Wenn es ums Heiraten geht, bekommen die einen rote Wangen und fangen an nach Luft zu schnappen, während die anderen beim Gedanken an Junggesellenabschiede, Tüll und Glitzer eher dazu neigen, schnell die Toilette aufsuchen zu müssen. Unsere Autorin fragt sich, wo sie selbst steht als Braut und selbstbestimmte Frau.
Hochzeiten? Ich habe schon alles gesehen!
Ich war einfach Gast. Ich war Brautjungfer. Ich bin Trauzeugin. Ich werde selbst Braut sein. Ich finde, das klingt nach einer Hochzeitskarriere, die sich sehen lassen kann. Ich bin praktisch ein Hochzeitguru. Ich habe das Gefühl, schon alle Auswüchse an Hochzeitstraditionen aus der Hölle gesehen zu haben. Mich kann nichts mehr erschrecken. Aber so ein leichter Würgereiz ist geblieben, wenn ich Frauen begegne, die beim Anblick von Tüllmonstern und Glitzerkrönchen ihre komplette Identifikation als selbstbestimmte Frau über Bord werfen, aus der hintersten Ecke ihres Gehirns einen Mädchentraum ausgraben und sich zurückbeamen in eine Zeit, in der sie noch mit Puppen gespielt haben.
Ich habe nichts gegen Rosa und auch nicht gegen Glitzer. Ich finde, es gibt Frauen, die das hervorragend tragen können – zugegeben die sind selten. Und in meinem Umfeld kenne ich fast keine Frau, die sich mit Chichi hier und Glitzer da im Alltag befasst – weil es nicht zu ihrem Lebensstil, zu ihnen selbst passt. Es wäre einfach nicht stringent, so zu heiraten. Ich habe das Gefühl, dass wir Frauen uns dabei ganz weit von uns selbst entfernen und uns blauäugig von einer Industrie verführen lassen, die uns mit einer wahnsinnig cleveren Marketingstrategie glauben macht, dass wir das alles bräuchten, um eine perfekte Frau zu sein. Sportlich, aber auch super elegant im Sissi-Kleid. Unabhängig, aber auch total handzahm. Frei, aber kein Wildfang.
Über das Frauenbild von Brautmoden-Boutiquen
Ich würde mich nicht als Feministin bezeichnen, aber vom Frauenbild das Hochzeitszeitschriften, Brautmoden-Boutiquen und Privatsender-Wedding-Shows zeichnen, bin ich meilenweit entfernt. Einem Frauenbild, dass von anno dazumal erzählt und ein einseitiges Bild von Prinzessinnen für einen Tag zeichnet. Und wenn das dann der perfekte Tag ist, was ist dann mit unserem echten Leben? Ich finde es erschreckend, wie viele ernsthafte Zuschauer dieser Trash hat, wie Brautberatungen ablaufen und wie immer alles nur um Kohle geht. Ich habe einfach etwas dagegen, wenn jemand versucht sich irgendeiner Gruppe, ganz gleich welcher, zu bemächtigen. Warum geben sich so viele Frauen, die sich in so vielen anderen Lebensbereichen gegen alte Rollenbilder und Unfreiheiten wehren, diesem überholten Tüll-Wahn hin?
Ich bin eine Frau, der es wichtig ist, dass sie und ihre Geschlechtsgenossinnen nicht dazu verdonnert sind, nach dem ersten Kind alleine die Hausfrau zu geben. Eine Frau, die sich für ein faires Gehalt einsetzt, unabhängig davon, was ein Mann verdient. Eine Frau, der es nicht schmeichelt, wenn der Chef mal wieder das Aussehen scheinbar positiv kommentiert. Ich wehre mich dagegen, dass Frauen hauptsächlich wegen ihrer emotionalen Kompetenzen in Führungsetagen gehören, genauso wie gegen die Frauenquote. Ich kann auch durchaus unterscheiden, ob es um ein rosa Kleidchen für eine 5-Jährige oder ein Sissi-Kleid für eine Dreißigjährige geht. Ich habe keine Anti-Rosa-Haltung. Ich bin einfach eine selbstbestimmte Frau. Und ich finde mich in diesen Hochzeitsszenarien nicht wieder. Das alles passt nicht zu mir – und wahrscheinlich zum Gros aller Bräute nicht. Mich ärgert es, dass einem von allen Seiten versucht wird zu sagen, dass eine Hochzeit nur dann perfekt ist, wenn alle (teuren) Regeln dieses Business beachtet werden. Perfekt für wen, frage ich mich.
Farbmotto, Cowboyhüte und Hochsteckfrisuren
Für die erste Hochzeit, auf die ich als erwachsene Frau eingeladen war, hat das Brautpaar eigenhändig eine Homepage angefertigt. Darauf konnte der interessierte Gast genau lesen, wann er wo zu sein hatte oder wann er wo das Brautpaar finden konnte. Außerdem war darauf erklärt, wie ein ordentliches Outfit aussieht, damit der plumpe Gast sich wenigstens einmal schick rausputzt. Außerdem wurde noch näher darauf eingegangen, welches Schuhwerk akzeptabel sei. Abgelatschter Sneaker versus sportlich-elegant. Das Ganze war natürlich mit vielen Bildern verdeutlicht. Dass die Braut beim Hochzeitstanz alte Adidas Samba getragen hat: geschenkt. Elementar war vor allem das Farbmotto. Alle Gäste sollten sich bemühen, ein türkisfarbenes Teil zu tragen. Ob Krawatte, Schlips, Gürtel, Kleid, Bluse, was auch immer – das war dem Gast dann selbst überlassen – wow. Ich habe meine Rebellion gegen diese unverschämte Bevormundung des Gastes im Kleinen abgehalten. Ich habe kein Türkis getragen.
Als Brautjungfer war ich verdammt bei der Trauung und beim Fotoshooting eine Miniausgabe des Brautstraußes in der Hand zu tragen. Gut, das kam mir irgendwie auch recht, weiß ich sowieso nie, wohin mit meinen Händen, seit ich nicht mehr so viel rauche. Als hübsches Blumenaccessoire dackelte ich auch brav zum Frisör, um mir eine hübsche ansehnliche Hochsteckfrisur machen zu lassen, während sich dir Braut, drei Strähnen hinters Ohr stecken ließ, damit das Diadem gut sitzt. Meine Kreditkarte dann durchs Kartenlesegerät zu ziehen, tat noch mehr weh, als die Nadeln, die meinen Kopf tonnenschwer gemacht hatten, kurz vor Startschuss wieder rauszuziehen.
Dieser Tage als Trauzeugin muss ich mich damit befassen, ob rosa Cowboyhüte und gemeinschaftliche Outfits nicht total super wären für den Junggesellinnenabschied. Mal davon abgesehen, dass meine Freundin seit sechs Jahren in einem Haushalt mit ihrem Zukünftigen lebt und vor zehn Jahren aus dem elterlich zuhause ausgezogen ist, bekomme ich schon große Zweifel an meinem Geschlecht, wenn Frauen 30plus glauben, sich mit derlei entwürdigenden Accessoires ausstatten zu müssen, um alle daran teilhaben zu lassen, dass das gerade etwas ganz Besonderes ist – und natürlich voll girly. Auch dagegen habe ich mich gewehrt. Ich habe mir erlaubt, den Tag wenigstens so zu gestalten, wie ich glaube, er meiner Freundin am besten gefallen würde. Ihre Freude gab mit recht.
Ich habe keine Lust auf Hochzeiten, die nach Punkteskala bewertet werden
Trotzdem: Ich frage mich, was da zuhause im Alltag los ist, wenn so die die Flucht aussieht. Ich frage mich, wer von uns in Zukunft dafür sorgt, dass Frauen nicht mehr in allen Lebensbereichen benachteiligt werden, also beim Thema Geld und Einfluss, wenn wir uns an solchen Wochenende irgendwo hin zurückbeamen, wo Frauen maximal zum Kinderkriegen und Angucken gut waren. Sind wir nicht selbst schuld, dass es so lange dauert, bis wir endlich ernst genommen werden, wenn wir uns selbst mit rosa Kuschelhandschellen und dem Verkauf von obszönen, aber ach so lustigen Gimmicks im Pulk von zehn gackernden Hühnern auf öffentlicher Straße demütigen?
Und als Braut? Traue ich mich schon fast nicht zu sagen, dass ich kein bodenlanges weißes Kleid zum Standesamt schleppe. Ist es mir egal, ob ich meinem Namen behalte oder nicht. Möchte ich weder vor der Trauung nochmal richtig einen Trinken gehen, noch nach der Hochzeitsnacht mein blutiges Bettlaken aus dem Fenster hängen.
Aber was darf man eigentlich wollen als moderne, selbstbestimmte Frau? Wo liegt das perfekte Maß zwischen Tüll und Selbstbestimmtheit? Wahrscheinlich liegt es da, wo das Paar einfach es selbst ist. Aber das zuzulassen, ist eben nicht so einfach, wenn man sich vorstellt, wie alle Ex-Bräute und alle Bride-to-be’s Location, Entertainment, Outfit und Essen auf einer Punkteskala von null bis zehn durchscannen und ein inoffizielles Ranking für alle Ewigkeit erstellen. Sind sie dann stolz, wenn ihre Hochzeit mehr Regeln befolgt wurde als bei der Freundin? Löst das ein Hochgefühl aus, mehr aktuelle Trends verfolgt zu haben?
Als Trauzeugin kann man es nur falsch machen, wenn man sich dem Tüll widersetzt
Während ich dem Glauben aufgesessen bin, es gäbe außer mir noch andere Frauen, die davon überzeugt sind, einmal so heiraten zu können, wie ihnen eben gefällt, weil wir doch so eine moderne Gesellschaft sind, muss ich mir beim Junggesellinnenabschied meiner Brautfreundin einiges der anderen Teilnehmerinnen anhören, was ich als Trauzeugin denn auf jeden Fall zu beachten habe, wie etwas zu tun ist, weil es eben üblich ist – und sie verschonen mich auch nicht mit kritischen Anmerkungen zum Abend selbst, denn ich habe so einiges versäumt, was man eben auch währenddessen zu tun hat – und vor allem wie: Angefangen bei der Kleiderwahl bis hin zum Geldausgeben. Immer lächeln und winken war mein Motto des Abends – und meiner Freundin dabei zusehen, wie sehr es ihr gefällt.
Ich glaube, es gibt keine schlimmere Spezies Frau in diesem Zusammenhang, als die Ex-Braut und jene, die eigentlich schon längst verheiratet sein wollte, aber ihr Typ ihr einfach keinen Antrag macht. Diesen Frauen kann man nichts recht machen, denn es war ja bei ihnen selbst bereits perfekt oder sie haben zumindest den perfekten Tag im Kopf, weil sie ihn sich schon seit Kindertagen ausmalen. Tauben, Luftballons, Seifenblasen, Pferde, Schmetterling, Hochzeitswalzer und dergleichen mehr. Die letzte Zuversicht, dass es doch jedem selbst überlassen ist, wie er feiert versucht mir ein Interview mit der Schriftführerin des Bundes deutscher Hochzeitsplaner Melanie Schmitz auf der Plattform weddix.com zu nehmen.
Auch Frau Schmitz weiß einfach, was üblich ist, was man eben so macht bei einer Hochzeit, was man so kauft und vor allem, wie viel Geld man so ausgibt. Sie zählt auch auf, was man eben so braucht, bei einer Hochzeit: Von DJ bis Kinderbetreuung lässt sie nichts aus. Als der interessierte Fragensteller ganz richtig folgert, dass mindestens 14.000 Euro für eine Hochzeit – auf diesen Betrag kommt Frau Schmitz dann am Ende der Rechnung – ja dem Kauf eines Kleinwagens entsprechen würde, kontert Frau Schmitz nur, dass man ja für einen Einmal-im-Leben-Kauf nichts von der Stange will. Ich bin wirklich bestens unterhalten. Von Scheidungsrate und Zweithochzeiten hat Frau Schmitz sicher noch nie was gehört.
Selbstbestimmt oder dem Marketing aufgesessen?
Warum brauchen wir das so sehr? Diese aufgeplusterten Hochzeiten? Diese perfekten Events in Weiß – oder eben Türkis, für die man drei Fotografen und eine Drohne für Luftaufnahmen braucht. Wo es Essen und Trinken bis zum Erbrechen gibt, wo Gäste noch eine Goodie-Bag bekommen. Ich Naivling dachte, da geht es um Liebe. Und nicht um eine Punkteskala. Warum nehmen sich Frauen die Würde und Paare das letzte Hemd? Warum muss dieser Tag, der schönste im Leben werden? Was ist dann mit all den vorangegangenen und kommenden Tagen? Alles nur noch Müll? Mal ganz davon abgesehen, dass ich bezweifle, bei Ausgaben von mindestens 14.000 Euro total entspannt sein zu können.
Brauchen wir das, weil alles in unserem Leben schon so hyper ist, uns nichts mehr zum Staunen bringen kann und nichts mehr Besonders ist? Machen wir das, weil es eigentlich ums Event und Punkte von Frank Matthée geht, weil wir sowieso schon wissen, wie die nächsten Jahre aussehen? Nämlich genauso wie die zehn davor? Brauchen wir das, weil wir Angst haben, dieser Tag könnte für unsere Gäste genauso unwichtig sein, wie all die anderen Tage? Brauchen wir das, um wenigstens im nächsten Jahr ausreichend Perfect-Life-Pics für unseren Instagram-Account zu haben?
Oder brauchen wir das, weil wir eigentlich am liebsten rosa Püppchen wären, die sich nicht um Gendergap, Karriereaussichten und faire Behandlung kümmern müssen. Machen wir das, weil uns so ein kleiner Klaps auf den Po eigentlich heimlich gefällt und der Thermomix doch wirklich was für die moderne Frau ist? Und weil es eben bequemer ist, als sich immer wieder gegen Klischees uns Abgedroschenheit zu wehren? Wie gesagt, ich habe überhaupt nichts gegen Glitzer. Ich habe etwas dagegen, einfach mitzumachen, ohne genauer hinzusehen. Und ich weiß, verkleiden macht richtig Spaß – auch mit einer Tonne Glitzer im Gesicht. Aber eine Hochzeit ist doch kein Karneval, oder?
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