Im Team spielt sich jemand als Chef*in auf, und ist es nicht? Eine Expertin hat vier Möglichkeiten, wie man damit umgehen kann.
Selbsternennung zum Boss – absolutes No-Go
Viele Führungskräfte geben ihren Mitarbeiter*innen regelmäßig Aufträge und Feedback. Wenn sie es konsequent und respektvoll tun, ist das für beide Seiten positiv. Nicht ganz so positiv ist es in der Regel, wenn Kolleg*innen der gleichen Hierarchieebene sich ungefragt zum*r Chef*in aufschwingen, anderen Aufgaben zuteilen, ihre Arbeit kritisieren, oder sich in Meetings darstellen, als seien sie der*die Teamleiter*in.
Manche Menschen würden, wenn ein*e Kolleg*in sich plötzlich so verhält, wohl erstmal nur die Augen verdrehen und machen, was er sagt, um Konfrontation zu vermeiden. Andere würden sofort einen Streit vom Zaun brechen. Und wieder andere würden zum*r Chef*in gehen und ihn um Hilfe bitten. Alle drei Wege haben offensichtliche Nachteile.
Menschen der ersten Gruppe fressen Ärger in sich hinein und bekommen zusätzliche Arbeit aufgehalst. Die zweiten machen sich den*die Kolleg*in vielleicht mit einer unbedachten Äußerung zum Feind. Menschen der dritten Gruppe könnten in Zukunft eventuell im Büro als Kolleg*innenverräter gelten. Nichts davon klingt wünschenswert, oder? Carmen Schön, Juristin, Psychologin und Managerberaterin, hat Marleen van de Camp von Business Insider erklärt, was die geschicktesten Verhaltensweisen sind.
„Grundsätzlich entwickeln sich in jedem Team von Gleichrangigen mit der Zeit Rollen“, sagt sie. „Ein Team organisiert sich von alleine. Der*diejenige, der*die etwas zu sagen hat, tut es eben. Darum ist es ganz normal, wenn sich jemand herauskristallisiert, der — in Anführungsstrichen — die Führung übernimmt.“ Auch im Freundeskreis sei es schließlich oft so, dass manche eher Dinge anstoßen und andere eher mitmachen. Nehmt ihr dieses Verhalten als störend wahr, habt ihr vier Möglichkeiten.
Klare Regeln für Kritik
„Erstmal kann man dem*der Kolleg*in oder Freund*in ein klares Feedback geben. Das darf natürlich nicht verletzend sein. Stattdessen sollte man aus der Ich-Perspektive beschreiben, was man wahrnimmt“, rät Schön. Ihr könntet zum Beispiel sagen: „Du bist in der Präsentation immer sehr aktiv. Dadurch habe ich wenig Möglichkeit, mich auch einzubringen, und das wünsche ich mir anders. Könnten wir eine Vereinbarung treffen?“
Carmen Schön zufolge ist das der beste Weg. Natürlich setze er*sie eine gewisse Stärke voraus, die nicht jeder habe, so die Psychologin. Außerdem sei der*die andere ja nicht verpflichtet, leise zu sein. Wenn das Feedback-Gespräch nicht zu einer Verbesserung führt, habe man also keine Wahl, als an sich zu arbeiten und im nächsten Meeting von selbst die Initiative zu ergreifen.
Mitstreiter*innen suchen
„Die zweite Möglichkeit wäre, sich kollegiale Unterstützung zu suchen und demjenigen, der sehr laut ist, vielleicht mit mehreren entgegenzutreten. Das ist eine einfache Lösung, wenn man sich alleine nicht traut“, sagt Schön. Man könne sich eine*n Kolleg*in suchen, der einfach tougher ist als man selbst, und ehrliches Feedback geben kann. Diesen könne man darum bitten, mit dem*r lauten Kolleg*in zu sprechen.
Oder man verbündet sich mit Gleichgesinnten. Dann gibt es im nächsten Meeting mehrere Kolleg*innen, die alle sagen: „Du bist zu laut, nehme dich mal ein bisschen zurück.“ Oder dem*derjenigen mitteilen, dass er*sie keine Anweisungen geben, sondern bitte höflich fragen soll.
„Die dritte Möglichkeit ist es, über den*die Vorgesetzte*n zu gehen. Das ist natürlich immer ultima ratio. Man möchte ja nicht, dass der*die Kolleg*in vom Vorgesetzten Schelte bekommt“, sagt sie. Das Gespräch mit der Führungskraft sollte, wie das Gespräch mit dem*der Kolleg*in selbst, immer beschreibend, nie bewertend geführt werden. Ihr könntet zum Beispiel sagen: „Ich nehme in letzter Zeit wahr, dass Herr Müller häufig seine Aufgaben an Kolleg*innen delegiert, und ich wollte Sie bitten, ob Sie irgendetwas für mich/uns tun können.“
Eine Verfehlung der Führungskraft
Auf der anderen Seite sei es auch eine Verfehlung der Führungskraft, wenn sie nicht erkenne, dass jemand regelmäßig durch sein Verhalten den Kolleg*innen schlechte Laune macht. Wer eine Führungsposition innehat, müsse bemerken, wenn im Team etwas nicht rund läuft, so die Managerberaterin.
Es gebe natürlich auch Vorgesetzte, die Konkurrenzen im Team bewusst herbeiführen. „Eine Zeit lang ist das effektiv, weil sich alle unglaublich anstrengen“, sagt sie. „Aber auf Dauer geht das Team dadurch kaputt. Das nimmt der*die Chef*in dann meistens billigend in Kauf.“ Wenn es sich so verhalte, sei bei diesem Vorgesetzten möglicherweise nicht viel zu erreichen.
„Das sagt ja auch viel über seine Persönlichkeit und seine Haltung zum Thema Führung aus. Daran kann man meiner Meinung nach nicht essenziell arbeiten. Man kann den Wunsch nach Veränderung äußern oder man kann das Problem mit dem*der Kolleg*in selbst klären — alleine oder im Team.“
Viertens finden viele eine*n Kolleg*in, der*die sich als Chef*in aufspielt, oder sich in den Vordergrund drängt, sicherlich eher unsympathisch. Man solle aber auch darüber nachdenken, sich mit ihm anzufreunden, rät die Managementberaterin Carmen Schön: „Man könnte sich überlegen, was man ihm Gutes tun kann, vor dem Hintergrund, seine Anerkennung zu gewinnen. Dann löst sich das Problem vielleicht von selbst.“
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