Erika Lust ist eine Pionierin und Koryphäe im feministischen Pornobusiness. Wir haben die Regisseurin zum Interview getroffen.
„Pornos sind ein super einflussreiches Medium“
Natürlich, feministisch, schön – das sind Attribute, mit denen sich die wenigsten Pornos beschreiben lassen. Vielmehr dominieren menschenverachtende und herabwürdigende Produktionen die vielbesuchten Internetseiten. Bei Erika Lust sieht das anders aus. Die Regisseurin produziert pornografische Filme, die den Darsteller*innen und Zuschauer*innen auf eine respektvolle Weise gerecht werden. Bei ihr sind nicht Penis, Vagina, Rein, Raus Programm, sondern Natürlichkeit, zwischenmenschliche Beziehungen und gegenseitige Wertschätzung. Erika setzt sich außerdem für die Stärkung der weiblichen Perspektive ein, was bedeutet, Frauen in allen wichtigen Positionen hinter der Kamera vertreten zu haben. Wir haben Erika zum Interview getroffen und sie gefragt, wie die Pornoindustrie humaner gestaltet werden kann. Außerdem hat sie uns verraten, warum Kommunikation über Sex so wichtig ist und wie wir darin besser werden.
Wofür stehen deine Filme?
„Ich mache Filme für Erwachsene, die menschliche Sexualität zeigen – und zwar auf eine positive Art und Weise. Das ist ziemlich einzigartig, wenn man das mit dem vergleicht, was man sonst auf Mainstream-Pornoplattformen zu sehen bekommt. Wenn ich mir online Pornos anschauen möchte, dann möchte ich etwas sehen, was mir ein gutes Gefühl gibt. Die meisten Filme zeigen viel zu häufig negative Seiten von Sex. Die Pornos sind herablassend gegenüber Frauen, menschenverachtend und diskriminierend. Männer demütigen Frauen und zerstören sie sexuell – das ist ein Bild, das auf herkömmlichen Pornoseiten erschreckend normal geworden ist.“
Was machen die Pornos mit uns?
„Machen wir uns nichts vor, die Zahlen sprechen für sich: Ein Drittel der weltweiten Websiteaufrufe gehen auf Pornoseiten. Und das, was wir dort zu sehen bekommen, beeinflusst uns. Das Problem ist: Viele kapieren nicht, dass das nicht die Realität ist. Pornos sind auch ein großer Teil von Sexualkunde – ob wir es uns zugestehen wollen oder nicht. Viele lernen die ersten Dinge über Sex in solchen Clips online, gerade da, wo die Schulerziehung versagt. Der Biologieunterricht beantwortet nicht alle Fragen, die junge Leute über sich und ihre Körper haben. Sie wollen mehr über Sex lernen und da ist das Internet die erste Adresse. Und wenn sie dort sehen, dass die Rolle der Frau ist, den Mann zu befriedigen, dann ist das schrecklich.“
Also was müssen wir tun?
„Es ist eigentlich gar nicht so schwer. Ich habe ja offensichtlich nichts gegen pornografische Inhalte im Netz, aber ich will mehr Vielfalt sehen! Pornos müssen auch aus anderen Winkeln gedreht werden – und das meine ich nicht nur von der Kameraeinstellung her. Drehbuchautor*innen müssen sexuelle Fantasien auch aus der Perspektive von Frauen erzählen.“
Vielfalt muss respektiert werden!
Wie bringen wir mehr Diversity auf die Pornoseiten?
„Wenn wir uns herkömmliche Pornoseiten anschauen, gibt es da eigentlich schon recht vielfältige Dinge zu sehen: alt, jung, groß, klein, dick, dünn. Das Problem ist jedoch die Art, wie auf diese Vielfalt geschaut wird – nämlich alles andere als respektvoll. Das muss menschlicher werden!“
Was ist guter Sex?
„Guter Sex ist es, wenn es sich für die Beteiligten gut anfühlt.“
Und welche Rolle spielt Kommunikation dabei?
„Kommunikation ist alles. Es ist so essenziell und etwas, in dem wir Menschen uns dringend verbessern müssen. Denn irgendwie haben wir nie richtig gelernt, wie man über Sex spricht. Wir genieren uns ja schon, Wörter wie Vagina auszusprechen und uns fehlen die Formulierungen dafür, beim Sex auszudrücken, was uns gefällt. Kommunikation bedeutet aber nicht nur, dass man spricht. Ich wünsche mir auch, dass die Leute sich gegenseitig mehr zuhören und Verständnis füreinander haben.“
Wie können wir besser darin werden, zu kommunizieren?
„Wir müssen uns selbst herausfordern und dem, was uns beschäftigt, freien Lauf lassen. Es hilft, Worte bewusst zu wählen und darauf zu achten, was für Emotionen sie in einem auslösen und auch darüber zu sprechen. Ich bin immer wieder überrascht, was für wunderbare zwischenmenschliche Verbindungen sich daraus ergeben, wenn ich mich traue, das zu sagen, was ich fühle. Ich kann dir versichern, wenn du erst einmal anfängst, über deine Sexualität zu sprechen, dann wird es dich fast süchtig machen. Denn in den meisten schlummert so viel, über das sie viele Jahre nicht gesprochen haben.“
Du hast auch eine App entwickelt, mit denen es Paaren leichter fallen soll, über sexuelle Wünsche zu sprechen…
„Kommunikation liegt der App zentral zu Grunde. Wie bei Tinder können sie Vorschläge für sexuelle Praktiken nach rechts oder links wischen und wenn es beiden gefällt, gibt es ein Match.“
Geht man damit nicht sogar dem Gespräch aus dem Weg?
„Ich glaube, das macht es leichter, ein Gespräch über Sex und Vorlieben zu starten. Irgendwo müssen wir ja starten, schließlich gibt es einen großen Redebedarf! Das Tolle ist ja, das einem erst einmal nichts peinlich sein muss, weil man weiß, dass der *die Partner*in auch Gefallen an der Sexualpraktik hat, mit der man gerade gematcht hat. Über Generationen hinweg wurde die Sexualität von Frauen noch einmal mehr unterdrückt als die von Männern. Ihnen wurde es systematisch ausgetrieben, ihrem inneren Verlangen zu folgen. Ihnen wurde schon in jungen Jahren gesagt, dass es bereits eine Sünde ist, seinen eigenen Körper durch Masturbieren kennenzulernen. Noch immer kämpfen Frauen damit, als Schlampe beleidigt zu werden, nur weil sie ihre Sexualität erfahren.“
Wie kommen wir von diesem verachtenden Frauenbild los?
„Kommunikation steht an erster Stelle. Dinge zu bereden, bricht Tabus in der Gesellschaft auf. Und wir müssen Vorbilder schaffen – das mache ich mit meinen Pornos. Die Leute können sehen, dass sexuelle Realität nicht frauenverachtend ist. In meinen Filmen zeige ich mehr als das stumpfe Rein und Raus. Es geht um zwischenmenschliche Beziehungen in meinen Pornos und ich glaube, dass es für die Gesellschaft sehr gesund wäre, mehr davon zu sehen.
Außerdem dürfen Frauen nicht ständig denken, dass alle Fehler bei ihnen liegen. Viele neigen dazu, sich selbst Schuld zuzuschreiben, wenn etwas im Bett nicht so läuft, wie es in den Filmszenen aussieht. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns untereinander austauschen. Ziemlich schnell lässt sich feststellen, dass andere ähnliche Erfahrungen machen und dass man mit seinen vermeintlichen Problemen beim Sex garantiert nicht alleine ist.“
Welche Rolle spielen Emotionen in deinen Filmen?
„Emotionen sind immer da und das, was uns Menschen ausmacht. In schlechten Pornoproduktionen findet man sie nicht. Dadurch fehlt die Menschlichkeit. Denn Sex ist nicht nur körperlich, sondern hat so viel mit dem zu tun, was zwischen den Menschen passiert.“
Ist es überhaupt möglich, diese Emotionen am Produktionsset wirklich lebendig werden zu lassen?
„Tatsächlich ist es wirklich nicht einfach. Aber wir haben unseren Weg gefunden, den Darsteller*innen als sexuelle Personen mit ihren Emotionen gerecht zu werden. Das hat viel mit dem Kontext zu tun, in dem die Dreharbeiten stattfinden. Sie müssen sich wohlfühlen in dem Ambiente, in dem wir drehen und wir reduzieren sie nicht nur auf wenige Körperteile. In herkömmlichen Pornos sieht man meistens hauptsächlich Geschlechtsteile in Nahaufnahme. Von Frauen sieht man Brüste und Vagina, von Männern meistens nur den Penis und nichts anderes von seinem Körper. Wenn ich Filme drehe, dann achte ich darauf, dass auch die Gesichter, Augen und andere Körperteile zu sehen sind – eben das, was einen Menschen ausmacht. Wir zeigen, wie Hände Haut berühren, die Personen miteinander vertraut werden, gemeinsam lachen und eben respektvoll miteinander umgehen.“
Ist es dir schon immer einfach gefallen, über Intimes zu sprechen?
„Natürlich nicht. Das ist etwas, was im Laufe des Lebens immer besser wird, wenn man sich aus seiner eigenen Komfortzone heraustraut. Es ist aber auch nicht so, dass man Tag für Tag selbstbewusster wird. In manchen Phasen geht es einem besser, in manchen schlechter. So ist das nun mal eben. Ich bin heute über 40 Jahre alt und habe zwei Töchter. Das hat meinen Blick auf die Welt noch einmal komplett verändert, genauso wie meine Bedürfnisse, meinen Körper und meine Sexualität. Auch wenn man manchmal denkt, man hat sich selbst gefunden, kommt vielleicht bald darauf eine Lebensphase, in der man die Verbindung zu sich erst wieder suchen muss. Gerade Sexualität ist etwas sehr flexibles, das sich im Laufe des Lebens stark verändern kann. Präferenzen verschieben sich.“
Wie wurdest du über Sex aufgeklärt?
„Ich bin in Schweden aufgewachsen und hatte das große Privileg, in dem Bereich eine Schulbildung zu bekommen. Der Sexualkundeunterricht hat sich nicht nur auf das Biologische beschränkt, sondern auch das Emotionale thematisiert, was Menschen beim Sex verbindet. Die Art und Weise, wie wir in der fünften Klasse aufgeklärt wurden, fand ich sehr gut. Das Lehrpersonal hat das Thema so angepackt, dass die Fragen, die wir als Schüler*innen hatten, alle beantwortet wurden – und die meisten davon waren eben nicht biologischer Natur.“
Was möchtest du deinen Töchtern über Sex beibringen?
„Mir ist es am wichtigsten, dass meine Töchter wissen, dass Sex etwas Natürliches ist und dass sie sich dabei natürlich wohlfühlen können. Scham hat da nichts zu suchen. Ich sage ihnen, dass sie sich nicht dafür genieren müssen, wenn sie etwas nicht wissen und ermutige sie, Fragen zu stellen.
Mir ist auch bewusst, dass meine Töchter in dieser Weise sehr privilegiert aufwachsen und ich weiß das zu schätzen. Nicht alle sind in der Position, eine gute Bildung zu bekommen und schambefreit ihre Fragen zum Ausdruck zu bringen. Deshalb ist es wichtig, dass diejenigen, die das können, für die da sind, denen das nicht möglich ist.“
Wie nutzt du deine privilegierte Position?
„Meine Filme sind für mich ein Weg, das zu zeigen. Ich zeige Menschen, die auf unterschiedliche Weise sexuelle Beziehungen erleben. Es geht nicht nur um Körper und Rein, Raus, sondern auch um das ganze Konstrukt darum herum. Ich zeige, was die Charaktere ausmacht, und ihre Lebensumstände. Die Zuschauer*innen sollen sehen, dass das Menschen mit Geschichten sind und keine Objekte. Filme sind eine großartige Möglichkeit, um andere Lebensrealitäten aufzuzeigen und damit auch privilegierte Positionen darzustellen.“
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