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Warum „Ich geh mal Kinderschuhe kaufen“ manchmal schöner klingt als „Ich liebe dich!“

Patricia Cammarata erklärt, wie Paare ihre Aufgaben wirklich gleichberechtigt aufteilen können – und dabei wertschätzend miteinander umgehen. Unbedingt ausprobieren!

Im Mai 2017 habe ich das erste Mal den Begriff „Mental Load“ gehört. Begegnet ist er mir im Comic „You should’ve asked“. Im Grunde sagt der Begriff nichts anderes als dass es neben den sichtbaren Aufgaben im Alltagsleben sehr, sehr viele unsichtbare Aufgaben gibt, die nie explizit genannt werden, dennoch alle so nebenher identifiziert, bedacht, geplant und dann erledigt werden. Diese Aufgaben bringen nochmal ein nicht unbeträchtliches Eigengewicht in die Gesamtsumme aller Aufgaben, die man offensichtlich zu erledigen hat, damit das Leben (u. a. auch mit Kindern) fluppt. Mir hat der Begriff geholfen zu verstehen, warum ich mich in der Vergangenheit oft dermaßen fertig fühlte.

Als ich nämlich nach der Geburt von Kind 3 wieder angefangen habe zu arbeiten, war ich in einem ungesunden Ausmaß dauererschöpft. Das ging so weit, dass ich mich fast täglich schon morgens auf dem Weg ins Büro ausruhen wollte und zwar direkt auf dem Asphalt vor dem großen Kino am Alexanderplatz. Ich kam aus der U-Bahn raus und war total im Arsch. Um 8.30 Uhr morgens. Hinter mir lag der Morgen mit den Kindern, vor mir der Job, den ich wirklich sehr gerne mochte. Dennoch spürte ich einen beinahe unwiderstehlichen Drang mich auf die Straße zu legen, um den kühlen Steinboden spüren zu können und einfach kurz – vielleicht fünf bis zehn Minuten – ausruhen zu können.

Glücklicherweise war ich nicht so kaputt, dass mir nicht mehr auffiel, dass man sich für gewöhnlich als Erwachsene nicht auf die Straße legt.

Unnötigen Ballast streichen

Ich habe also auf meine Aufgaben im Alltag geschaut und versucht, alles wegzulassen, was nicht wirklich nötig war. Keine Verabredungen mit Freund*innen, keine Spielplatzdates, keine selbst gebackenen Kuchen, keine Bastelnachmittage mehr. Am Abend bin ich mit meinen Kindern um 20 Uhr eingeschlafen und nach und nach pendelte sich mein Energielevel wieder ein auf „ich funktioniere wieder“.

Im oben verlinkten Comic stellt sich die Situation ähnlich dar und der Partner sagt: „Du hättest doch was sagen können, dann hätte ich dir doch geholfen!“ Grundthese ist, dass die Frau die Managerin der Familie und verantwortlich für alles ist. Verantwortung wird nicht geteilt, Aufgaben können bestenfalls an den Partner delegiert werden. Delegierte Aufgaben müssen bis zur tatsächlichen Umsetzung nachgehalten werden.

Meine Lektion war: Energie ist endlich (hätte ich auch schon aus dem Physikunterricht wissen können). Energie ist eine Torte. Ich kann acht oder sechzehn Stücke rausschneiden, größer macht das die Torte nicht und am Ende ist die Torte weg. Für einen Job und ein Kind hat meine Energie leicht gereicht, für zwei auch noch, beim dritten war dann Schluss.

Natürlich kann man Aufgaben insgesamt reduzieren, priorisieren, komplett streichen und spart so Energie. Für mich war das aber keine Dauerlösung. Denn so reduzierte sich das Aufgabenspektrum, die Hauptverantwortung blieb aber bei mir.

Was also tun?

Macht doch mal für euch eine Mental-Load-Map für die nächsten Tage. Meine sieht exemplarisch so aus:

Die Liste ist beispielhaft und gar nicht so kleinteilig, wie man vielleicht glauben mag. Routinen wie „Kinder ins Bett bringen“ stehen da gar nicht drin.

In der nächsten Übersicht habe ich etwas ketzerisch markiert, was in der Regel ein Partner übernimmt, der vorher auf Nachfrage: „Teilt ihr euch eure Aufgaben gleichberechtigt?“ mit „Ja“ antwortet:

Leider gibt es tatsächlich ein großes Ungleichgewicht zwischen gefühlter Gleichverteilung und tatsächlicher Gleichverteilung von Aufgaben. Die Soziologin Cornelia Koppetsch, Professorin für Geschlechterverhältnisse an der TU Darmstadt, verweist in diesem Zusammenhang auf ihre Studien: „Wir führen Interviews mit den Paaren. Wenn man sie zum Thema Hausarbeit befragt, kann man hören: Bei uns läuft das partnerschaftlich, wir teilen uns die Arbeit auf. Aber wir wollen das genauer wissen und fragen nach: Wer putzt denn bei Ihnen die Fenster? Wer näht die Knöpfe an? Wenn man insistiert, kommen andere Dinge ans Licht. Etwa dass immer dann, wenn der Mann für längere Zeit die Hausarbeit übernimmt, im Erziehungsurlaub beispielsweise, eine Putzfrau engagiert wird, die es nicht gegeben hat, als die Frau für die Hausarbeit zuständig war. Das sind interessante Details, die den inneren Widerspruch deutlich machen.“ (Aus dem Interview Putzen oder lieben.)

Ein kleiner Exkurs: Ich habe über zwölf Jahre als IT-Projektleiterin gearbeitet und in diesem Zusammenhang musste ich mit einem Tool mitschneiden, was ich in meiner Arbeitszeit arbeite und zwar minutengenau! Das war für die Monatsabrechnung elementar. Kund*innen mögen nämlich gar nicht so gerne größere Summen für „Hm ja, da hab ich so Zeug gemacht fürs Projekt“ bezahlen. Das und der Umstand, dass wir wöchentlich im Team besprochen haben, was der Kunde will, wie die Auslastung durch andere Projekte ist und wer, wann, was macht – brachte mich auf die Idee, dass man das doch auch als Paar machen könnte.

Deswegen:

Schritt 1: Bestandsaufnahme

Setzt euch in einem Kick-off zusammen und schreibt kleinstteilig auf, was alles gemacht wird. Dabei geht es erstmal ums Grundsätzliche – nicht um eine konkrete Planung. Einige meiner Leser*innen kennen die Liste schon:

  • Wer putzt das Klo?
  • Wer putzt die Fenster?
  • Wer wäscht die Wäsche?
  • Wer hängt sie auf?
  • Wer faltet sie?
  • Wer räumt sie in den Schrank?
  • Wer bügelt?
  • Wer steht am Wochenende mit den Kindern auf?
  • Wer überzieht die Betten?
  • Wer macht die Einkaufsliste?
  • Wer plant was gegessen wird?
  • Wer gießt die Blumen?
  • Wer näht kaputte Kleidungsstücke?

2016 habe ich eine solche Liste erstellt und es empörten sich vor allem Männer, dass ich elementare Aufgaben vergessen hatte. So zum Beispiel …

  • Wer bringt das Auto zum TÜV?
  • Wer programmiert den neuen Fernseher?
  • Wer repariert das Fahrrad?
  • Wer tauscht die Batterien im Feuermelder?
  • Wer macht die Steuererklärung?
  • Wer recherchiert, ob der Mobilfunkvertrag noch zeitgemäß ist?

Stimmt. Ich hatte kaum Aufgaben dieser Art in der Liste. Beim näheren Nachdenken fiel mir dann aber ein Detail auf: Wie oft fährt man eigentlich zum TÜV? Äh und wie oft wechselt man Windeln im Vergleich? Also: Vergesst diese Punkte in eurer Bestandsaufnahme nicht. Dafür sitzt man ja zusammen. Schreibt alles auf! (Ich muss leider etwas zwanghaft erwähnen: Bis auf den TÜV sind das Dinge, die ich auch mache. Ich hatte sie eben wegen der Seltenheit vergessen.)

Schreibt dann dahinter, wie lange die einzelne Aufgabe dauert und wie oft man sie in der Woche macht (ihr könnt natürlich auch aufs Jahr rechnen oder eben Dinge, die nur alle zwei Jahre auftreten entsprechend runterrechnen. Wichtig ist es, eine Relation von Aufwänden zu schaffen.)

Jetzt markiert, wer was macht.

Gebt euch einen imaginären Stundenlohn und schreibt hinter Aufgaben und Aufwände eine Summe in Euro. Diese Summe rechnet ihr dann pro Person zusammen.

Und? Steht es 50/50?

Ja? Glückwunsch!

Wenn nicht: Macht euch nichts draus, es gibt ausreichend Studien, die belegen – das ist normal.

Was bringt das jetzt?

Eine solche Liste macht u.a. Mental Load (und damit tatsächliche Belastung) sichtbar und hilft, Wertschätzung herzustellen. Vor allem bei dem immer gleichen Argument: „Mein Mann verdient aber mehr und deswegen macht der sowas nicht. Wäre ja unwirtschaftlich.“

Die Liste inklusive Aufwände hilft einfach, sich klar zu werden, was ist eigentlich alles zu tun und wer übernimmt diese Aufgaben. Vielleicht versteht der ein oder andere Partner dann besser, warum die Partnerin am Ende des Tages um 20 Uhr erschöpft bei den Kindern einschläft und kaum noch Zeit für Beziehungspflege hat.

Schritt 2: Wöchentliches Meeting

Sucht euch irgendeinen passenden Tag in der Woche und blockt euch mindestens 1,5 Stunden. Jetzt schreibt ihr gemeinsam auf, was in der nächsten Woche ansteht. Dann schreibt ihr daneben, wer was macht. Diesmal geht es also um eine konkrete Planung.

Was bringt das jetzt?

Das dient einfach tatsächlich dazu, die Aufgaben der kommenden Woche zu benennen und zu erledigen. Ihr schafft außerdem eine Routine, die einen dauerhaften Lerneffekt hat: Dadurch, dass alles benannt und besprochen wird, kann man für die nächsten Male schon Dinge vorhersehen, die bislang nebenher erledigt wurden. (Ja, auch die der Männer!)

Schritt 3: Retrospektive

Nehmt euch einmal im Monat Zeit, um den Gesamtprozess zu beleuchten. Was hat gut geklappt? Was hat nicht so gut geklappt? Warum nicht? Was kann man nächstes Mal besser machen? Muss etwas umverteilt werden? Sind Aufgaben dazugekommen, die man der Einfachheit halber übernommen hat, die man aber vielleicht nicht dauerhaft und unabgesprochen weiter machen möchte? Gibt es ätzende Aufgaben, die man ab und an tauscht? Hat man sich bei den Aufwänden verschätzt? Was hat viel länger gedauert als angenommen?

Und vor allem sprecht über Erwartungen. Ein Punkt, den Caspar bei „Mit Kindern Leben“ in der Folge „Arbeitsteilung in der Familie“ eingebracht hat. Oft gibt es Dinge, von denen man glaubt, dass der*die Partner*in sie erwartet – dabei stimmt das gar nicht. Diese Punkte identifizieren und für immer von allen Listen streichen!

Was bringt das jetzt?

Ihr optimiert eure Liste, die Aufwände werden realistischer, Unbeliebtes schleppt sich nicht für immer durch den Alltag und sorgt für Frust. Und allem voran: Ihr sprecht miteinander. Das schafft Wertschätzung und Verständnis. Selbst wenn man nie in die Nähe von 50/50 kommt – am Ende entsteht eine andere Dankbarkeit. Auf beiden Seiten.

Außerdem sprecht ihr über Schwierigkeiten oder Spannungsthemen, bevor ihr total frustriert und sauer seid, sodass ihr eigentlich nicht mehr vernünftig und konstruktiv darüber sprechen könnt.

Manchen mag das zu aufwändig erscheinen. Es ist auch aufwändig und nicht nur das: Es ist sogar erbsenzählerisch. Aber man muss (zumindest am Anfang) alle Erbsen zählen, um dem Mental Load auf die Schliche zu kommen.

Ich kann allerdings sagen: Der Aufwand lohnt. Ich möchte mich schon lange nicht mehr vor das Cubix am Alexanderplatz legen. Ich schlafe fast nicht mehr um 20 Uhr ein und langfristig hat dieses Vorgehen den Effekt, dass der Partner eben diesen Mental Load teilt und plötzlich Aufgaben sieht und kennt, die früher bestenfalls delegiert und dann abgearbeitet wurden. Der Partner sagt im Frühling dann sowas wie: „Passen die Sandalen eigentlich noch? Ich schau mal nach. Wenn nicht, dann gehe ich am Wochenende mit den Kindern Schuhe kaufen, ok?“ Für mich klingen solche Sätze manchmal schöner als „Ich liebe dich!“

Diesen Beitrag hat Patricia zuerst auf ihrem Blog veröffentlicht. Wir freuen uns sehr, dass wir ihn auch bei uns bringen können. Patricia hat auf ihren Text viele Rückmeldungen erhalten und geht in diesem Nachtrag auf einige Fragen ein.

Links im Text, die auf EDITION F-Artikel verweisen, wurden von uns nachträglich eingefügt.

Credit für die Fotos: Patricia Cammarata

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