im Keim zu ersticken. Ich habe mir quasi selbst geschrieben. Von meinem klaren Ich an das in der Dunkelheit gefangene Ich. Es ist keine dauerhafte Lösung und hilft nicht, eine schwere Depression zu heilen – aber diese Tricks helfen mir in dem Moment.

Vielleicht könnt ihr auch etwas damit anfangen.

1. Geh duschen. Heiß. Benutz das gute Shampoo und das picksüße Duschgel. Und gleich die teuere Haarkur. Und das Gesichtspeeling. Wenn Du schon dabei bist, rasier‘ Dich. Und peele. Alles. Runter mit allen Haaren und Hautschuppen und Dreckpartikeln. Alles weg. Und jetzt schalt das warme Wasser ab und bleib unter dem eiskalten Wasser stehen. Und schrei, weil’s so kalt ist und weil Du jetzt Lärm machen musst und spring rum, weil’s so kalt ist. Still und starr warst Du die letzten Stunden schon genug.

2. Zieh Dir was an, was Du sonst nie trägst. Und sag jetzt nicht, dass Du eh alles in Deinem Kleiderschrank hin und wieder anziehst. Wir wissen beide, dass an mindestens 30 Prozent der Sachen sogar noch das Preisschild hängt. Zieh das Kleid an, dass Du Dir für das eine Weihnachtsdinner gekauft hast und nie anhattest. Oder den Kuschelpulli, der so bequem ist, aber Dich aussehen lässt, als wärst Du ein Schneeball mit Beinen. Und die bunten Socken mit den Katzen drauf. Sind die nicht furchtbar niedlich?

3. Und jetzt mach die Fenster auf. Ja, ich weiß, es ist hell. Nein, dunkel ist es in Dir schon genug. Mach sie auf. Rollo hoch, Fenster auf. Und jetzt atme. Frischluft tut Dir gut. Und während Du atmest, beobachte ruhig ein paar Leute. Denen geht’s auch hin und wieder beschissen. Kein Grund zur Sorge. Alle haben ihre dunklen Tage. Und irgendwann wird’s überall hell.

4. Erinnerst Du Dich an den Schokoriegel ganz hinten in der Schublade? Yes! Jetzt ist der Zeitpunkt. Und trink vorher ein Glas Wasser. Oder zwei. Auf ex. Dein Körper wird’s Dir danken. Und denk dran, Wasser ist der Ursprung allen Lebens. Trink gleich noch ein Glas. Du hast eh zu viel davon vorher beim Weinen gelassen. Und jetzt iss den Schokoriegel. Der hat auch keine Kalorien, wenn’s Dir schlecht geht. Und wenn, ist auch egal. Dir ist eh grad alles egal. Also, projizier Deine Wurschtigkeit auf Kalorien.

5. Ja, das Bett sieht unfassbar gut aus. Und die Bettdecke erst. Darunter könntest Du natürlich liegen. Aber jetzt hast Du Dich schon angezogen. Und mit Straßenkleidung sollte man ja nicht ins Bett. Aber mach das Bett ruhig. Wenn du schon dabei bist, bezieh es gleich neu. Und hol die schöne Tagesdecke raus. Guck. So ein hübsches Bett. Das willst Du jetzt nicht zerstören, oder?

6. Zieh Dir Deine Schuhe an. Und guck mal in die obere linke Schublade der Vorzimmerkommode. Nein! Was ist das denn? Ein Gutschein für einen Frappuccino! Schande, wenn der da so unbenutzt rumliegt. Und Schuhe hast Du ja jetzt eh schon an. Also, raus mit Dir. Los!

7. Sei ein bisschen zu freundlich zu dem netten Barista. Lach ihn an. Zeig ihm all Deine Zähne. Und wünsch ihm einen guten Tag. Oder frag ihn, was sein Lieblingsfilm ist. Sprich einfach ein bisschen mit ihm. Guck! Interaktion. Halb so schwierig.

8. Lauf rum. Lauf an Deinen Lieblingsplätzen vorbei. Und entdecke neue Ecken. Betritt fremde Gebäude und bewundere Treppenhäuser. Sei ein bisschen erstaunt, wie schön alles ist.

9. Ruf jemanden an. Und sag ihnen ruhig, dass es Dir schlecht geht. Dass grad alles nicht so gut ist. Und Du jetzt Gesellschaft brauchst. Ich weiß, eigentlich willst Du das nicht, aber scheiß drauf. Triff Leute. Und wenn keiner spontan Zeit hat, such Dir jemanden auf Tinder oder Instagram oder Twitter. Leute sind spontaner, als Du denkst.

10. Atme und staune und lache und weine von mir aus. Und denk dran, dass jeder Knacks, jeder Riss in Dir nur für eins gut ist: Licht an die dunkelsten Stellen zu bringen.

Hinweis der Redaktion: Wenn du dich in einer schweren Krise befindest, ist es wichtig, dass du dir professionelle Hilfe suchst. Eine erste Anlaufstelle kann zum Beispiel deine Hausärztin sein oder der Krisendienst. Eine Liste mit Anlaufstellen gibt es unter anderem bei der Deutschen Depressionshilfe.

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