Foto: flickr I danjo paluska I CC BY 2.0

Kind erst mit drei in die Kita? Ja, seid ihr denn wahnsinnig?

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Rechtfertigungsdruck.

Ein Jahr länger mit der Kita warten? Freaks!

Neulich las ich einen Text eines ehemaligen Kollegen, der darüber schrieb, dass er und seine Frau beschlossen haben, die gemeinsame Tochter erst mit zwei Jahren in eine Kita zu geben. Bis dahin bleibt die Frau zu Hause, der Kollege verdient das Geld. Die beiden, das
ist wichtig, leben in Berlin. Und diese Tatsache führt dazu, dass sie sich nun ständig dafür rechtfertigen müssen, warum das Kind nicht, wie sonst so üblich in Berlin, mit einem Jahr mit der Kita startet.

In manchen bayerischen oder baden-württembergischen Käffern wiederum würde
man gedanklich gesteinigt, wenn man das Kind mit zwei Jahren oder gar einem Jahr in
die Kita schicken würde, sofern man überhaupt eine aufstöbern würde – und in Berlin gilt man als konservativer Freak.

Und da sieht man mal wieder, wie konform wir alle sind; in der Regel macht man es so, wie es alle machen, und findet es komisch, wenn jemand aus welchen Gründen auch immer da nicht mitmachen will. Ich kann mich davon selbst nicht immer freimachen, fürchte ich.

Mal wieder Lust auf einen kinderfernen Kontext

Ich habe ganz selbstverständlich und ohne dass etwas anderes wirklich zur Debatte stand, beide Kinder (in Berlin) mit einem Jahr in die Kita geschickt; die Mischung der Gründe war wahrscheinlich ähnlich wie bei vielen anderen: Elterngeld zu Ende, auf zwei Einkommen angewiesen, und irgendwann hat man ja auch wieder Lust, das Gehirn mit Sachen zu befüllen, die keinen Beikost-Windel-Spielplatz-Rumgebrüll-Kontext haben.

Vor einiger Zeit traf ich, noch in Elternzeit, eine andere Mutter auf dem Kinderbauernhof, die, wie es das Ökoklischee will, gebatikt aussehende Kleider trug und mich darüber informierte, dass sie ihr Kind erst mit drei Jahren in eine Kita geben werde, sie halte das für besser für das Kind. Ich muss zugeben, ich fand die gebatikte Öko-Tussi deswegen irgendwie doof. Wahrscheinlich, weil ich mich unterbewusst angegriffen fühlte, weil sie sich ganz bewusst für etwas entschieden hatte, was ich niemals getan hätte, selbst wenn ich nicht auf das Geldverdienen angewiesen gewesen wäre: die 24/7-Bespaßung der eigenen
Kinder. Vielleicht schwang da ja der Gedanke bei mir mit: Womöglich ist sie ja die geduldigere, liebevollere, nettere Mutter, wenn sie das kann und ich nicht? Warum konnte ich mich nicht einfach lockermachen und es einfach unterlassen, eine Verbindung zwischen ihrer und meiner Entscheidung herzustellen?

Eigene Entscheidungen wollen wir nicht anzweifeln

Leute, die gegen den (lokalen) Strom schwimmen und bewusst eine andere Entscheidung
treffen als die Mehrheit, und die diese Mehrheitsentscheidungen anzweifeln, machen einen nervös; weil man die eigene Entscheidung nämlich am liebsten gar nicht anzweifeln würde. Ich würde nicht behaupten wollen, dass es für ein einjähriges oder noch jüngeres Kind tatsächlich besser ist, in einer Kita betreut zu werden anstatt von den eigenen
(zurechnungsfähigen) Eltern. Ehrlich gesagt hatte ich bei beiden Kindern erst das Gefühl, dass sie es in der Kita so richtig prima finden, als es in Richtung zweiter Geburtstag ging. Und mit etwas Abstand fallen mir heute in der Kita die nachgerückten, manchmal etwas verloren wirkenden einjährigen fast-noch-Babys auf, die ein bisschen wie bestellt und nicht abgeholt in dem ganzen Trubel herumstehen und sich wundern; und ich verdränge den Gedanken, dass die Sache mit der Kita für meine Kinder eine Zeit lang wahrscheinlich nicht so hundertprozentig toll war, was den Fun-Faktor betrifft.

Sehr viele Eltern haben einfach gar keine andere Wahl, sie sind auf zwei Einkommen angewiesen und damit darauf, dass das Kind mit spätestens einem Jahr in die Kita kommt; wenn ich mir die Zahlen für manche ländliche Gebiete in Westdeutschland anschaue, dann finde ich es immer wieder erstaunlich, wie viele Paare offensichtlich mit nur einem Gehalt auskommen, bis das Kind mit drei Jahren schließlich in den Kindergarten geschickt wird. Oder, auch das soll es geben: Eltern haben Bock darauf, nach ein paar Monaten wieder in ihren Job zurückzukehren, weil sie den ganz toll finden.

Ein bisschen mehr Laissez-faire wär doch schön

Ich muss einfach der Tatsache ins Auge sehen, dass ich selbst durchdrehen würde, hätte ich ein oder mehrere Kinder den ganzen Tag zu Hause herumspringen und dabei Anwesenheitspflicht – die zwei, drei Stunden zwischen von-der-Kita-Abholen und ins-Bett-gehen geben mir ja schon manchmal den Rest! In Belgien, Frankreich oder den USA
wiederum bleiben Eltern fassungslos zurück, wenn sie hören, dass es allen
Ernstes Leute gibt, die drei Jahre mit einem Kind zu Hause bleiben, während sie selbst spätestens nach drei Monaten wieder voll im Job sind. Alles eine Frage der Perspektive.

Neben dem Thema Kinderbetreuung gibt es natürlich noch diverse weitere Parade-Themen, bei denen es vielen faszinierend schwerfällt, einfach mal ein bisschen Laissez-faire-Haltung zu zeigen: Geburt zum Beispiel. Auch hier shame on me: Ich konnte es nicht lassen, einer Freundin, die sich für einen Wunschkaiserschnitt entschieden hat, reinzudrücken, dass ich das doof finde; warum konnte ich nicht einfach meine Klappe halten? Ich fürchte, ich konnte mich nicht freimachen vom Gedanken: „Soso, ein Kind wollen, und sich die Drecksarbeit aber ersparen wollen“ – schrecklich!

Kennt ihr das auch? Dass ihr euch bei Themen rund um Elternschaft nicht so lockermachen könnt, wie ihr euch das eigentlich wünschen würdet? Schreibt doch mal, es fühlt sich ja immer gut an, mit einem Problem nicht allein zu sein…

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