Foto: Pexels

Warum ein „Sorry, ich habe keine Zeit“ meist eine Lüge ist

In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, wann: „Sorry, keine Zeit!“ eigentlich „Sorry keinen Bock“ heißt.

Von der Zeit, die wir uns nehmen – oder eben nicht

Wenn jemand sagt: „Oh tut mir leid, ich habe keine Zeit!“, dann wissen wir alle, dass das mehrere Bedeutungen haben kann. Es kann bedeuten: Ich habe heute  wirklich keine Zeit, weil ich einen super wichtigen Termin habe, verreist oder schon anderweitig verabredet bin. Oder es bedeutet: „Sorry, ich habe Unmengen an Zeit, will sie aber heute nicht mit dir verbringen“ – und ist damit eine nette Floskel für etwas nicht ganz so Nettes. Und wir benutzen sie alle. Immer und immer wieder. Sind wir also miese Egoisten oder haben unsere Freunde, Partnerinnen oder Familienmitglieder nicht so gern, wie wir sie haben sollten? Denn eigentlich müsste man doch immer Zeit für jemanden haben, den man gern hat, nicht wahr?

Nun, es ist doch so: es gibt unendlich viele Gründe, jemanden an einem Tag nicht treffen zu können. Vielleicht will man einfach nur nichts machen, vielleicht will man Serien schauen oder vielleicht will man genau an diesem Tag wirklich mal seine Fußnägel in Ruhe schneiden und die Fingernägel noch dazu, sich den Pony mit der Papierschere kürzen oder das Flusensieb der Waschmaschine gründlich reinigen – ich meine, das macht sich alles auch nicht von alleine! Und da sagt man dann lieber: Leider keine Zeit. Denn wie würde die Alternative bitte klingen? Niemand will andere ernsthaft für ein Flusensieb versetzen (müssen). Aber genau so ist das manchmal.

Und dann wäre da noch: Ich habe ganz explizit keine Lust dich zu sehen

Oder, und jetzt geht’s ans Eingemachte: Man will den anderen einfach mal nicht sehen. Schmälert das die Liebe? Nein. Denn nur Menschen, die nicht mehr alle Latten am Zaun haben und Frischverknallte wollen sich permanent um sich haben – alle anderen nicht. Ganz egal, wie gern man sich hat. Aber das zu sagen, ist irgendwie auch keine Alternative. Denn sofort würden Zweifel aufkommen: Was bedeutet das? Hat sich unsere Beziehung verändert? Schwelt da Streit zwischen uns? Habe ich irgendwas gemacht? Hach, und schon ziehen Gewitterwolken auf, wo keine sein müssten. Also sagt man lieber: Keine Zeit. Es ist folglich kein Egoismus, sondern ein Zeichen von emotionaler Intelligenz und Zuneigung – denn wieso sollte man jemanden verunsichern oder etwas verbal vor den Latz ballern, wenn das auch anders geht? Und vielleicht ist es auch ein wenig Hilflosigkeit ob dem gesellschaftlichen Gezerre und Geschnipple, an dem kostbarsten Gut, das wir haben: unserer Lebenszeit.

Eine weiße Lüge in dem elendigen Zustand ständiger Verfügbarkeit, die wir alle anprangern. Wenn wir sie aber selbst einfordern, dann doch aber ziemlich akzeptabel finden. Denn wie sehr stresst es uns doch, wenn andere denken, man könnte immer sofort springen, nur weil ihnen gerade einfällt, dass sie etwas von uns wollen. Aber wehe, wir wollen mal was: Dann checkt man sofort, ob sich zwei blaue Häkchen hinter der Whatsapp-Nachricht finden lassen – und Gott bewahre, ohne dass eine Antwort verfasst wurde. Hallo? Geht’s noch?!

Und genau deshalb hören auch wir oft das versteckte „Keinen Bock“, dass sich als Zeitmangel tarnt. Aber wenn wir alle mal tief durchatmen, dürfte es doch wirklich nicht zu viel verlangt sein nicht ständig für jedermann verfügbar sein müssen. Und ja, das auch mal: ohne wohlklingenden Grund.

Wie wir uns zu notorischen Schwindlern machen

Denn natürlich haben wir für alles Zeit. Die Frage ich nur, ob wir sie uns nehmen. Und es ist unser aller Recht und sogar unsere Pflicht, sie so zu verwalten, wie wir es für uns als gut erachten. Alles andere ist Stuss. Schließlich zerreißen wir uns schon genug zwischen unseren To-Do’s, zwischen all dem, was Muss und Soll, und das bißchen, was uns da an Zeit für Muße, fürs Nichts, für kleine Privatangelegenheiten bleibt, das sollte nicht noch misstrauisch betrachtet werden, wenn man es nicht sofort in Mutter Theresa-Art für andere opfert. Aber genau so läuft’s dann eben doch. Und genau deshalb machen wir uns gegenseitig zu notorischen Schwindlern. Ob wir das ändern können und wir zarten Seelen die knallharte Wahrheit doch etragen könnten? Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht sicher – vielleicht ist das aber auch ganz OK so.

Und falls meinen Liebsten nun der Kamm schwillt: Ja, schuldig! Auch ich habe es schon getan. Tausendfach. Nicht immer, wenn ich sage, ich habe keine Zeit, habe ich keine Zeit. Aber dann gibt es dafür einen Grund. Nicht immer einen, der sich plausibel oder gut anhört. Aber es gibt einen. Und wenn es nur der ist, endlich mal Zeit zu haben. Egal wie, seid euch jedenfalls sicher: ein Mangel an Zuneigung oder Wertschätzung steckt nicht dahinter. Das würde ich euch nämlich tatsächlich direkt ins Gesicht sagen. Aber so ein bißchen Raum für mich, den erkaufe ich mir manchmal mit dieser perfiden Floskel – doch natürlich nur, weil ich euch so gerne habe.

Ach ja, und: Wenn ihr mir das sagt, dann gehe ich natürlich weiterhin davon aus, dass das wirklich stimmt. Denn wieso sollte man mich nicht gerne permanent um sich haben? Eben.

Mehr bei EDITION F

Zeit – wir haben nie genug. Weiterlesen

Tschüss, Welt! Warum mich Alleinsein gelegentlich sehr glücklich macht. Weiterlesen

Warum wir kein Zeitmanagement mehr betreiben sollten. Weiterlesen

Anzeige