Foto: Michael Bentley I flickr I CC BY 2.0

„Keine Sorge, seine kleine Schwester würgt er auch immer“

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Was denken bloß die anderen?

„Jetzt ist sie aber auch wirklich müde“

Neulich auf Facebook: Ein netter ehemaliger Kollege (kinderlos) postete, wahrscheinlich ganz unbedarft und ohne weiter darüber nachzudenken, wie man das auf Facebook halt so macht: „Standardsatz junger Eltern (mit entschuldigendem Ton), wenn das Kind plärrt: ,Sie/Er ist jetzt aber auch sehr müde.‘“

Ein anderer netter ehemaliger Kollege (seit einiger Zeit mit Kind) bemerkte darunter etwas spitz: „Aha. Und was genau möchtest du uns damit sagen?“ Die Replik des kinderlosen Kollegen wiederum klang fast ein bisschen erschrocken: „Oh Gott, keine Ahnung, ist mir nur aufgefallen.“ Jemand anderes steuerte dann glücklicherweise zur Diskussion bei: „Und die Eltern meinen: ,Warum habe ich dieses Kind nur so verwöhnt?‘. (Fast) alles Konditionierung. Kinder in bestimmten Gegenden Afrikas weinen nicht.“ Und die Eskimos haben übrigens mehr als 20 Wörter für Schnee, falls das jemand noch nicht gewusst haben sollte.

In der Regel sind die Eltern schuld

Und weiter ging es: „Klar ist: Weint das Kind, sind die Eltern schuld. Egal, warum.“ Das trifft die Sache schon eher, und das macht es zuweilen ein bisschen nervenzehrend, sich mit Kindern in der Öffentlichkeit zu bewegen. Der Grad der eigenen tagesaktuellen Erschöpfung, Ausgelaugtheit, Resignation oder Gereiztheit entscheidet darüber, wie sehr es einen kümmert oder man es sich zu Herzen nimmt, was die anderen denken.

Es gibt Tage, da muss ich mit den Tränen kämpfen, wenn mein kleines Kind einer Frau im Bio-Supermarkt mit seinem ebenso kleinen Kinder-Einkaufswagen in die Hacken fährt und ich genau gesehen habe, dass er das nicht absichtlich gemacht hat und ich mich trotzdem entschuldige und ich dann mit anhören muss, wie sie ihrer Begleitung etwas zuraunt, von dem ich zumindest die Satzfetzen „fürchterliches Kind“ und „Nicht unter Kontrolle“ erahne.

Lieber ein müdes Kind als ein tyrannisches Miststück

Da haben die beiden blöden Trullas aber Glück gehabt, dass das kein Tag war, an dem ich dem Schlafentzug geschuldet auf aggro gebürstet war. Dann hätte es durchaus passieren können, dass ich denen mal schön die Meinung gegeigt hätte, wie gemein, hinterhältig und kleingeistig man eigentlich sein muss, um das ungelenke wie unschuldige Kindereinkaufswagenfahrverhalten eines Zweijährigen so falsch zu interpretieren!

Fakt ist, das wollte ich mit dem Beispiel andeuten: Leute, die Kinder haben, geraten ständig in Situationen, in denen sie sich für ihre Kinder rechtfertigen müssen, oder zumindest erklären, oder zumindest denken, sie müssten sich rechtfertigen oder erklären.Weil Kinder nun mal ständig irgendwas machen, was sie nicht sollen und was andere Leute, speziell die ohne Kinder oder mit älteren oder jüngeren Kindern, blöd oder anstrengend oder beides finden (andere Kinder in den Würgegriff nehmen; während des Traugottesdienstes in der Kirche losbrüllen und auf Bänken turnen; mit Essen an Tischdecken rumschmieren; anderen Leute auf den Füßen rumstampfen; im Supermarkt in drei Aprikosen beißen und alle drei wieder zurück sortieren – eine kleine, willkürliche Auswahl von Beobachtungen der letzten drei Tage).

Und egal wie abgestumpft und „mir doch egal“-mäßig man tagesformabhängig drauf ist: Irgendwie will man dann halt doch nicht, dass die anderen das eigene Kind für ein schlecht erzogenes, unsympathisches, übellauniges und tyrannisches Miststück halten. Deshalb die Rechtfertigungen.

Jeder heult doch mal

Das gelingt mal besser, mal schlechter. Der empörten Mutter des knapp einjährigen Engelchens mit entschuldigendem Lächeln mitzuteilen, den harmlosen Würgegriff würde der eigene Vierjährige bei seinem Schwesterchen auch immer anwenden, funktionierte leider nicht so gut. Ab und zu muss man damit leben, dass das eigene Kind bei anderen Leuten ein Miststück-Image hat.

Man möchte das aber in der Regel vermeiden, und deshalb sagen Eltern Sätze wie den oben erwähnten. Besser ein müdes Kind als ein grundlos greinendes.

Und überhaupt, bester Diskussionsbeitrag der kleinen, eingangs erwähnen Facebook-Konversation: „Kinder weinen doch überall mal. Und Erwachsene übrigens auch.“ Genau!

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