In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern – und Kinder – so beschäftigen (müssen), diesmal: ständige Vergleiche.
Dauerthema: Kompensation
Eltern verbringen einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer ohnehin knappen Zeit damit, Vergleiche anzustellen. Egal, was Kinder tun oder unterlassen, sie laufen Gefahr, Opfer eines Vergeichs zu werden. Leider gibt es nicht wenige Eltern, die einen förmlich zwingen, in dieses Spiel mit einzusteigen. Das sind die Eltern, deren Kinder immer ganz besonders weit entwickelt sind („Floris ist ja schon auf dem Stand eines Vierjährigen, meinte die Erzieherin neulich im Entwicklungsgespräch…“) – wichtig, wenn man mit dem eigenen Kind angeben will: Als Referenz immer jemand anderen nehmen, damit man nicht völlig plump selbst damit angeben muss, zu was für einem prachtvollen Exemplar man da seinen Genpool zusammengemixt hat. Also: „Luisas Capoeira-Trainerin war total beeindruckt, wie gelenkig sie mit drei schon ist.“
Die einen vergleichen mehr, die anderen weniger, aber alle machen es. Es geht gar nicht anders, denn wer herbe Schläge einstecken musste (der kleine Levi kann schon einen Handstand, während das eigene Kind beim kläglichen Versuch, einen Purzelbaum zu schlagen, wie ein nasser Sack zur Seite kippt; Mathilda spricht bereits in Haupt- und Nebensätzen und streut Fremdwörter ein, während das eigene dreijährige Kind „hattu mamam“ sagt, wenn es etwas zu sich nehmen möchte), wer also solche Schläge einstecken muss, der muss auch kompensieren.
Lieblingsthema: Die erwachsenen Kinder
Und kompensieren kann man am besten, wenn man nach außen verständnisvoll und tröstend schmeichelt („Ach, mach dir da mal keine Sorgen, jedes Kind hat beim Sauberwerden ja sein eigenes Tempo, schreibt doch auch Remo Largo“), während man die innere Becker-Faust macht, weil das eigene Kind seine Ausscheidungen bereits in dafür vorgesehene Gefäße und nicht in Windeln und Zimmerecken verrichtet.
Später,wenn auch die trantütigsten Spätzünder gelernt haben, in Haupt-und Nebensätzen zu sprechen und eine Toilette zu benutzen, wird es eigentlich noch schlimmer. Eltern erwachsener Kinder, das Gefühl beschleicht mich schon seit einigen Jahren, unterhalten sich nicht mehr so viel über das eigene Leben, obwohl es da doch sicher allerhand zu erzählen gäbe: von der Seniorenuni oder dem neuen Ehrenamt oder den Enkelkindern oder dem Seidenaquarell-Kurs an der VHS. Vielmehr ist es so: Der Gehalts-Check bei den erwachsenen Kindern ist der Schwanzvergleich überbesorgter Eltern.
„Mit Annemarie hast du doch Abitur gemacht!”
Man bekommt also von den Eltern von Zeit zu Zeit per Post feinsäuberlich aus dem heimischen Lokalblatt ausgeschnittene Zeitungsartikel übermittelt , in denen zum Beispiel steht, dass eine Frau, die man nicht kennt, irgendeinen Förderpreis gewonnen hat. Beim nächsten wöchentlichen Pflichttelefont dann Aufklärung: „Das ist doch die Annemarie, die hat mit dir Abitur gemacht!“ (Und jetzt gewinnt sie Förderpreise, wann gewinnst du mal irgendwas?)
Oder: „Ich hab übrigens die Mutter vom Heiko beim Einkaufen getroffen – der hat ja jetzt einen richtig gut bezahlten Job bei BMW.“ Zunächst: Wie schön für Heiko. Aber wer verdammt nochmal ist eigentlich Heiko? Es ist diese Selbstverständlichkeit, mit der viele Mütter in einer Mischung aus Bewunderung und Sozialneid die Verdienste von Menschen hervorheben, mit denen man sich vielleicht vor Urzeiten mal um ein Förmchen im Sandkasten geprügelt hat, die immer wieder verblüfft – und auch ein bisschen aggressiv macht.
Ganz beiläufig unter Druck setzen
Eine Variante: „Der Älteste der Dellmanns ist ja jetzt immobil geworden und hat ein Haus direkt in der Nachbargemeinde gebaut.“ Da hilft es auch nichts, dass man selbst bereits mit zehn Monaten aufrecht lief, während Dellmanns Ältester noch mit eineinhalb wie eine fette Robbe erbärmlich auf dem Boden herumkrauchte. Oder man mit links aufs Gymnasium wechselte, während Heiko noch eine Extrarunde auf der Hauptschule drehen musste. Alles vergessen, wenn es darum geht, bei „So weit hat es mein Kind gebracht“ zu punkten. Dann zählt nur das Hier und Jetzt.
Enervierend ist auch die Beiläufigkeit, mit der Eltern ihre erwachsenen Kinder unter Druck setzen können: „Ach, ich hab die Mutter von der Claudia im Supermarkt getroffen. Du, stell dir vor, die Claudi ist gerade zum zweiten Mal schwanger”. Zwischen den Zeilen ist für das erwachsene Kind selbstredend etwas anderes zu hören, und zwar laut schreiend:„Mach mich endlich zur Großmutter, dummes Kind!“
Wirtschaftsinformatikerin müsste man sein!
Ihre erwachsenen Kinder dienen vielen Eltern als Preisboxer, die im Bieterkampf um die erfolgreichste Erziehung verheizt werden. Das Thema Gehalt rangiert bei diesen Stellvertreterkämpfen ganz oben. Informationen wie „Die mittlere Tochter von Ingrid kriegt ja siebenfünf brutto – tja,Wirtschaftsinformatikerin“ suggerieren ungeniert: Warum musstest du Germanistik studieren?
Man kann sich auch ohne viel Fantasie vorstellen, wie die Eltern verzweifelt versuchen, die„Urbane Penner“-Karriere des eigenen Kindes in freundlichen Farben zu malen („Der Matthias hatte neulich sogar eine eigene Ausstellung mit seinen Bildern“). Klar, dass dabei unter den Tisch fällt, dass diese Ausstellung ein Gnadenakt des Inhabers von Matthias’ Stammkneipe war.
Wichtig: Ein vorzeigbarer Job oder Enkelkinder
Defizite in einem Bereich lassen sich zwar im Zweifel ausgleichen („Die Moni ist so viel in ihrem Job im Ausland unterwegs, da hat sie gar keine Zeit für Kinder“) – schwierig wird es aber für jene Eltern, deren Kinder weder einen vorzeigbaren Job noch Enkelkinder zu bieten haben.
Nach langem Nachdenken jedenfalls, wenn einem dämmert, dass Heiko die traurige Gestalt mit dem verklebten Brillenglas und der Bügelzahnspange gewesen sein muss, weiß man erstmal nicht, ob man sich freuen soll, weil der arme Kerl doch noch die Kurve gekriegt hat – oder sich ärgern, weil der Idiot anscheinend jetzt mindestens doppelt so viel Kohle scheffelt wie man selbst.
Mehr bei EDITION F
Reisen mit Kindern is the new Nahtoderfahrung. Weiterlesen
Was, schon 5 Uhr? Ab auf den Spielplatz! Weiterlesen
Keine Gratiswurstscheiben an der Fleischtheke? Kinderfeindliches Deutschland! Weiterlesen