Foto: Sergei Zolkin

Lasst unsere Körper da raus! Zwischen Dehnungsstreifen und Photoshop

In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über den Körperwahn.

Ganzkörperfilter, bitte!

Am Strand noch mal schnell einen Filter über den eigenen Körper laufen lassen? Geht nicht. Der Situation müssen wir uns stellen, wie wir sind. Und fangen an, uns zu schämen. Hätte man die Brigitte-Diät doch mal lieber nicht lachend in den Mülleimer geschmissen. Ein alltäglicher Gedanke, der fast jeder Frau mal durch die Birne blitzt. Und das vollkommen losgelöst davon, was sie auf die Waage bringt. Hier läuft was falsch.

Zu keiner Zeit waren wir häufiger abgebildet. Das Selfie, das Selbstporträt, wird heute mit einer Selbstverständlichkeit in einer derart hohen Frequenz geschossen, dass uns zu Analog-Zeiten Angst und Bange geworden wäre. Das wiederum hat zur Folge, dass wir an unser Selbstbild gewöhnt sind – aber eben nur aus dem Winkel, den wir selbst am liebsten mögen. Dass der deshalb noch lange nicht zeigt, wie wir wirklich aussehen: geschenkt.

Untragbare Ideale

Aber nicht nur unser Gesicht, der gesamte Körper ist mittlerweile derart in den Vordergrund getreten, dass man sich schon mal fragen darf, was da eigentlich bei uns los ist. Nicht viel mehr, wie es scheint. Sicherlich gab es die Auseinandersetzung mit verschiedensten Schönheitsidealen zu jeder Zeit. Aber mit der Digitalisierung und den neuen Möglichkeiten, die uns Photoshop und Co. bieten, ist die Jagd nach einem künstlich hergestellten, nicht zu erreichenden Ideal schon fast zur Perversion verkommen. Da machst du nicht mit, sagst du? Möglich, und doch ist die stete Beschäftigung mit dem Körper für jeden von uns Teil des Alltags geworden. Kein Tag, an dem der Newsfeed nicht mit ihnen überschwemmt wird.

So geisterten in der letzten Woche die Bilder verschiedener Models durchs Netz, die ihre Stretchies, ihre Dehnungsstreifen zeigen. Und ja verdammt, das ist gut, denn die Abbildung von Normalität macht Mädchen Mut, die noch nicht verstehen, dass über jedes andere Bild ein Filter gelaufen ist. Und doch nervt es mich. Denn wieder einmal klatschen einem die nächsten Körperbilder um die Ohren.

Körper, die kein Statement abgeben?

Wann war noch einmal die Zeit, in der wir die natürlichen Narben unserer Körper, durch Schwangerschaften, Zu- und Abnahmen oder kleine Haushaltsunfälle einfach so gezeigt haben, ohne darüber nachzudenken? Ohne damit ein Statement setzen zu müssen?

Aber das kollektive Unwohlsein wird ja nicht nur durch die Medien gepusht. Ich meine, was bedeutet es denn, wenn der seit den 80er Jahren auch von der WHO anerkannte BMI uns als Maßzahl zur Bewertung unseres Körpergewichts vorgesetzt wird, um uns zu verdeutlichen, ab welchem Punkt wir nicht mehr der Norm entsprechen, um nun zu propagieren, dass etwas höher als der Normwert doch besser sei, weil gesünder. Hochgesetzt wird der Normwert natürlich trotzdem nicht. Weil dünner ist eben doch besser als gesünder.

Erst gelockt und dann zum Schämen verdammt

Auch unsere Kleidergrößen klettern nicht nach oben, obwohl sie das gemessen an unserer steigenden Körpergröße und auch unserem Gewicht eigentlich müssten. Was früher eine Konfektionsgröße 40 war, ist heute eine 38 geworden. Ganz einfach, weil wir uns besser damit fühlen, eine Drei zu tragen.

Andererseits geht Frankreich aktuell gegen Size-Zero-Models vor und doch ist der Trend von immer dünner werdenden Models ungebrochen. Denn Haute-Couture, so sagt sich die Branche, sieht an ihnen einfach besser aus. Weil es Kunst ist. Aber die Gesellschaft und vor allem Pubertierende schauen auf die Frauen und Männer eben nicht als Kunstfiguren. Sondern als Vorbilder, die ein Idealbild abgeben, dass je nach Körperbau nie und je nach Disziplin sowie Leidensfähigkeit nur mit Mühe und unter Einbuße der Gesundheit erreicht werden kann.

Wir werden also mit einem Konsumgedanken von scheinbar kleinen Größen gelockt, während uns auf der anderen Seite das Ideal in Minimalversion vorgesetzt wird. Kauft und fühlt euch gut. Geht dann aber bitte nach Hause und schämt euch. Besten Dank.

Fat Shaming als Teil der Kultur

Plus Size ist noch kein Mainstream, Fat und Body Shaming Teil der Popkultur. Photoshop ist Norm, Bilder brauchen Filter. Statt uns stetig damit auseinanderzusetzen, was unsere Körper schön und hässlich macht, was ideal und noch okay und was schwer zu ertragen ist, muss es doch auch in einer so visuell geprägten Gesellschaft möglich sein, einen Weg zurück dahin zu finden, Körper einfach nicht mehr derart in den Vordergrund zu stellen. Dahin, Körper-Normen nicht mehr derart zu fokussieren, uns zu lösen von der Bewertung dicker, dünner oder älter werdender Körper und darauf zu einigen, dass der Ruf nach Normen ein Witz ist, wenn Gene ein Tohuwabohu veranstalten und ein neuer Mensch entsteht.

Im Alter dann…

Hach, ich sehe es ein, gesellschaftlich ist da wohl nicht mehr viel zu machen. Aber wenigstens für uns selbst. Und das wird spätestens dann kommen, wenn sich die Veränderung unserer Körper einfach nicht mehr zurückdrehen, optimieren und zurechtklöppeln lässt. Ich glaube fest daran, dass dann die entspannte Gleichgültigkeit eintritt, die ich jetzt schon herbeisehne.

Denn auch wenn faltige, schlaffe Körper da draußen wieder einmal keinen Blumentopf gewinnen können – und bitte, ich sage keinesfalls, dass ich von solchen Gedanken befreit bin – glaube ich fest daran, dass viele ältere Menschen diesen älter gewordenen Körper mit größerer Liebe betrachten können, als wir das mit unserer jungen schaffen. Weil er sie durch das Leben gebracht, sie an jeden Ort der Welt begleitet, Kinder geboren und sie auch auf der Wanderung durch die Alpen nicht im Stich gelassen hat. Und weil ein alter Körper nicht mehr Teil des öffentlichen Diskurses ist.

In dem Sinne: How to have a beach body? 1.You have a body 2. Go to the beach.

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