Foto: Humphrey Muleba | Unsplash

„Die MILF ist nicht selbstbestimmt, sie ist eine Trophäe“ – über den Fuckability-Zwang als Mutter

Der Anspruch an Frauen ist heute nicht nur, liebevolle, aufopferungsvolle Mütter zu sein, sondern zeitgleich auch noch „versaute Luder“ zu verkörpern, wie es die Autorin Katja Grach ausdrückt. Es geht um das Bild der MILF, und den damit verbundenen Fuckability-Zwang, über das sie ein spannendes Buch geschrieben hat. Ein Interview.

„Neben dem perfekten Körper, geht es auch immer noch um das Bild der perfekten Mutter“

Mütter sollen ja gemeinhin vieles – allem voran: perfekt sein. Perfekt funktionieren, perfekt lieben, perfekt erziehen, perfekt kochen, perfekt arbeiten und sowieso immer und überall perfekt reagieren. Aber natürlich auch: perfekt aussehen. Und das bedeutet, sich um die Frage zu kümmern, wie fuckable sie im Auge des Hetero-Mannes ist.

Kurz: Es geht um das Phänomen der MILF, also der „Mother I’d like to fuck“. Ein Begriff, der sich als Mutant, als kulturell weiterentwickeltes Mischwesen aus uralten Frauenidealen zeigt, sagt Katja Grach, die genau darüber und die Grenzüberschneidungen von Pop- und Pornokultur das Buch „Die MILF-Mädchenrechnung: Wie sich Frauen heute zwischen Fuckability-Zwang und Kinderstress aufreiben“ geschrieben hat. Wir haben mit ihr gesprochen.

Früher war das Bild von einer Mutter weitgehend das eines asexuellen Wesens – was natürlich auch Quatsch ist – heute „kann“ man mit viel Arbeit oder verdammt guten Genen zur MILF werden – vielleicht muss man es sogar? Wie viel Druck übt diese Haltung auf Frauen aus?

„Grundsätzlich gibt es diesen Druck ja mittlerweile für eine ganz große Altersspanne. Aber wenn sich durch die Schwangerschaft der Körper total verändert und eine eh damit schon super unglücklich ist, dann drücken Berichterstattungen von post-schwangeren Models und Stars, die schon wieder erschlankt und fit über Laufstege stolzieren, oder auch ein perfektes Foto von Herzogin Kate gleich nach der Geburt, ordentlich in diese Wunde. Da reichen sich das eigene Unwohlsein und die mediale Präsenz solcher vermeintlichen Vorbilder die Hand.“

„Die MILF verkörpert im Idealfall beides: sexuell aktiv, ein bisschen verrucht, gleichzeitig eine gute Mutter, die alles im Griff hat. Die eierlegende Wollmilchsau.“

Über was reden wir bei dem Begriff eigentlich konkret? Du sagst, die MILF ist ein Mutant aus alten Frauenidealen. Wie meinst du das – was kommt da genau zusammen?

„In der christlichen Tradition gibt es zwei Perspektiven auf Frauen. Die gute und brave Frau – das ist die Mutter, und die böse Frau – die Hure. Sie zeichnet sich quer durch die Kultur- und Religionsgeschichte als diejenige aus, die sexuell selbstbestimmt ist und sich gegen Mutterschaft stellt. Deshalb wird sie auch ausgegrenzt und bestraft. In Mythen, in der Bibel, in Filmdrehbüchern, der Literatur und auch ganz real mit der Hexenverbrennung. Die Rolle der Hure hat sich aber mehr oder weniger aufgelöst, seit es ‚in’ ist, ein böses Mädchen zu sein und seit nun Mütter auch offiziell sexy sind. Die MILF verkörpert im Idealfall also beides: sexuell aktiv, ein bisschen verrucht, gleichzeitig eine gute Mutter, die alles im Griff hat. Die eierlegende Wollmilchsau. Aber halt doch nicht zu ihren eigenen Bedingungen. Es ist am Ende wieder wie bei der Heiligen und der Hure. Das letzte Wort hat jemand anders.“

Wann kam der Begriff auf und wieso hat er sich so durchgesetzt? Schließlich weiß heute fast jede*r, was gemeint ist, wenn von einer MILF die Rede ist.

Die Autorin Katja Grach. Bild: Privat

„Grundsätzlich wird ja immer auf den Film American Pie verwiesen, Ende der 90er. Ob er vorher schon im Urban Dictionary war, weiß ich nicht. Aber mit 2000 hat sich auch die Pornoindustrie gedacht, dass das eine super Genre-Ergänzung wäre und sie hatte absolut recht. Milf ist eine der beliebtesten Kategorien seit über zehn Jahren. Gleichzeitig wurde unsere Medienlandschaft immer sexualisierter. Promis wurden mit privaten Sextapes berühmt, das Internet hat sein Schäuflein beigetragen, die Beauty-Industrie verdient gut mit Frauen, die sich in ihren Körpern unwohl fühlen und nicht zuletzt leben wir in einer Selbstoptimierungsgesellschaft. Ich denke, da spielt einfach total vieles zusammen, was diesen Begriff so mainstream-tauglich gemacht hat.“

„So richtig wolllüstige und besonders dicke Frauen, die ihren Körper und ihre Sexualität feiern, die werden ja gesellschaftlich immer noch als
‚gefährlich’ eingestuft.“

2016 hat die Sängerin Fergie den Song M.I.L.F. rausgebracht – im Video kommen viele weitere bekannte Frauen vor, die ebenfalls Mutter sind und die Szenerie wirkt als Zwischenspiel zwischen Ironie und einem Einnehmen des Begriffs. Siehst du auch emanzipatorisches Potenzial in dem Mütterbild – oder ist das Quatsch, weil es am Ende immer dem Male Gaze entspricht?

„Der Male Gaze ist der Knackpunkt. Ich versteh diesen Wunsch nach ‚Mutter sein, Frau bleiben’ voll. Schließlich sind unsere Geschlechtsidentität und unsere Sexualität ganz wesentlich für uns. Die Frage ist die nach dem Standard, der gelegt wird, wenn wir versuchen, uns diesen Begriff anzueignen. Fergie und ihre Mitstreiterinnen entsprechen halt schon einem ganz bestimmten Schönheitsideal. Heterogenität, wo bist du? Und so richtig wolllüstige und besonders dicke Frauen, die ihren Körper und ihre Sexualität feiern, die werden ja gesellschaftlich immer noch als ‚gefährlich’ eingestuft. Wenn die aber mit dabei sind, bei der Aneignung des Begriffs, und auch solche, die sich die Beine nicht enthaaren oder einen flachen Hintern haben und gleichzeitig nur so strahlen vor Selbstbewusstsein und Sexyness –und den Milchmann vernaschen, ja dann könnten wir von emanzipatorischem Potenzial sprechen. Mehr Spielraum für alle.“

Du hast es gerade schon gesagt: Auch die Pornoindustrie hat diesen Müttertypus für sich entdeckt. Was ist der Reiz, das alte Spiel von Heiliger und Hure?

„Ich glaube der Reiz in der Pornoindustrie liegt einerseits am Tabu mit der Heiligen und andererseits am Inzesttabu. Neben dem Begriff MILF, der in der Pornhubstatistik fast überall und relativ konstant ganz weit vorn in der Auswertung der Suchen zu finden ist, und eben die zweitbeliebteste Kategorie darstellt, finden sich auch Begriffe wie ‚Mom’ oder ‚Step Mom’ ganz weit vorn. Genau von solchen Grenzüberschreitungen des Verbotenen lebt Pornografie ja auch. Das ist ebenso an anderen ‚trendigen’ Genres zu sehen. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass das Internet das Pornoangebot enorm verbreitert und langlebiger gemacht hat. MILF-Pornos sind eine Möglichkeit geworden für Pornodarstellerinnen, auch nach dem zarten Alter von 25 noch Geld zu verdienen, und auch für solche mit relativ großen Silikonbrüsten. Die klassische junge Darstellerin schaut nämlich mittlerweile ganz anders aus.“

„Je mehr Frauen an Tabus rütteln, desto lauter die Kritik.“

Wie passt die MILF eigentlich dazu, dass gerade Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, und Kinder und Affären oder wechselnde Beziehungen haben, nicht selten sehr stark kritisiert oder zumindest immer kritisch beäugt werden?

„Ach, ich denke da ganz pauschal, dass alles was Frauen tun, in der Öffentlichkeit sowieso kritischer beäugt wird. Da ist es schon egal, was sie machen. Aber klar, je mehr sie an Tabus rütteln, desto lauter die Kritik. Und die MILF ist ja eine Fremdzuschreibung. Also ist sie in Wahrheit auch nicht selbstbestimmt und darf sich mit ihrer Sexualität nur auf bestimmte Weise zeigen. Kinder von verschiedenen Männern und Affären … wo kommen wir denn da hin? (lacht) Am besten eine monogame Beziehung und der Ehemann sucht dann die zweite Frau für den Dreier aus oder bringt seinen besten Freund mit. Die MILF ist zum Herzeigen wie eine Trophäe, aber eben noch lange nicht selbstbestimmt.“

Heute scheint es ganz normal, dass Frauen, die Kinder bekommen haben, dabei beobachtet und medial begleitet werden, wie sie wieder zu ihrem „tollen, früheren Körper“ zurückkommen – also möglichst schnell (wieder) schlank und straff werden. Die Reaktionen auf Frauen, die das besonders schnell schaffen, ist oft Staunen und Bewunderung, zumindest in den sozialen Netzwerken. Wieso kommt hier nicht mehr Unverständnis auf, wieso keine Fragezeichen, weshalb das notwendig sein sollte?

„Zum einen Leben wir in einer Zeit, in der alles machbar scheint, in der wir tausend Ratgeber und Blogs haben, die uns zehn Wege für dieses und jenes erklären und wenn wir das nicht machen, dann sind wir selber schuld und Loser. So ist das mit der Leistungsgesellschaft. Zweitens haben wir mit der digitalen Fotografie und Social Media gelernt uns super in Szene zu setzen und uns gleichzeitig viel Anerkennung damit zu holen. Wir sind umgeben von diesen inszenierten Momentaufnahmen und vergessen ganz leicht, dass das nicht die Realität ist. Aber auf Instagram wird auch der Wunsch nach mehr Realness laut. Doch ganz ehrlich, ich will auch nicht kacke auf einem Foto aussehen, das für immer im Netz bleibt.

Und drittens ist der Imperativ, das Frauen das schöne Geschlecht sein sollen, ja nicht neu. Das werfen wir ja nicht so schnell über Bord. Vor allem wenn wir die zwei oberen Faktoren mitbedenken. Und da ist ja dann auch selber das ganz persönliche Gefühl des Frusts über den hängenden Bauch, den hängenden Busen, die wabbeligen Stellen und die Schwierigkeit diese Hülle jetzt einfach mal so anzunehmen. Je mehr und je intensiver der eigene Körper vor der ersten Geburt Aufmerksamkeit und Huldigung bekommen hat, desto schwieriger wird es vermutlich, ihn danach in veränderter Form anzunehmen. Darum das Staunen und die Bewunderung.“

Ist das Bild der MILF eigentlich mehr eines einer patriarchalen oder einer Leistungsgesellschaft?

„Hm, gute Frage. Ich glaube die Leistungsgesellschaft wiegt viel mehr und ist gleichzeitig viel unsichtbarer. Ich bekomme oft die Frage von Journalisten – nie aber von Journalistinnen–, ob es denn wirklich so schlimm sei mit diesem Druck. Vermutlich kommt die Frage deshalb, weil dieser internalisierte Leistungsdruck so schwer zu sehen ist, weil wir ihn kaum aussprechen, außer wenn wir ausbrennen.“

In deinem Buch geht es auch um das wirtschaftliche Interesse an diesem Mütterbild. Wie sieht das aus?

„Grundsätzlich ist die Industrie riesig, die an unseren Körpern verdient – ob das jetzt der Bereich Beauty, Textil, Fitness, Lebensmittel, Wellness oder was auch immer ist. Die britische Journalistin und Autorin Laurie Penny hat mal gesagt, dass wenn wir eines morgens aufstehen würden, und uns (als Frauen) wohl in unseren Körpern fühlten, die ganze Wirtschaft zusammenbrechen würde. Da ist wohl was Wahres dran. 
Bei Müttern lässt sich aber nicht nur an deren Aussehen etwas verdienen, sondern auch mit unzähligen Babyartikeln, die sie unbedingt brauchen, mit unzähligen Erziehungsratgebern, damit sie ja alles richtig machen, mit horrenden Preisen für Kinderwägen – nur das Beste fürs Kind–, Bio-Jersey-Stoffen, Kindergeburtstagsdeko, alle möglichen Hobby- und Förderungskurse für den Nachwuchs … die Liste ist unendlich. Neben dem perfekten Körper geht es ja schließlich auch noch immer um die perfekte Mutter.“ 

„Um uns selbst nicht mehr in dem Zwang wahrzunehmen, braucht es viel Arbeit an uns selbst, es braucht viel Zeit, Mut, Solidarität und Sichtbarkeit, bis an die Schmerzgrenze zu unseren eigenen Bedingungen.“

Und wieso sind Mütter bereit, dieses wirtschaftliche Interesse zu bedienen?

„,Das macht man halt so’. Ich glaube, wir denken da alle gar nicht so viel drüber nach. Wir geiern ja auch nach dem nächsten Iphone, obwohl das alte noch nicht kaputt ist. Schöner und besser geht immer noch. Wir ersticken ja in Waren. Und alles richtig machen wollen wir auch. Auch die Social Influencer sagen uns dauernd, was wir noch brauchen zu einem glücklicheren Leben. In Wahrheit sind wir alle verdammt unsicher und wollen uns – ganz nach der Leistungsgesellschaft – noch immer optimieren. Das hat ja auch viel mit Kontrolle zu tun. Dabei ist oft auch jetzt schon einfach gut genug. Und scheiße und anstrengend darf es auch mal sein. Aber das sind wir nicht gewohnt. Wir glauben immer es muss noch mehr passieren und mit diesem einen Produkt wird dann alles gut. Nee, wird’s nicht. Aber Mütter sind da nicht ausgenommen. Sind ja auch nur ganz normale Menschen.“

Was würdest du sagen: Wie wahrscheinlich ist es, dass wir je Zeiten erreichen, in denen Frauen – ob Mutter oder nicht – ohne den Zwang zur Fuckability wahrgenommen werden?

„Vielleicht muss es damit anfangen, dass wir uns selber nicht mehr in diesem Zwang wahrnehmen. Wenn der Leistungsgedanke dahinter größer ist, als das Patriarchat, dann müssten wir einfach dort das System aushebeln. Gleichzeitig sind wir auch so sozialisiert, in dieser Art wahrgenommen zu werden. Das ist gar nicht so leicht, das dauerhaft anzunehmen, nicht auf unser Aussehen reduziert zu werden. Das muss eine auch mal dauerhaft aushalten. Im Grunde ist das alles viel Arbeit an uns selbst, es braucht viel Zeit, Mut, Solidarität und Sichtbarkeit bis an die Schmerzgrenze zu unseren eigenen Bedingungen. Dann klappt das.“

Katja Grach: Die MILF-Mädchenrechnung: Wie sich Frauen heute zwischen Fuckability-Zwang und Kinderstress aufreiben, Schwarzkopf& Schwarzkopf Verlag, Mai 2018, 240 Seiten, 14,99 Euro.

In eigener Sache:

Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei

Mehr bei EDITION F

Emanzipiert euch von der Idee der perfekten Frau! Weiterlesen

Man sieht meinem Körper an, dass ich Mama bin – aber ich werde meinen Bauch nicht mehr verstecken! Weiterlesen

„Als Mutter versucht man sein Leben einfach nur irgendwie hinzubekommen“ Weiterlesen

Anzeige