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Fähigkeiten statt Fakten – das sollen Kinder im Kindergarten lernen

Kinder sollten im Kindergarten vor allem Fähigkeiten lernen, sagen Bildungsökonomen.

Es ist nicht unbedingt das Gebiet, das die Ökonomie vorrangig beschäftigt. Dennoch: Auch unter Wirtschaftswissenschaftler*innen gibt es Expert*innen, die erforschen, wie sich die Bildung von Kindern im Kindergartenalter auf deren späteres Leben auswirkt — und welche Aufgaben Kindergärten dabei übernehmen sollten. Der Text von Carolin Freytag erschien zuerst auf Business Insider und ist Teil des Kindergarten-Specials.

Oft wird die Kritik vorgebracht, in der modernen Gesellschaft gehe es nur noch darum, Kindern möglichst früh Schreiben, Rechnen und Fremdsprachen einzutrichtern, um perfekte Arbeitskräfte zu erziehen. Ökonom*innen können einem solchen System allerdings nicht viel abgewinnen. Dass Faktenlernen im Kindergarten keine Garantie für Erfolg im Leben ist, darin sind sich die Bildungsökonominnen Christa Spieß, Abteilungsleiterin Bildung und Familie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), und Larissa Zierow, stellvertretende Leiterin des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, weitgehend einig.

Es geht nicht darum, Chinesisch zu pauken oder mathematische Aufgaben zu lösen. – Christina Spieß

„Kindergärten sollten vor allem Fähigkeiten vermitteln, die später zum Lernen gebraucht werden. Ich weiß von keiner Studie, die zeigt, dass das Einkommen später besser ist, wenn man sich bereits im Kindergarten mit Mathematik beschäftigt hat“, sagt Zierow im Gespräch mit Business Insider.
„Eine gute Kita ist nicht dafür da, Faktenwissen zu pauken, sondern die Fähigkeiten, die man später fürs Lernen und den Alltag braucht, müssen vermittelt werden“, erklärt Spieß. „Nicht kognitive und kognitive Fähigkeiten bedingen sich gegenseitig und wenn man beide frühkindlich entwickelt, trägt das zu einer optimalen langfristigen Förderung bei. Dabei geht es nicht darum, Chinesisch zu pauken oder mathematische Aufgaben zu lösen, sondern darum, ein Sprachverständnis und naturwissenschaftliche Vorläuferfähigkeiten zu entwickeln.“

Es sei jedoch Kaffeesatzleserei, im Detail zu sagen, wie der Arbeitsmarkt von morgen aussehe, so Spieß. „Aber sicher ist: Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten.“ Jack Ma, Chef des chinesischen E-Commerce-Konzerns Alibaba, rechnet beispielsweise damit, dass Computer und Roboter in den nächsten drei Jahrzehnten bis zu 800 Millionen Jobs weltweit überflüssig machen, schreibt die „Zeit“. Das Global Institute von McKinsey sagt, rund ein Drittel aller deutschen Arbeitnehmer*innen müssten sich bald einen neuen Job suchen. Wie die Arbeitswelt der Zukunft aussehen wird, weiß heute noch niemand.

Die Kinder von heute und Arbeitnehmer*innen von morgen müssen sich deshalb vor allem auf zahlreiche Veränderungen einstellen, darauf können sie schon heute in den Kindergärten vorbereitet werden. „Um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft zu bestehen, muss man kreativ und offen für Veränderungen sein. Die Kinder sollten die Fähigkeit entwickeln, immer wieder Neues zu lernen. Es geht eher darum, größer zu denken, als darum, einzelne Dinge zu lernen“, erklärt Zierow.

Die Qualität der Kindergärten muss steigen

Damit das funktioniert, muss sich allerdings in vielen Kindergärten Deutschlands noch einiges tun. „Man weiß, dass die Qualität in den deutschen Kitas im mittleren Bereich liegt. Wenn wir das Potenzial im Hinblick auf den demografischen Wandel und das damit verbundene künftig sinkende Erwerbspotenzial ausschöpfen wollen, brauchen wir bessere, pädagogisch hochwertigere Kindertageseinrichtungen“, sagt Spieß.

Bisher seien vor allem strukturelle und finanzielle Probleme weit verbreitet. „Es gibt bereits hervorragende Beispiele für Kindertageseinrichtungen, aber wir haben noch immer eine sehr große Heterogenität. Da die Kommunen die Hauptlast der Finanzierung von Kitas in Deutschland tragen und diese finanziell sehr unterschiedlich ausgestattet sind und zudem noch unterschiedliche politische Prioritäten haben, gibt es große Unterschiede“, sagt Spieß. Auch eine bessere Ausbildung der Pädagog*innen könnte helfen, ist die Bildungsökonomin überzeugt. Diese sei heute noch immer sehr unterschiedlich ausgerichtet. Einen einheitlichen, bundesweiten Lehrplan, etwa bei Erzieherinnen und Erziehern, gebe es nicht.

Zierow sieht das ähnlich. „Die Qualität der Kindergärten ist für die Entwicklung der Kinder entscheidend. Es kann einen riesigen Unterschied machen, ob Lehrer*innen oder Erzieher*innen motiviert sind oder nicht. Damit sich die Qualität der Betreuung verbessert, darf es auf jeden Fall keinen Personalmangel geben, der die Mitarbeiter stresst“, sagt Zierow. „Um mehr Personal in den Erziehungsbereich zu bekommen, könnte es beispielsweise helfen, wenn Erzieher*innen bereits in den ersten Ausbildungsjahren bezahlt würden. Damit könnte man mehr und qualifiziertere Arbeitskräfte anlocken.“ Und: „Erzieher*innen müssen auch lernen, wie man Kindern am besten Kreativität vermittelt“, betont sie.

Das wichtigste aus ökonomischer Sicht: möglichst früh Chancengleichheit schaffen. – Larissa Zierow

Und noch etwas ist laut Zierow von enormer Bedeutung: „Das wichtigste aus ökonomischer Sicht ist, möglichst früh Chancengleichheit zu schaffen. So hilft es Kindern aus Migrant*innenfamilien womöglich, wenn sie im Kindergarten die Sprache lernen. Es ist auch wichtig, die Familien der Kindergartenkinder mit einzubeziehen.“ Ungleichheiten in der Gesellschaft lassen sich oft mit den Entwicklungen in der Kindheit erklären und Kindergärten spielen in der Entwicklung eine wichtige Rolle, so Zierow.
„Man muss mit den Familien zusammenarbeiten und Kinder und Familien mitnehmen. Sehr viele ökonomische Studien haben gezeigt, dass insbesondere Kinder aus sozioökonomisch schlechter gestellten Haushalten von Kindertageseinrichtungen mit einer sehr guten Qualität profitieren“, erklärt Spieß.
Eine Studie, die den generellen positiven Effekt eines Kindergartenbesuchs deutlich macht, stammt vom Wirtschaftsnobelpreisträger James Heckmann, wie Zierow erklärt. „Seine Langzeitstudie in den 60er-Jahren hat gezeigt, dass die Zeit im Kindergarten von großer Bedeutung ist. Er hat die Entwicklung von Kindern verglichen, die in einen sehr guten Kindergarten gingen und jenen, die diese Möglichkeit nicht hatten. Die Kinder, die in den Kindergarten gegangen sind, wurden später weniger kriminell, verdienten mehr Geld und waren insgesamt zufriedener.“ Zu ähnlichen Erkenntnissen seien auch norwegische Forscher gekommen.
Dabei muss es gar nicht immer der herausragendeste Kindergarten sein, damit die Kinder profitieren, so Zierow.„Diesen Effekt gibt es immer dann, wenn die Qualität der Betreuung im Kindergarten besser ist, als das, was den Kindern zu Hause geboten wird.“

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