In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über den Körper, der ständig als Statement herhalten muss.
Körper, was soll denn das bedeuten?
Früher habe ich Freunde ja gerne mal dazu gezwungen, vermeintlich unvorteilhafte Urlaubsbilder zu löschen — wenn nötig mit Androhung roher Gewalt. Ich war wahrhaftig drangsaliert von dem Gedanken, dass diese Aufnahmen die Wahrheit zeigen könnten und selbst wenn, oder gerade deshalb, darf das natürlich niemals auf Zelluloid gebannt werden, pardon falsches Jahrzehnt: seinen Weg ins nie vergessende Netz finden. Was denken denn die Leute? Das ich keine Modelmaße habe? Ich nicht nur aus Schokoladenseiten, einem strahlenden Lächeln und wundersam perfekt fallenden Haaren bestehe? Haha, das wäre ja sonst keinem aufgefallen. Hach ja, heute, mit meinem methusalemhaften Alter von 30 Jahren, kann ich darüber beherzt den Kopf schütteln. Denn ja, mich interessiert mein Körper und sein Zustand immer noch brennend, nur kann ich vermeintlichen Makeln entspannter begegnen. Und wenn nicht, tue ich was dagegen – zumindest so fern mich der Schweinehund lässt. Ihr versteht.
Aber nicht nur bei mir persönlich, auch ganz generell scheint sich etwas in Sachen Entspanntheit verändert zu haben. Denn diesen Sommer durfte ich in Parks und am Strand mit Freude feststellen: Dellen sind für Frauen kein großes Thema mehr. Verstecken? Ach was, das ist so 2001! Statt sich wie zu Beginn der Nuller Jahre üblich verschämt den Pareo um dralle Hüften und Oberschenkel zu schlingen, um Hügellandschaften unter Hawaii-Blumen zu verstecken oder die locker flatternde Leinenhose statt die Hotpants zu wählen, zeigen Frauen jetzt ziemlich selbstverständlich was sie zu bieten haben. Und das ist eben in den allerseltensten Fällen makellos. Ich bin entzückt, ob der neu enthüllten Körperbilder, die nun ganz selbstverständlich durchs Gelände tänzeln und damit allen sagen: Ihr könnt uns mal! Hier wird sich nicht mehr für etwas geschämt, für das es sich nicht zu schämen gilt.
Die Schattenseite des neuen Wohlgefühls
Aber wollen diese Frauen das wirklich damit ausdrücken? Oder war ihnen, und das klingt jetzt vielleicht absurd, eventuell einfach heiß? Waren Leinenhose und Pareo schlicht in der Wäsche? Mmh… der Statement-Gedanke klingt irgendwie aufregender. Kein Wunder also, dass er mein Blut in Wallung bringt. Denn mal ehrlich, bei aller Begeisterung finde ich die neue Körperfreiheit auch ziemlich bigott. Denn was auf der einen Seite an Freiheit errungen wird, schütten wir auf der anderen gleich wieder zu. Während Körper, für dessen Zurschaustellung man vermeintlich Mut braucht, bei Entblößung als starkes Statement beklatscht werden, so sind wir mit den Frauen ganz schön kritisch, die in Sachen Attitüde nichts in der Hinterhand haben, weil sie offensichtlich mit einem Körper bedacht wurden, der wunderbar in althergebrachte Schönheitsideale passt.
Die zeigen Knackpo und Brüste? Ekelhaft! Und schon wird fix die Slut-Shaming-Karte aus der Tasche gezogen. „Wieso hast du das nötig?“ wurde kürzlich etwa auch die Bloggerin Lina Mallon von Frauen im Netz gefragt, nachdem sie ihren nackten Hintern bei Instagram zeigte. Statt hier erstmal ihr Wohlgefühl mit sich selbst zu beklatschen, wurde sich vor allem auf eine vermeintliche Like-Geilheit gestürzt und vermutet, dass hinter einem nackten Körper, der öffentlich gezeigt wird, wohl kaum eine Frau mit Köpfchen, ja, Gott bewahre, mit einer Haltung stecken kann! Nein, also echt.
Aber Leute, wo genau wollen wir mit dem „Guter nackter Körper, schlechter nackter Körper“-Spielchen hinkommen? Ganz bestimmt nicht in Richtung Body Positive. Denn dazu gehört nicht nur, dass jeder Körper schön ist, sondern auch, dass jeder mit seinem Körper machen darf, was er oder sie möchte. Entspannter Umgang nennt sich das, und viel mehr noch: Selbstbestimmung. Und die abzusprechen, weil uns stereotype Schönheit ab sofort verdächtig vorkommt, ist vieles, aber sicher kein feministischer Gedanke. Ob wir (und damit meine ich auch mich) wohl irgendwann dahin kommen, dass Körper einfach nur Körper sind, ohne dass sie gleich für ein politisches Statement herhalten müssen? Ohne dass man für Celluite gefeiert oder für einen entblößten Apfel-Po (gedanklich) abgestraft werden muss? Es wäre doch richtig fein, seinen Körper textillos zeigen zu können, ohne das jemand deshalb eine Party schmeißt oder zum Aufstand aufruft. Aber bis es soweit ist, können wir uns vielleicht zumindest darauf einigen, dass jeder mit seinem Körper machen darf, wonach ihm der Sinn steht – und dass das wirklich nicht permanent eines Kommentars bedarf.
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