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Sieben Tage Lästerpause – Ein Selbstexperiment

Wir alle tun es: lästern. Doch warum reden wir gern schlecht über andere und was passiert, wenn wir es nicht mehr tun?

Wir alle lästern

„Schau dir mal die Frau dort drüben an … was trägt sie denn für ein seltsames Kleid?“ Diesen oder einen ähnlichen Satz hat wohl jede Frau schon einmal in den Mund genommen. Wir kennen es gar nicht anders – wir wachsen mit dem Gedanken auf uns mit anderen Frauen zu vergleichen und andere Frauen ständig zu be- und verurteilen.

Aber warum ist das so? Warum urteilen wir viel zu schnell über andere Frauen, stecken sie in eine Schublade und reden hinter ihrem Rücken schlecht über sie? Soziale Medien haben dabei dazu beigetragen, dass vergleichen einfacher geworden ist – und irgendwie unumgänglich. Wer nicht perfekt sein will, macht sich zum Gespött der anderen. Als junge Frau erlebe ich solche Vorfälle täglich. Es gibt kaum eine soziale Begegnung mehr (egal ob im echten Leben oder auf sozialen Plattformen), in der andere Leute nicht schlechtgemacht werden. Beim Surfen stieß ich auf den Artikel „Sich mit anderen zu vergleichen erzeugt Scherz und Leid“ des Psychologen Robert Betz. Der Artikel hat mich vom ersten Satz gefesselt und ich mich dazu bewegt, mich einmal mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Ich wollte mir besser vor Augen führen, was ich da eigentlich tagtäglich von mir gebe – denn ich schließe mich selber nicht von den „Lästerschwestern“ aus – und was es mit uns als Gesellschaft macht. Für mich selbst habe ich dann den Fokus auf die negativen Aussagen und Gedanken von Frauen gegenüber anderen Frauen gelegt, weil mir aufgefallen ist, dass ich andere Frauen schneller und härter verurteile als Männer.

Als Kind auf Vergleich getrimmt

Der Psychologe Betz sagt, dass das Urteilen über und Vergleichen mit anderen schon in der frühen Kindheit beginne. Sätze der Eltern wie „Schau mal, wie gut Luisa das kann. Da musst du aber noch ein bisschen üben, Lea“ lösen in Kindern zweierlei aus, sagt Betz. Kinder würden sich sofort und zwangsläufig mit anderen Kindern vergleichen und Gefühle wie Scham und Minderwertigkeit werden in ihnen ausgelöst.

Bei Erwachsenen lassen diese Gedanken nicht nach, meistens verstärken sie sich noch. Laut Betz ist bei Frauen besonders ausgeprägt, untereinander ihre Körper zu verurteilen und sich damit selbst und gegenseitig das Leben zu erschweren. Gedanken wie „Ich sollte anders sein“ oder „Ich sollte das besser können“ verwurzeln sich in unserem Unterbewusstsein, da es uns peinlich ist, sie laut auszusprechen. Daraus entwickelt sich nach Betz eine psychische und physische Last, die wir mit uns tragen und die Leid und Schmerz verursache. Dieses Leid wandeln wir dann in Aggression und Wut um, die wir gegen andere richten. So entstehe ein Teufelskreis, den wir unterbewusst mit uns tragen.

Funktionen des Lästerns

Einer anderen Ansicht ist die Bloggerin Linda Benninghoff. Sie ist der Meinung, dass Lästern Frauen zusammenschweißen kann und ein Gefühl der Gemeinschaft vermittelt, so sieht es auch die Forschung. Ein Drittel aller Gespräche in Cafés oder Restaurants finden über Personen statt, die nicht am gleichen Tisch sitzen, fand der Psychologe Robin Dunbar von der University of Liverpool bereits 1997 heraus. Benninghoff zieht dabei eine klare Grenze zwischen dem Lästern als „harmlose“ Freizeitbeschäftigung und der Stutenbissigkeit im privaten Leben und dem Arbeitsumfeld. „Sobald anderen Frauen Steine in den Weg gelegt werden, hört es bei mir auf“. Sie spricht sich klar und deutlich gegen das Ellenbogenverhalten vieler Frauen aus.

Linda Benninghoff meint, dass Lästern sogar manchmal schützen könne, da Menschen sich negative Informationen gut merken können. So kann Lästern als eine Art „Warnsystem“ fungieren. Man sieht sofort, was in der sozialen Gruppe akzeptiert werde. Ähnliches schreibt auch Autorin Sonja Engelbert in dem Sammelwerk „Der Fall der Kulturmauer“. Sie sagt, dass Stereotype und Vorurteile eine Art Filter in unserem Denken darstellen, um andere Menschen so schnell wie möglich richtig wahrzunehmen. Dieses Filtern von Informationen sei notwendig, um das Gehirn nicht zu überfordern.

Eine Woche ohne Lästern

Nachdem ich mir lange Gedanken darüber gemacht habe, warum wir urteilen, vergleichen und generalisieren und mich selbst gefragt habe, was ich ändern könnte, um mich selbst besser zu fühlen und dafür nicht andere Leute schlecht machen zu müssen, entschied ich mich für ein Experiment: Eine Woche lang auf jegliche negative Kommentare über andere verzichten. Sieben Tage lang ohne Schubladendenken oder Vorurteile. Kein Lästern, kein Urteilen und keinerlei negative Äußerungen über Profilen in sozialen Medien. Ob ich auch die negativen Gedanken streichen könnte? Mein Ziel: Ich wollte mehr auf Menschen und ihre Persönlichkeit eingehen, anstatt auf ihre Äußerlichkeiten.

Was das Lästern betrifft, unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht sehr von anderen jungen Frauen in meinem Alter. Ich bin 23 und aktuell im ersten Mastersemester in BWL. Als Nutzerin von sozialen Medien, hauptsächlich Facebook und Instagram, poste selten etwas Eigenes, äußere aber meine Meinung durch Likes oder Teilen von Beiträgen. Mich beeinflussen soziale Medien sehr und oft finde ich mich wieder, wie ich vermeidliche Trends nachahme oder die Figur einer Frau mit abfälligen Gedanken begutachte. Natürlich ist dann die Tasse Tee mit der besten Freundin auch hin und wieder Anlass, um sich über „hässliche Klamotten“, „zu dicke Pos“ oder „grauenhafte Frisuren“ zu unterhalten.

Bevor ich die Woche ohne Lästern begonnen habe, wusste ich nicht, wie schwer oder leicht es mir fallen würde, nicht mehr zu lästern. Mein Ziel: Das Lästern und das vorschnelle Urteilen auf ein Minimum zurückzufahren, um zu sehen, wie sich meine Gedanken rund um das Thema entwickeln. Meinen Alltag wollte ich so normal wie möglich weiterführen, und einen Teil meiner Erfahrungen langfristig übernehmen zu können. Ob das klappt?

Freitag, Tag 1

Heute steht der Semesterabschluss an. Ich arbeite seit September letzten Jahres neben meinem Studium an einer Professur der Uni. Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß und aus Kollegen sind mittlerweile Freunde geworden. Ich freue mich auf den Abend. Endlich kommen mal wieder alle auf ein Bier zusammen. Ich stehe im Bad und mache mich fertig, als mir meine „Lästerpause“ einfällt. Das wird sicherlich schwer heute Abend. Man kennt so viele gemeinsame Leute, ob Studis oder Dozenten, und gerade mit dem ein oder anderen Bier lockert sich ja bekanntlich die Zunge bei manchen Leuten. Auf dem Weg zur Uni, merke ich dass ich Frauen schneller mustere und bewerte, als es mir lieb ist. Ich schiebe diese Gedanken beiseite und konzentriere mich auf mich selbst. Endlich angekommen beschließe ich, niemandem von meiner Lästerpause zu erzählen und konzentriere mich einfach auf mich selbst. Zum Glück sind wir eine relativ große Gruppe, so dass ich mich einfach einem anderen Gespräch zuwenden kann, wenn eine Gruppe anfängt zu lästern. Der Abend verläuft reibungslos, trotzdem muss ich ehrlich zugeben, dass ich schon gern das ein oder andere Mal lieber dort geblieben wäre, als angefangen wurde, wertend über eine andere Person zu reden. Zu Hause im Bett denke ich: Das wird eine harte Woche. Man kommt sich irgendwie abgekapselt vor. Logisch, bei einem nicht geringen Teil der sozialen Aktivitäten muss man sich eben abkapseln – oder die Gruppe in seine Unternehmung einweihen.

Samstag, Tag 2

Heute fahre ich zu meinen Eltern. Obwohl sie nur etwa 40 Kilometer von mir entfernt wohnen, sehe ich sie weniger oft, als ich gern würde und freue mich jedes Mal sehr, wenn ich nach Hause komme. Meine Eltern wissen von meinem Projekt und haben mir versprochen, sich an dem Wochenende mit abfälligen Äußerungen über andere zurückzuhalten. Beim Abendessen mit meinen Eltern und meinem Bruder, muss ich sie zweimal freundlich daran erinnern, aber es funktioniert besser als gedacht. Mir kommt es vor, als eröffnen sich völlig neue Gesprächsthemen, die ohne meine Lästerpause wahrscheinlich gar nicht angeschnitten worden wären. Ich fühle mich sehr wohl und genieße die tieferen,  persönlicheren Gespräche mit meiner Familie. Abends im Bett ziehe ich wieder ein Fazit und merke, dass es mir heute gar nicht gefehlt hat, zu lästern.

Sonntag, Tag 3

Ich wache ausgeruht bei meinen Eltern auf und schaue auf die Uhr. Es ist erst halb neun. Bis unser ausgeprägtes Familienfrühstück startet, ist es gern mal 11 Uhr. Ich entscheide mich, liegen zu bleiben und surfe ein bisschen im Netz. Da ich Facebook immer seltener benutze, ist mein erster Weg immer Instagram. Ich könnte mich stundenlang auf den Seiten von allen möglichen Stars und Sternchen aufhalten, ihren Lifestyle und ihre Rituale aufsaugen und mich anschließend abwertend darüber äußern … normalerweise! Heute geht das nicht. Ich finde mich auf der Instagram-Page von Kylie Jenner, der jüngeren Halbschwester von Kim Kardashian. Obwohl ich – Schande auf mein Haupt – fast alle Folgen der Reality-Show „Keeping up with the Kardashians“ gesehen habe, habe ich eine gespaltene Meinung zu der Familie. Obwohl sie tagtäglich in die Kamera sagen, wie wichtig es ist, man selbst zu sein, ist kein einziges Mitglied der Familie nicht auf irgendeine Weise operiert, um optimal in das heutige Schönheitsideal zu passen. Zurück zur Instagram-Seite von Kylie Jenner. Sie filmt  ihre operierten Kurven in einem hautengen Kleid. Ihr Gesicht ist so stark geschminkt, dass sie aussieht wie eine Puppe … und ohje! Ich habe einen Rückfall! Schnell schließe ich Instagram und verbanne die negativen Gedanken aus meinem Kopf. Jede Frau sollte das tun, was ihr lieb ist und womit sie sich gut fühlt!

Montag, Tag 4

Heute steht nicht viel auf dem Programm. Ich muss die Wohnung putzen und einkaufen. Im Supermarkt bin ich natürlich vielen Frauen ausgesetzt. Warum auc­­­h immer, ich urteile über Frauen schneller als über Männer. Wahrscheinlich, weil man sich einfach unter Frauen leichter gegenüberstellen kann. Vergleichende und urteilende Gedanken kann ich nicht leugnen, aber nach den letzten Tagen frage ich mich, ob diese Gedanken überhaupt weggehen können? Wahrscheinlich sind diese Art von Gedanken einfach zu tief in uns verwurzelt, als dass sie jemals ganz verschwinden könnten. Trotzdem, denke ich auf dem Nachhauseweg, bin ich wahrscheinlich auf dem richtigen Weg, wenn ich mir diesen Gedanken bewusst bin und aktiv damit umgehe, anstatt mich auf mein Unterbewusstsein zu verlassen. Ich rufe mir immer wieder ins Gedächtnis, dass jeder Mensch so sein kann, wie er möchte und dass es keinen Grund gibt, jemanden zu verurteilen.

Dienstag, Tag 5

Dienstage sind meine Lieblingstage, denn da habe ich Ballett-Training. Ich fahre mit der Bahn in den nächsten Ort und laufe von da aus zur Ballettschule. Die Fahrt im Zug geht erstaunlich gut ohne negative oder verurteilende Gedanken über die Bühne und im Ballett selber bin ich die ganze Zeit so konzentriert, dass ich gar keine Zeit habe, mir über was anderes Gedanken zu machen. Abends im Bett ziehe ich wieder ein Fazit und habe langsam das Gefühl, dass ich insgesamt positiver geworden bin. Ich habe bessere Laune und irgendwie das Gefühl, dass man seinem Gegenüber viel mehr Raum lässt und wirklich auf die Persönlichkeit eingeht, anstatt das Unterbewusstsein über Äußerlichkeiten und Verallgemeinerungen ein Urteil fällen zu lassen.

Mittwoch, Tag 6

Ein Tag ohne viele Ereignisse, ich arbeite von zu Hause aus für die Professur, räume auf und verzichte abends absichtlich auf den „Bachelor“. Das ist ohne Lästern einfach unmöglich (Notiz an mich selbst: Ich sollte dieser Fernseh-Serie langfristig abschwören).

Donnerstag, Tag 7

Geschafft! Eine Woche Lästerpause liegt hinter mir und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht ein kleines bisschen stolz auf mich bin. Ich lasse die ganze Woche nochmal Revue passieren und höre in mich hinein. Es war insgesamt schwerer als gedacht – ständig schleichen sich diese Gedanken in den Kopf und man muss sich aktiv davon abbringen, sie zu Ende zu denken. Ist diese Hürde aber mal genommen, merke ich, dass das Schubladendenken tatsächlich nachlässt und man sich mehr mit den Menschen an sich und ihrem Wesen beschäftigt, anstatt vor allem mit ihrem Aussehen.

Irgendwann wurden die negativen Gedanken bei mit weniger und ich habe mich irgendwie leichter und aufgeräumter gefühlt. Ingesamt kann ich der Aussage von Psychologen zustimmen, dass es helfen kann, in sich zu gehen und die negativen, verurteilenden Gedanken aktiv zu kontrollieren und zu minimieren, um eine Art inneren Frieden anzustreben. Andererseits ist auch ein Stück Wahrheit daran, wenn man sagt, dass Lästern mit der besten Freundin einfach manchmal auch eine Erleichterung sein kann. Es staut sich eben im Alltag viel Negatives an, was man sich durch Lästern von der Seele reden kann.

Trotzdem ist mein Fazit, dass es ein gutes Selbstexperiment ist, einfach mal eine Woche auf Lästern, auf Verallgemeinerungen und auf wertende Aussagen zu verzichten und für sich selbst zu erkennen, was diese Erfahrung mit einem macht. Denn das eigene Verhalten bewusst wahrzunehmen, ist der erste Schritt, es zu verändern.

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