Foto: Franca Gimenez – Flickr – CC BY-ND 2.0

„Ich war die andere Frau“

Ich war die Andere. Die Affäre. Wissentlich. Zwei Jahre lang.

Wie es beginnt

Es ist nicht der erste Abend, den ich mit einem Glas Wein vor meinem Bildschirm verbringe und die Notizen durchgehe, die ich schon vor ein paar Monaten begann. Es ist ein polarisierendes Thema, das ich da in Stichpunkten bereits gedanklich anriss, aber das ich mich nie zu schreiben traute, für das ich einfach nicht den richtigen Ansatz und in gewisser Hinsicht auch nicht den Mut fand. Nicht einmal jetzt traue ich mich auf „publish“ zu drücken und schleiche seit einer Stunde mit Angst im Nacken um den Button. Mit einer Freundin darüber offen zu sprechen, kann schon eine Gratwanderung sein, aber auf einem Blog? Öffentlich? Auf die Gefahr hin, dass mit falsch verstandenen Zeilen ein grobes Urteil über die eigene Person gefällt und auch verbreitet wird? Schwierig, gerade in diesem Fall. Es ist kein hübsches oder vorzeigbares Thema. Es kann ein unheimlich schmerzhaftes Thema sein. Und eigentlich sprechen maximal die darüber, die es erlebt, aber nicht verursacht haben. Denn Affären, Betrug, Hintergehen – das ist nichts, womit man sich schmücken wollen würde. Niemals öffentlich. Niemals ehrlich, wenn überhaupt, dann distanziert oder aber demütig. Aber wer würde schon von der Seele weg zugeben:

„Ja, ich war schon einmal die Affäre. Vollkommen wissentlich. Ganz absichtlich. Und eine Zeit lang fühlte es sich sogar verdammt gut an.“

Die andere

Ich. Ich war genau das. Die andere Frau. Wissentlich. Vielleicht sogar willentlich. Zumindest eine Weile. Ich war 23 Jahre alt, als es anfing. Es war nicht unschuldig, keine Minute. Nein, nicht offensichtlich, zumindest nicht für mich. Und trotzdem greifbar. Wenn in einem Raum Chemie herrscht, die über das Platonische hinausgeht, dann spürst du es. Ob du das wahrhaben willst, ist eine andere Frage. Ob du sie zulässt, ist deine Entscheidung.
Wenn aus einer geschäftlichen Mittagspause eine Verabredung zum Frühstück wird, aus dem späteren Frühstück ein Spaziergang durch den Park, der in einer Verabredung zu einer gemeinsamen Party mit seinen Bekannten endet, dann hast du dich entschieden. Egal, was du dir selbst oder deinen Freundinnen verkauft, einredest oder in bemüht distanzierter Rechtfertigung erörterst („Kann man jetzt nicht mal mehr mit jemandem einfach etwas trinken gehen, ohne dass es gleich etwas zu bedeuten hätte?“), bevor du in Chucks und Lederjacke die Haustür hinter dir zuziehst. Gerade lässig genug, um dich noch am Rande der Friendzone zu bewegen, gerade anziehend genug, um irgendwie mit dem Feuer zu spielen. Du hast dich nicht nur entschieden einem gewissen Interesse nachzugeben, sondern auch den Fakt zur Seite zu schieben, dass dieser Mann, der dir vor zwei Stunden schrieb, dass er sich auf den kommenden Abend freut, eine Freundin hat.

Sicher, er hat vermieden sie zu erwähnen, wie man es eben macht, wenn man die Weste vorsorglich mit Ehrlichkeit weißen und trotzdem verfügbar bleiben will. Und trotzdem: du bist dir bewusst, dass es sie gibt.

Mit 20 hatte ich eine sehr deutliche, idealisierte Null-Toleranz-Politik zum Thema Affäre. Ich war gerade betrogen worden, ich hatte gerade gelitten. Hintergehen? Niemals! Die sein, mit der jemand hintergangen wird? Ganz sicher nicht. Warum? Weil Frauen andere Frauen nicht betrügen. Weil Frauen sich gegenseitig nicht demütigen. Auf die Frage: „Wie reagierst du, wenn du mitbekommst, dass eine Freundin oder Bekannte betrogen wird?“, hatte ich eine klare Position: „Ich sage es ihr, sobald ich es weiß. Ich hätte es ja auch wissen wollen.“ Selbst ein Ultimatum kam für mich kaum in Frage. Frauen, die Affären eingingen, hielt ich für armselig, für billig, für egoistische Miststücke, denen ich kein Verständnis entgegenbringen konnte. In meiner Vorstellung hatte man zu jedem Zeitpunkt die Wahl sich aufrichtig oder erbärmlich zu verhalten. Schwarz oder weiß, mehr gab es für mich zu dieser Zeit nicht.

Drei Jahre später, habe ich mehr Erfahrungen gemacht, Dinge erlebt, Gefühle einsortiert, ein paar meiner Standpunkte geändert. Und während ich die Tür zu dieser Bar aufziehe, ist es zum einen meine eigene Überzeugung, dass das, was zwischen zwei Menschen passiert nicht die Verantwortung einer dritten Person ist, dass nicht ich es bin, die für die Treue oder Zuneigung einer Beziehung bürgt, sorgt oder entscheidet, sondern derjenige, der darin ist. Zum anderen, ist es eine Rechtfertigung vor mir selbst. Alles andere wäre geheuchelt.

Nein, an diesem Abend passiert nichts, das uns auf dem Papier vorzuwerfen wäre. Und doch genug. Kein Kuss, aber immer wieder Berührungen. Kein Wort, aber Blicke. Kein geteiltes Taxi, aber eine SMS vor dem Einschlafen. Natürlich wäre sie zu rechtfertigen, immerhin fragt er nur nach, ob ich gut nach Hause gekommen bin und wünscht mir eine gute Nacht. Und natürlich wäre sie nicht zu rechtfertigen, denn jene Nachricht nach 02:21 Uhr an eine andere Frau, ist nur in den seltensten Fällen eine platonische. Das hier ist der schmale Grat zwischen guten Freunden, einem Flirt und verbrannten Fingern, an dem wir eigentlich schon gestolpert sind. Nicht wegen den Momenten, die man nachlesen könnte, sondern wegen dem, was zwischen den Zeilen passiert ist.

Was Affären so reizvoll macht

Wie es sich anfühlt, wenn man nur sieben Tage später an gleicher Stelle doch das Taxi teilt, er dich auf der Rückbank küsst, nach deiner Taille fasst, dich zu sich und schließlich aus dem Auto in seine Wohnung zieht, ihr bis zum Morgengrauen die Zeit zwischen Laken und ein paar Lügen verbringt? Unheimlich gut. Die Affäre zu sein, das ist in diesem Moment sexy, begehrenswert, es ist verboten, vicious, das eigentliche Verbot verleiht der bestehenden Anziehung noch ein paar mehr Funken und dann wäre da noch dieses Gefühl von Kontrollverlust. Wenn der Kopf weiß, dass er auf einen Crash zusteuert und das Herz genau diesen Kick vor dem kommenden Blow-up vollkommen auskostet. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Geschwindigkeitsrausch. Du weißt, dass du diese kommende Kurve niemals wirst nehmen können, aber genau diese Gefahr, gepaart mit dem Kribbeln, das du gerade verspürt, ist es, was das hier ausmacht. Für einen kleinen Moment fühlt sich diese Affäre an, als könntest du alles haben.

Du bist die, mit der er nächtelang nicht nur fantastischen Sex hat, sondern auch seine Gedanken teilt, Gefühle, Pläne, Leidenschaften, seine Vergangenheit, seine ganze Welt, egal was, alles ist intensiv. Jedes Gespräch, jede Berührung. Du bist die, für die er sich nachts aus der Wohnung schleicht, um dich an der Straßenecke gegen einen Wand gelehnt zu küssen, bis dir die Knie weich werden, du bist die, über die er leidenschaftlich herfällt, sobald er die Tür zu seinem Büro hinter sich geschlossen hat, du bist die, für die er immer wieder Wege findet, für die er um 04:00 Uhr morgens Miracoli auf dem Dielenboden serviert, die er seine Muse nennt und verdammt noch einmal, sind wir doch ehrlich: Du fühlst dich so sexy, begehrenswert, schwerelos und ja, auch erhaben, denn du bist nicht die, die belogen wird, sondern die, für die es sich zu lügen lohnt.

Was man über die Betrogene denkt

Seine Freundin? Nimmst du nicht wahr. Nicht als die Frau an seiner Seite, nicht als seine Partnerin, nicht als eine Bedrohung. Sie ist für dich die, neben der er abends nur auf dem Sofa sitzt, wenn ihr miteinander schreibt. Sie ist die, für die er schon so lange nichts mehr fühlt, an die er sich maximal noch gewöhnt hat. Sie ist die, die seine Wäsche wäscht und ihn abends fragt, was er essen möchte. Die in Baumwolle und mit Brille auf dem Sofa sitzt und einen Nicholas Sparks Film mit ihrer besten Freundin guckt, während ihr zwei Straßen weiter, nach einem gemeinsamen Abend in ein paar Bars, lachend aneinandergelehnt und tipsy das Schlüsselloch sucht, um im Flur schon Jacken, Mützen und Schuhe zu verlieren. Ob ihr euch versteckt? Nicht nötig. Ihr seid einfach „enge Freunde“, wenn der Rest dabei ist, außerhalb der unbeleuchteten Ecken.

Ihr habt über sie gesprochen. Ein paar Mal. Immer dann, wenn dein blindes Hochgefühl kurz Pause machte, immer dann wenn es Platz für dein Gewissen ließ, wenn er dich doch versetzen oder sich verabschieden musste – wegen ihr.

„Es tut mir leid, ich bin einfach ein Feigling. Ich will nicht neben ihr in diesem Auto sitzen, ich will bei dir sein. Dich festhalten, mit dir einschlafen“, schreibt er dann. Und du versicherst ihm, dass er kein Feigling ist, dass du ihm Zeit gibst. Zum einen, weil dein Verständnis tatsächlich nicht aufgebraucht ist, weil du dich sicher und weiterhin beflügelt fühlst, zum anderen, weil du noch gar keinen Plan für euch hast, noch keine Zukunftsgedanken, sondern nur ein Hier und Jetzt ohne Konsequenzen, weil du diese Leichtigkeit zwischen euch genießt, die nur ohne Ansprüche funktioniert. Und damit auch für ihn.

Ich weiß, dass es vielleicht nicht leicht oder angenehm war diesen Absatz zu lesen. Es war auch nicht sonderlich angenehm ihn so offen und schonungslos schreiben. Sich zu erinnern. Ich bin nicht stolz darauf.

Irgendwann fliegt es immer auf

Das erste Mal, dass seine Freundin, die Frau mit der er auch nach fünf Monaten noch immer eine Wohnung und zumindest theoretisch sein Leben teilte, für mich real wurde, war spät an einem Dienstagabend. Ich saß auf der Schreibtischplatte, aß eine Frühlingsrolle und schaute ihm beim Abarbeiten der letzten Punkte auf seiner To-Do-List zu, deren Ende vor allem dadurch verzögert wurde, dass er sich immer wieder von mir ablenken ließ. Wir würden heute nicht die Nacht zusammen verbringen. Das taten wir nur alle drei Wochen. Mittlerweile kannte ich ihr Schichtsystem auswendig, unsere gemeinsame Zeit war eingespielt, das Lügenkonstrukt fast natürlich geworden. In den Wochen, in denen sie gegen fünf Uhr morgens die Wohnung verließ, klingelte er im Morgengrauen, um die paar Stunden vor Alltagsbeginn noch mit Kaffee und mir im Bett zu verbringen, in den Spätschichtwochen blieb uns das Dinner und ein paar heimliche Büro-Momente nach Arbeitsende und in den freien Nächten, schlich er sich kurz vor 11 zu mir.
Wir waren gerade in einen Kuss vertieft, als die Klingel im Foyer sich meldete. Ich zuckte zurück, richtete mein Shirt und wollte ihn an den Schultern zurückschieben. „Da vorne ist jemand“, flüsterte ich noch, bevor er mich wieder küsste. „Ist egal …“ –  „Hey, was wenn..“, ich versuchte ihn wieder auf Abstand zu bringen, „… jemand reinkommt? Die Tür ist nicht mal richtig zu.“–  „Es kommt doch niemand.“

Erst gut 15 Minuten später griffen wir nach unseren Sachen, meinem Mantel und meiner Tasche, schlossen sein Büro ab und schlenderten zusammen ins Foyer. Und da saß sie. Wartend auf der Kante des Sofas. Fast hätte ich sie übersehen. Sie. Seine Freundin.

Während mich Panik packte und sich heiß und schmerzhaft kribbelnd in meinem Magen ausbreitete, war er völlig ruhig, begrüßte sie mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange und drehte sich dann zu mir um: „Du kennst Lina noch gar nicht oder? Wir arbeiten auf Projektbasis seit ein paar Monaten zusammen, ich glaub ich hatte dir von ihr erzählt oder?“ „Hi“, sie streckte die Hand aus und begrüßte mich. Leise, schüchtern, klein. Ich vermied es sie anzusehen, vermied es überhaupt irgendwas zu sehen.
Als hinge Blei an mir, setze ich mich langsam mit einem verabschiedenden Nicken in Bewegung und zog matt die Tür auf.

„Lina? Wir sehen uns morgen wieder gegen 18 Uhr?“, fragte er noch vollkommen unbeschwert von jener Szenerie, bevor ich gehen konnte. Wie ferngesteuert nickte ich.
Es war unmöglich zu leugnen: das hier war nicht sein erstes Mal, nicht sein erster Auftritt dieser Art und damit nicht seine erste Affäre, so abgeklärt und casual, wie er diese Situation meisterte. Mein Blick fiel noch einmal auf sie, wie sie noch immer auf der schmalen Sofaecke sitzend mit ihrem Autoschlüssel spielte und darauf wartete, dass er seinen Rucksack geschultert hatte. Und in diesem Moment begriff ich es.
Sie saß am äußersten Ende des Raumes, als hätte sie sich kaum hineingetraut. Sie hatte nicht einmal die Jacke ausgezogen. Sie war seit drei Jahren mit ihm zusammen. Sie musste ihn schon öfter von der Arbeit abgeholt haben. Sie musste den Weg zu seinem Büro kennen. Sie hätte keinen Grund gehabt hier vorn im Foyer stumm ganze 15 Minuten auf sein Kommen zu warten, es sei denn … das hier war auch nicht ihr erstes Mal in dieser Situation. Es sei denn, sie hatte längst gewusst, was sie erwartete. Es sei denn sie hatte entschieden, dass sie es nicht sehen wollte.

Als ich an meinem Auto ankam, ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen und sank nach vorn gebeugt zusammen. Es war das erste Mal, dass ich mich wirklich mies – elend – fühlte. Dass ich mich in Grund und Boden schämte. Dass ich in diesen fünf Monaten weinte. Es war der Moment, in dem sie real wurde und die Leichtigkeit endete. Und trotzdem war es noch nicht der Tiefpunkt.

Der Wahrheit ins Auge sehen

Ich fuhr an jenem Abend nicht nach Hause. Ich hielt bei meiner besten Freundin an. Bei jener Person, die meine Realität war, auch wenn ich sie bisher nicht hatte hören wollen. Der ich immer die bessere, nie aber die wirklich echte Version eingeschenkt hatte. Bis jetzt war er nie das Arschloch und ich nicht naiv und armselig gewesen, sondern wir beide schlicht leidenschaftlich Verliebte. Es brauchte zwei Gläser Wein unter dem Sternenhimmel, bis ich bereit war.
„Ich sage jetzt nicht, dass ich überrascht bin. Und ich weiß auch gerade nicht, warum du es bist. Du wusstest, dass du nicht seine erste Affäre bist. Du hast jede Geschichte über diesen Mann gehört und dich trotzdem auf das alles eingelassen. Also, was hast du erwartet?“
Ich zucke mit den Schultern. „Weiß ich nicht.“ „Dass er nur still neben ihr sitzt, wenn sie die Abende miteinander verbringen? Dass er keinen Spaß hat und sich nur quält, wenn er sie sonntags zum Essen einlädt? Dass er sich nur aus schlechtem Gewissen dazu zwingt? Woran machst du das fest? Weil er es dir erzählt? Weil er sich dir ach so verletzlich anvertraut hat? Was denkst du denn, was man der anderen Frau erzählt, wenn sie neben einem liegt? Genau das!
Ja, vielleicht haben sie keinen Sex mehr, ja vielleicht küsst er sie nicht einmal mehr, vielleicht trennt die beiden wirklich jeden Abend die Wolldecke, wenn sie auf dem Sofa sitzen und ich gestehe sogar ein, dass er gelangweilt ist, selbst dass er sich sehr zu dir hingezogen fühlt. Aber genau so gern, wie er mit dir die Nächte im Bett verbringt, genau so gern backt er mit ihr am Sonntagnachmittag Kuchen oder besucht seine Eltern. Lina, er führt mit dieser Frau eine Beziehung. Sie sind zusammen. Auch nach fünf Monaten noch.“ – „Ich hab ihn ja noch nie gebeten sich zu trennen.“ „Oh bitte, als wenn er es danach sofort tun würde! Am Anfang war es vielleicht nur Leidenschaft, aber seit spätestens drei Monaten bist du vollkommen verknallt. Hast du den Gedanken mal zugelassen, dass du ihm nur deswegen kein Ultimatum stellst, weil du eigentlich selber weißt, dass er es umgehen würde?“ Ich kann ihr nicht antworten, ich kämpfe mit Tränen, Scham und eben jener Realität. Sie drückt meine Hand. „Du weißt, dass ich nur so hart zu dir bin, weil ich dich lieb habe ja?“

Drei Stunden später liege ich auf ihrer Couch und schaue zum ersten Mal auf mein Handy. Zwölf Anrufe in Abwesenheit. Neun ungelesene Nachrichten. Jede von ihm. Jede geschrieben, während er neben ihr lag, sie wahrscheinlich im Arm hielt. Ich lese, dass ich ans Telefon gehen, dass ich mich verdammt noch einmal melden, dass ich mit ihm reden soll. „Rede mit deiner Freundin“, antworte ich und schmeiße das Handy weg. Ich komme mir nicht mehr begehrenswert vor, nicht mehr beflügelt, fühle mich nicht mehr als Muse. Ich fühle mich zum ersten Mal vollkommen austauschbar.
Für genau zwei Wochen brach ich den Kontakt ab.

Den Absprung schaffen

Es ist wie mit der Motte und dem Licht. Wenn etwas sich so gut anfühlt, dass es dich quält es zu ignorieren, braucht es 100 starke, aber nur einen einzigen, schwachen Momente, um sich wieder treiben zu lassen. Es war, als wüsste er genau, welche Knöpfe er drücken, welche Dinge sagen, welche Versprechen einlösen und welche Träume zumindest vage in Aussicht stellen müsste, damit ich mich in seinem Arm wieder entspannte. Und obwohl ich den Gedanken, dass er sich seinen Platz zwischen den Stühlen wohlmöglich auch bei mir bequem log, nicht mehr los wurde, ließ ich mich trotzdem wieder darauf ein. Es dauerte nur zwei oder drei Treffen, bis wir sie zurück hatten. Die Leidenschaft, die Funken, die Nähe, selbst die Intimität. Nur eins war weg, die Leichtigkeit. Die Unschuld in dieser ganzen Schuld.
Wenn er wegging, nahm ich es nicht mehr selbstverständlich, nicht mehr geduldig. Wenn er jetzt zum Telefonieren ins Badezimmer ging, kuschelte ich mich nicht mehr in die Laken und sog seinen Geruch ein, bis er sich wieder neben mich legte, ich saß aufrecht im Bett, mit Wut und verletzten Gefühlen im Magen, die Sekunden zählend. Manchmal gelang es mir, sie ein paar Wochen auszublenden, die Fakten zu ignorieren und uns zu genießen – bis er wieder einen gemeinsamen Tag absagte. Unter der Woche. Spätschichtwoche. Nur knapp eine halbe Stunde, nachdem wir uns gesehen hatten, während ich noch neben ihm lag, richtete er sich wieder auf und griff nach seinem Pullover. „Ich muss los.“, flüsterte er und küsste mich auf die Stirn. „Wohin?“ – „Das weißt du doch.“
Wortlos folgte ich ihm bis zur Tür, an der nicht nur sein Rucksack stand, sondern auch eine Papptüte, die mir bis dahin gar nicht aufgefallen war. Ich sah Wärmebehälter vom Italiener. Zwei Portionen. Eine Flasche Wein.
„Du gehst zu ihr oder?“, meine Stimme bebte. „Du verbringt den Abend mit deiner verdammten Freundin und du bringst es sogar fertig euer beschissenes Dinner mit nach oben zu bringen? Hierher?“
Meine Stimme überschlug sich. „Du holst romantisches Essen für euch? Ernsthaft? Und was dann? Noch ein Film zusammen? Weil ihr ja so wahnsinnig verliebt seid und du so gern bei ihr bist?!“ – „Hey! Hör auf zu schreien oder sollen wir gleich einen Rundbrief an die Stadt rausgeben?“, antwortete er kühl und zog sich seine Jacke an, ohne mich anzusehen. „Du kommst her, greifst ab, was du bekommst und haust danach ab? Zu ihr?! Wirklich! Was für ein Arschloch bist du eigentlich?“ – „Was soll ich machen, hmm? Ihr sagen, dass ich viel lieber bei dir wäre? Du weißt, dass sie dann ausflippt, sich wieder tagelang einschließt und vollkommen zusammenbricht, ich brauch ein bisschen mehr Zeit, ok? Ich brauch den richtigen Moment! Und jetzt beruhige dich! Es reicht schon, dass sie mich so einengt und mein Leben bestimmen will!“ – „Oh mein Gott, du hast schon vor Monaten gesagt, dass du dich trennst, du erzählst mir jeden Abend, dass du mich willst und jetzt machst du für sie den Liebeskasper? Willst du mich verarschen? – „Weißt du, vielleicht trenne ich mich nicht, weil ich nicht weiß, ob du nicht in ein paar Monaten ganz genau so bist wie sie. Hör dich doch mal an, wie du zeterst! Du klingst wie sie! “

Damit ließ er mich stehen. Stundenlang ohne ein Wort. Und ich kam nicht umhin mich elend zu fühlen, mich gegen jedes Rückgrat und jeden aufrechten Gang dafür entschuldigen zu wollen, dass ich mich wie eine klammernde, anstrengende Freundin verhalten hatte. Bis ich irgendwann den Gedanken zuließ, dass ich eigentlich nur eingefordert hatte, was er mir immer wieder mit Worten angeboten hatte. Und dass sie vielleicht nichts anderes tat. Dass sie verdammt noch einmal tatsächlich seine Freundin war. Und dass sie jedes Recht hatte wütend oder verletzt zu reagieren, wenn er sie versetzte, mit ihm zu streiten, wenn er sie enttäuschte und ihn einzufordern, wenn er ihr zu wenig war. Dass uns nicht einmal viel trennte – außer dem Fakt, dass sie jedes Recht auf eine Erwartung an ihn hatte. Und ich nicht.

In den kommenden Monaten taumelten wir zwischen der alten Flamme und der neuen Enge. Stritten und versöhnten uns wöchentlich. Nicht nur über gecancelte Dates, aufgeschobene Ehrlichkeit, nicht nur über sie, sondern auch über jede andere Frau. Wenn ich die Realität zuließ, wusste ich, dass ich nicht seine erste Affäre war – und wohlmöglich nicht die Letzte. „Mein Gott Lina, sie ist eine alte Freundin, die mich hier nur kurz besucht hat. Kann ich nicht mal mehr mit einer Frau sprechen, ohne dass du gleich ein Drama dahinter vermutest? Du bist ja vollkommen paranoid!“, hatte er mir erst vor knapp einer Woche entgegen geschleudert, als ich auf dem Weg zu seinem Büro in zwei Kaffeebecher und braune Locken gelaufen war.
Wir verloren uns zwischen offenen Vorwürfen, verletzten Gefühlen und großen Worten, die in keiner Richtung länger als ein billiges Feuerwerk hielten. Nicht mehr miteinander, dafür war alles zu kaputt, aber auf keinen Fall ohne einander, dafür hing ich noch zu sehr in den Seilen, an ihm und der absichtlich blinden Hoffnung, das wir uns nur im zweiten Akt befänden. Jenem, den es geben muss, damit sich im dritten alles wenden, klären und dem Versprochenem im großen Finale gerecht werden konnte.

Wenn dir die Worte fehlen

Es war mehr als ein Jahr her, dass er mich zum ersten Mal auf jener Rückbank geküsst hatte, auf der ich nun wieder saß, um zu ihm zu fahren, als mein Handy vibrierte. Facebook-Nachricht. Ich erkannte das Bild sofort. Die braunen Locken mit den zwei Kaffee.

Ob ich einen Moment hätte, fragte sie. Dass sie nicht wüsste, mit wem sie reden solle, schrieb sie. Dass ich ja seine beste Freundin sei und ihn darum kennen würde. Ob es wirklich stimme, dass er noch eine Freundin habe. Ob ich mir vorstellen könnte, dass er jene Frau jemals verlassen würde, oder ob er ihr das nur leer versprechen würde. Dass sie einfach nicht mehr wisse, ob sie ihm glauben solle, dass es ihr leid tue, dass sie mir all dies schreiben würde, aber dass sie nach 3 Monaten Affäre auch einfach nicht mehr anders könne.

Alles was danach passierte, passierte wie in vollkommener Taubheit. Jener Taubheit, die mich auch jetzt wieder einnimmt, während ich mich zurückversetze, aufschreibe.

Ich klingelte, lief die Treppen blind nach oben und schlug zu. „Ich mach dich fertig! Ich lass dich so hochgehen“, war das letzte, was ich ihm je ins Gesicht schrie, bevor ich aus dem Treppenhaus stürmte. Ich schaffte es noch um zwei Ecken, bevor ich an einer Hauswand zusammensackte und endlich mit jeder Faser begriff, was für jeden Außenstehenden unübersehbar gewesen war. Ich war nicht autonom in dieser Geschichte, ich konnte nicht alles haben, ich hatte hatte mich nicht aus freien Stücken für diese Affäre entschieden – sie war schlicht alles was ich hatte. Sie war der Rahmen, in dem ich mich beengte. Und das Absurde: es war nicht einmal die mangelnde Exklusivität, sondern die Lüge, die zum Dealbreaker wurde. Mit dieser Freundin hatte ich leben können, sie hatte ich mir klein reden, entsättigen und grau vorstellen können. Aber in diesem Moment, hatten sich die Karten verschoben. Nicht ich war die andere Frau, die braunen Locken waren es.
Und mit dem heutigen Tag begannen ihre 365 Tage, in denen sie schillernd, aufregend, anspruchslos und fabelhaft sein Leben bereichern durfte. „So wie du einen Mann bekommst, so verlierst du ihn wohlmöglich auch.“
Da ist was dran.

Das Nachbeben

Ob ich ihn fertig gemacht habe? Nein. Obwohl ich es mir oft ausgemalt habe. Ich hab oft überlegt ihr zu sagen: „In den letzten 365 Tagen? Gab es vielleicht ein paar Tage, an denen er dich nicht mit mir auf irgendeine Art und Weise betrogen hat. Und keinen einzigen, an dem er dir treu war.“ Das wäre die Wahrheit gewesen. Und ein kleiner Teil von mir wollte es ihr nur unter die Nase reiben, als sie sie ein paar Monate später Arm in Arm an einem Sonntag sah. Das erste Mal in all der Zeit. Ich bin stolz darauf, dass dieser Teil nicht gewonnen hat. Warum? Weil ich maximal mein Gewissen erleichtert, mich über sie gestellt und ein letztes Mal traurige Überlegenheit demonstriert hätte. Sie noch einmal final gedemütigt hätte. Und: weil sie es am Ende zu jedem Zeitpunkt längst wusste. Weil es für sie nichts geändert hätte. Weil ich schon längst die Frechheit besessen hatte sie vorzuführen, ich musste es mir von ihr nicht noch bestätigen lassen.

Ich war in meinem Leben bereits beides. Betrogene und Mittäterin. Und dennoch bin ich auch jetzt, im Off, am Ende dieser Geschichte und drei Jahre später noch immer der Überzeugung, dass nicht „die andere Frau“ eine Beziehung final zerstört. Dass nicht jene Frau sich gegen eine Affäre, sondern jener Mann sich für seine Beziehung entscheiden muss. Und dennoch könnte ich nie wieder „the other one“ sein. Nicht aus idealisierten, moralischen Gründen, die sich jetzt wie eine Heuchelei anhören würden. Ich will keinen Drahtseilakt zwischen echtem Verstecken und falschen Versprechen. Ich will kein „irgendwann“. Und vor allem: ich könnte nie wieder einen Mann respektieren, in meine Nähe lassen oder gar lieben, dessen größtes und einziges Talent die Lüge ist, das er großzügig auch an mich weitergibt, bis ich ihm schließlich ähnle.

Titelbild: Franca Gimenez – Flickr – CC BY-ND 2.0

Der Text erschien zuerst auf www.linamallon.de. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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