Sex ist zwar vollkommen natürlich, aber nicht von Natur aus vollkommen. Sexualberaterin Doris Kaiser erklärt, warum der stete Leistungsdruck die Erotik zerstört – und wie man wieder zu einer erfüllten Sexualität kommt.
Leistungsdruck macht auch vor Sex nicht halt – aber da hat er nichts zu suchen
Bereits als Teenager kamen andere gerne zu mir, weil man mit mir „so gut reden kann“. Immer schon hab ich mich für Menschen und ihre Geschichten interessiert, sowohl privat als auch in meiner Arbeit als Lebensberaterin. Und was ist das Thema Nummer 1? Sex. Wer wann mit wem schläft. Wie MANN eine Frau ins Bett bekommt. Wie FRAU die perfekte Liebhaberin wird. Warum die Italiener mehr Sex haben als die Österreicher. Ob im Fernsehen, in Magazinen oder am Stammtisch: Sex ist überall.
Das hat uns zwar oberflächlich gesehen offener gemacht, an den sexuellen Problemen hat sich allerdings nichts geändert – im Gegenteil. Was uns da so präsentiert wird und was wir selbst erleben, sind nämlich zwei verschiedene Paar Schuhe. Hast du dich schon mal überfordert gefühlt, weil du keine multiplen Orgasmen bekommst, dein Körper anders aussieht wie der eines Pornostars oder du keine Lust auf SM hast? Willkommen im Club. Leistungsdruck macht auch vor der Erotik nicht halt.
Gerade Frauen, die sich auch beruflich verwirklichen möchten, stellen meist enorme Anforderungen an sich selbst. Überall wollen wir perfekt sein: Im Job ebenso wie als Mutter, Partnerin und Hausfrau. Dazu kommt, dass die Wirtschaft von männlichen Werten geprägt ist und es uns daher nicht leicht fällt, auf der einen Seite „unseren Mann zu stehen“ und auf der anderen unsere Weiblichkeit zu leben. Außerdem ist Stress der absolute Sexkiller – und Lustlosigkeit somit eines der häufigsten Themen in meiner Praxis.
Haben andere auch solche Probleme?
Über Sex reden ist eine Sache. Aber über Unzufriedenheit damit? Lieber nicht. Man will ja nicht als verklemmt gelten. Oder gar frigide. Dann lieber still leiden. Es hat ja auch sonst niemand solche Sorgen – oder? Mitnichten. Laut Studien hat fast die Hälfte aller Menschen im Laufe ihres Lebens zumindest einmal sexuelle Schwierigkeiten. Viele davon versuchen, ihr Problem zu verharmlosen oder alleine in den Griff zu bekommen. Während es in vielen Bereichen üblich ist, sich Unterstützung zu holen, glauben viele Menschen, dass Sex von ganz allein befriedigend sein müsse. Und leiden oft jahrelang. Das ist auch nicht weiter verwunderlich: Sexualität ist eine Urkraft. Darf sie fließen, fühlen wir uns lebendig. Können wir sie jedoch nicht so ausleben, wie es uns entspricht, kostet das viel Energie, wir fühlen uns nicht wohl oder werden sogar krank.
Werde dir bewusst, dass du für dein Sexleben verantwortlich bist. Es geht nicht um die prüden Eltern, die bösen Medien, den unsensiblen Partner, die träge Partnerin. Sondern ganz allein um DICH! Natürlich formt sich unsere Sexualität durch Erziehung, Erfahrungen und unser Umfeld. Doch Sexualität ist ein lebendiger Prozess. Sie kann erweitert, verfeinert, verändert werden! Jede Frau trägt das Potential, ihre Sexualität befriedigend und erfüllend zu leben, in sich. Auch du!
Übernimm die Verantwortung für deine Sexualität! Eine Sexualität, die dir gut tut. Deine eigene, individuelle, einmalige. Keine Frau ist wie die andere. Jede braucht etwas anderes. Was ist es bei dir? Finde es raus und steh zu deinen Wünschen und Bedürfnissen!
Über welches Thema im weiten Feld der weiblichen Sexualität würdest du gerne einen Artikel lesen? Ich freue mich über deinen Kommentar!
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