Erika Lust ist Regisseurin und Produzentin für „Indie Adult Cinema”. Sie dreht ethisch produzierte Pornos mit feministischen Werten – und hat ein neues Projekt gestartet: Mit „The Porn Conversation” will sie aufklären und wir haben mit ihr darüber gesprochen.
Pornografie auf dem Lehrplan
Die Kultusminister vieler Länder beschäftigen sich gerade wieder verstärkt mit der Frage, ob Kinder in der Schule mehr über Medienverhalten lernen müssen. Logo, sagen alle. Das würde aber auch den Umgang mit Pornografie beinhalten. Und da geraten dann viele mit ihrer Zustimmung wieder ins Stocken. Wie früh ist zu früh?
Erika Lust ist 40 Jahre alt. Als Schwedin ist sie in einem sehr freizügigen Land aufgewachsen und aufgeklärt worden. Seit 20 Jahren lebt und arbeitet Erika Lust jetzt in Barcelona, wo – wie sie sagt – weitaus mehr Menschen ein Problem mit dem Thema Feminismus haben als mit der Branche, in der sie arbeitet. Mit ihrem Lebens- und Geschäftspartner Pablo Dobner hat sie zwei Töchter im schulpflichtigen Alter. Kein Wunder also, dass sie sich sehr damit beschäftigt, wie und ob Aufklärung und Pornografie zusammengehören.
Auf thepornconversation.org finden Eltern und Schulen wichtige Fakten über Pornografie im Netz und realitätsnahe, praktische Beispiele für die Vorbereitung auf ein Gespräch mit den eigenen Kindern.
Erika, was läuft falsch im Sexualkundeunterricht?
„Erstmal gibt es in den meisten Ländern viel zu wenig davon. Und er konzentriert sich sehr auf die Biologie. Klar, das Elementare wird behandelt: Geschlechtsteile, Beischlaf, Befruchtung, Verhütungsmethoden. Aber der Fokus liegt auf den Gefahren: Bloß nicht schwanger werden! Vorsicht vor Krankheiten! Die wenigsten Lehrpläne behandeln die emotionale Seite von Sexualität, die ich persönlich noch viel wichtiger finde.
Und da ziehe ich die Parallele zur Pornografie: In der Branche herrscht dasselbe Problem. Es geht um den Akt, die Flüssigkeiten, Akrobatik. Aber kaum ein Porno befasst sich mit der Gegenseitigkeit von Sex, mit Emotionen oder was mit Menschen während des Sexes passiert. Ich versuche mit meinen Filmen ein realistischeres Bild zu zeichnen.“
Verstanden. Aber wie genau kann Sexualkunde da jetzt helfen?
„Junge Menschen sind neugierig. Wir alle waren neugierig! Der wichtige Unterschied ist, dass wir damals nicht so leicht an Pornos rangekommen sind. Es ist normal, dass Jugendliche sich Pornos ansehen. Aber die Filme, die Jugendliche heute zu sehen bekommen, sind nicht mehr die, die wir im Kleiderschrank der Eltern gefunden haben. Es sind Filme, die umsonst im Internet zu finden sind. Das ist Pirate-Content, illegal hochgeladenes Videomaterial, das nicht mal des Sexes wegen ins Netz gestellt wird, sondern als Phishing Sites.“
Du meinst Pop-ups und vorgeschaltete Umleitungen auf pornografische Inhalte …
„Diese Seiten sind fürchterlich! Chauvinistische, frauenfeindliche, rassistische Inhalte und ein so aggressive Sprache. Außerdem packen diese Seiten Frauen in kleinste Schubladen: Latinas, MILFs, Asians, Teens – Kategorien, die uns Frauen jegliche Menschlichkeit absprechen. Frauen werden zu Dingen, zu Dienstleistungen degradiert. Und das sind dann die Filme, die Jugendliche sehen, wenn sie im Netz nach Pornos suchen. Das kann ganz schön verstören. Aber die Kids bleiben dann alleine damit, weil Schulen und Eltern bei der Aufklärung versagen. “
Müssen Eltern ihre Kinder besser vor Pornografie schützen?
„Das können sie gar nicht. Sie ist überall da draußen – ein Drittel des weltweiten Internet-Traffics ist Pornografie! Manche Eltern geben ihrer zehnjährigen Tochter ein Handy oder ein Tablet und denken, sie wird damit Harry Potter schauen. Vielleicht will sie auch nur Harry Potter sehen. Aber sie wird zwangsläufig viel mehr als das zu sehen bekommen. Viele Eltern sind da sehr naiv. Man kann sich über die vielen Möglichkeiten des Jugendschutzes informieren, ja. Aber am Ende des Tages kann man seine Kinder nicht vor Pornografie schützen. Man kann ihnen nur dabei helfen, richtig damit umzugehen.“
Brauchen dann vielmehr die Eltern Sexualkunde?
„Eltern brauchen unbedingt Sexualkunde! Ich glaube viel zu wenige wurden selbst ordentlich aufgeklärt und die meisten stecken den Kopf in den Sand, was die digitalen Medien angeht. Und sie scheuen sich zu sehr vor dem Gespräch. Verständlicherweise. Es ist nicht leicht, natürlich nicht. Aber viel zu viele Eltern beschämen ihre Kinder mit Ansagen wie: ‚Fass dich da nicht an!‘ oder bestrafen sie, wenn sie Pornografie auf ihren Laptops und Tablets entdeckt haben. Damit macht man so viel kaputt! Kinder wollen ihre Neugierde stillen und für sexuelle Neugierde bestraft zu werden, kann da nur schaden. Es wäre so einfach, das Kind beiseite zu nehmen und zu sagen: ‘Ich kann verstehen, dass sich das gut anfühlt. Das ist ganz normal. Aber das ist etwas, was du besser in deinem Zimmer tun solltest, wenn du alleine bist.’“
Heißt das, wir sind zu prüde?
„Nein, das denke ich nicht. Gerade die jüngere Generation ist überhaupt nicht prüde. Vielleicht liegt es daran, dass sie schon mit so vielen sexuellen Inhalten konfrontiert wurden, bevor sie überhaupt sexuell aktiv werden. Aber es gibt viel zu wenig Offenheit und Engagement in Sachen Pornografie. Sie existiert – das lässt sich ja nicht verleugnen. Und eigentlich sehe ich großes Potenzial in ihr.“
Inwiefern?
„Es ist wie bei allem im Leben, selbst bei Zucker oder sogar Sport: es gibt gute und schlechte Seiten. Pornografie kann Leuten guttun, sie kann aber auch viel kaputt machen. Pornos können uns Entspannung und Erleichterung verschaffen. Sie stillen unsere Neugierde, können uns inspirieren. Aber sie können uns auch dabei helfen, die eigene Sexualität zu erforschen. Ich spreche mit so vielen Leuten, die glauben, sie hätten abnorme Fantasien. Pornos können dabei helfen, Bedürfnisse und Fetische einzuordnen, sich von Ängsten zu befreien. Ich glaube fest an das Gute im Porno.“
Aber…
„Aber es gibt auch die schlechte Seite: Weil wir uns so stark mit dem identifizieren, was wir sehen, denken viele Jugendliche, dass Inhalte auf Porntubes, den kostenfreien Porn-Piraterie-Seiten, echte Situationen darstellen. Sie wollen etwas über Sex erfahren und suchen nach Internet-Pornos. Wenn sie dann versuchen, die im echten Leben nachzumachen, kann das nur zu frustrierenden Situationen und Gefühlen führen. Männer performen für Stunden, Frauen kommen immer und laut. Wie viele junge Frauen haben mir schon erzählt, dass sie sich Sorgen machen, weil sie keinen Orgasmus bekommen. Sie wissen nicht, das das Geschrei und Gestöhne aus den Clips nicht die Realität abbildet. Wir brauchen bessere Pornos. Andere Pornos, mit menschlicher Kommunikation, Leidenschaft und Lust für alle Beteiligten.“
Würde es helfen, mehr Richtlinien für Pornografie einzuführen?
„Großbritannien hat Richtlinien eingeführt… und fast ausschließlich Lustbringer für Frauen verboten. Also: Nein. Ich glaube nicht an Zensur. Aber ich glaube an eine Überholung der Sprache und der Situationen, die in Pornos abgebildet werden. Ich glaube an den feministischen Blickwinkel. Und ich glaube an Partizipation! Und davon haben wir viel zu wenig. Sehen wir uns doch mal an, wer die Pornos da draußen macht: Es sind weiße, heterosexuelle Männer mittleren Alters. Wie überall – wie in Hollywood und in jeder anderen Branche auch. Die Pornobranche spiegelt im selben Maße die Gegebenheiten unserer Gesellschaft wider. Erst wenn Leute, die nicht dieser demographischen Gruppe angehören, den Mund aufmachen, sich einbringen und nach einer anderen Art Filme verlangen, können sie auch zum Standard werden.“
Dein Name wird immer mit feministischen Pornos in Verbindung gebracht. Aber eigentlich machst du mehr als das: Du machst ethischen Porno. Wo liegt der Unterschied?
„Feministischer Porno bedeutet für ich in erster Linie weibliche Beteiligung. Das bedeutet, ich arbeite vor allem mir Frauen zusammen. Drehbuch-Autorinnen, Kamerafrauen, Tontechnikerinnen, Casting-Direktorinnen. Aber es bedeutet natürlich auch, dass wir die Genderrollen im Film anders bewerten. Feministischer Porno legt großen Wert auf die weibliche Lust und Befriedigung. Und wir achten sehr auf Gleichberechtigung. Ich frage mich immer: wenn wir die Rollen der Partner jetzt umdrehen, würde ein unangenehmes Ungleichgewicht entstehen? Das ist immer ein gutes Indiz. Und Vielfalt! Viele Frauen- und Männertypen, Körperformen, Hautfarben und Altersgruppen.
Ethisch heißt auch bei Pornografie: ethisch produziert. Gute Arbeitsbedingungen, viele Pausen, volle Transparenz beim Skript und der Bezahlung. Niemand kommt und fragt, ob du nicht vielleicht doch lieber ohne Kondom willst oder ob Strangulation nicht vielleicht doch klar geht. Ethisch arbeiten heißt für mich auch: ein sicheres, warmes Umfeld an einem Arbeitsplatz, der einen im wahrsten Sinne nackt und verletzbar macht.“
Du machst auf deiner Website den Vergleich mit dem Bio-Lebensmittel-Trend. Menschen müssen ein Gewissen entwickeln …
„Genau. Und ein Bewusstsein! Und das geht nur durch Aufklärung. Wir mussten uns ansehen, wie Legehennen in Batterien behandelt werden, um bewusst zu Bio-Eiern aus der Region zu greifen. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass 0815-Pornos meist unter unmöglichen Bedingungen gedreht werden, wie unglaublich frauenfeindlich die Skripte eigentlich sind. So viele Männer schauen aus reiner Gewohnheit Pornos. Ich habe einen guten Freund, der sich letztens bei mir beschwert hat, ich hätte ihm Pornos madig gemacht . Er sagt, er sehe nur noch die traurigen Gesichter, die Ausbeutung …“
Mission accomplished!
„Ja, und genau diese kritische Bewertung müssen wir den jungen Generationen beibringen: ‚Ja, ihr werdet auf Pornografie stoßen, und es gibt keinen Grund, sich davor zu fürchten oder sich zu schämen.‘ Man muss Jugendlichen klar machen, dass das was sie sehen nicht echt ist, sondern Fiktion. Überspitzt und unecht. Man muss sie darauf hinweisen, dass sie Männer in Pornos meist in der Machtposition sehen werden und es manchmal den Anschein macht, dass sie den Frauen sogar Schmerz zufügen. Wichtig ist, ihnen zu sagen: ‚Ihr müsst euch das nicht anschauen. Auch nicht wenn eure Freunde es tun. Macht es aus, geht weg, redet mit mir, wenn ihr Fragen habt.’ So bekommen sie die Chance sich differenziert damit auseinanderzusetzen und verantwortlich zu handeln.“
Wie beurteilst Du die Darstellung von Sex im Kino und Fernsehen? Ist die nicht genauso unrealistisch?
„Ja, klar. Alles unecht. Halb angezogen, gedimmtes Licht, alles ist hübsch, sauber und unverfänglich. Was mir da am allermeisten fehlt ist der Dialog. Wo bleibt der Austausch beim Sex? Da sind doch zwei Menschen beteiligt? Es gibt glücklicherweise einige, die versuchen, das Thema Sex moderner, besser zu behandeln. Lena Dunham und Jill Solloway machen da bahnbrechende Arbeit. Ich liebe sie. Aber wenn es um expliziten Sex geht, dann gibt es nur Pornos. Wir brauchen eine neue Ära der Pornografie. Wir müssen uns fragen, wie wir eine bessere, menschlichere Sexualität abbilden. Nicht eine männliche.“
Thepornconversation.org bietet Tipps für das Gespräch mit Kindern ab neun Jahren an. Irgendwie ist das auch erschreckend. Du hast zwei Töchter, die ältere ist jetzt neun Jahre alt. Hattet Ihr schon das große Gespräch?
„Ja, es hat begonnen. Es ist ein fortlaufendes Gespräch. Viele glauben – oder wünschen sich – man könnte das in fünf unangenehmen Minuten durchziehen. Aber Sexualität und Pornografie sind Dinge, die sich entwickeln und Eltern müssen ihren Kindern dabei in jeder Phase der Entwicklung beiseite stehen. Wir haben also angefangen mit meiner Tochter über ihren Körper zu sprechen und wo Menschen herkommen. Auch darüber, dass Erwachsene Sex miteinander haben.“
Was wünschst du dir von Eltern und Schulen?
„Ich möchte, das Pornografie ein fester Bestandteil des Sexualkundeunterrichts wird. Ich glaube fest daran, dass das notwenig ist, um unsere Kinder zu schützen, indem wir sie zu mündigen Menschen erziehen, nicht indem wir sie abschirmen. Leider können und wollen die meisten Eltern das nicht. Viele würden lieber sterben als mit ihren Kindern über Pornos zu sprechen. Also müssen das die Schulen übernehmen. Aber es ist erstaunlich, wie viele Lehrer mir erzählen, dass Eltern schon auf den klassischen Aufklärungsunterricht sehr sensibel reagieren.“
Ich könnte mir vorstellen, viele Kinder und Jugendliche haben weniger Hemmungen, mit ihren Lehrern zu sprechen als mit ihren Eltern?
„Ja, wobei viele Schüler auch Angst haben, sich vor Lehrern zu blamieren, die sie später wieder benoten werden. In Schweden kamen Sexualberater zu uns in die Schule, wir wurden in kleine Gruppen aufgeteilt. Die Mädchen hatten eine Frau und die Jungs einen Mann zum Austausch. So wurde ein sicheres, vertrauliches Umfeld geschaffen. Man ist in einem Alter, indem man sich auch für das andere Geschlecht zu interessieren beginnt. Wer will schon von dem Jungen, den man gut findet, für seine Frage ausgelacht werden?“
Wie soll die Zukunft von ThePornConversation aussehen?
„Let’s go global! Ich möchte jede Menge Aufmerksamkeit schaffen. Viel zu viele Eltern ignorieren einfach, dass Pornografie existiert. Sie lassen ihre Kinder mit den Porntubes alleine. Das geht nicht. Ich will Pornos nicht verbieten, im Gegenteil – ich will sie verbessern. Schluss mit misogynen, chauvinistischen, rassistischen und destruktiven Inhalten! Was soll daran sexy sein? Sex ist großartig, Sex ist wunderbar. Es geht um Nähe, um Respekt, um Dialog. Genau das müssen auch die Filme zeigen. Let’s make better porn!“
Erika Lust und ihr Mann Pablo Dobner haben beim Tech Open Air 2017 einen Vortrag gehalten. Den gibt es hier zu sehen.
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