Vieles, was wir von klein auf in unseren Sprachgebrauch aufgenommen haben, fällt uns womöglich erst viel später als problematisch auf. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, sollte aber niemals dazu führen, lieber zu schweigen.
Die Angst vorm Sprechen
Mir fallen unzählige Situationen ein, in denen es mir schwerfällt zu sprechen. Nicht nur, wenn die unangenehme Stille das erste Date einnimmt oder wenn ich auf neue Gruppen treffe, in denen ich erst einmal sondieren muss: Wie kann ich hier reden und mit wem möchte ich das überhaupt? Nein, schon seit den Vorträgen in Schule und Uni, als die zittrigen Hände bei einem Folienwechsel auf einmal dem gesamten Raum über den Overheadprojektor präsentiert wurden, kenne ich eine gewisse Unsicherheit beim Sprechen.
Dabei geht es nicht nur darum, Angst davor zu haben ein paar Wörter zu verschlucken oder zu stottern. Es ist die unfassbare Unsicherheit, die Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Etwas Falsches in der Hinsicht, dass es zu banal sein könnte oder ich mein Unwissen präsentiere oder noch schlimmer, dass ich mich nicht richtig ausdrücke.
Woher kommt das?
In unterschiedlichen Kontexten rede ich anders: Mit meinen Freund*innen anders als mit meiner Familie und mit meinen Kolleg*innen anders als mit meinem Hund. Da bestimmen Gefühle und Beziehungen, Erfahrungen und Kenntnisse, die Art und Weise, wie ich spreche, und die Wortwahl.
Aber neben zwischenmenschlichen Facetten, die die Nuancen meiner Sprache verändern, kommt noch ein gänzlich anderes Bedürfnis dazu: diskriminierungsfrei, gewaltfrei und politisch korrekt zu reden.
Ist das denn so schwer?
In meinem persönlichen Umfeld – das gewiss nicht repräsentativ für jede*n ist, aber in meinem Fall eben ein sehr feministisches ist – lernen wir eine ganz neue Sprache. Eine Sprache, die achtsam mit politischen Diskursen umgeht und versucht, strukturelle Unterdrückung nicht zu reproduzieren. Eine Sprache, die versucht, alle Geschlechter im geschriebenen wie im gesprochenen Wort sichtbar zu machen. Eine Sprache, die damit umzugehen versucht, dass wir so viele rassistische und diskriminierende Begriffe jahrelang einfach in unseren alltäglichen Sprachgebrauch eingebunden haben.
Das ist kein Lernprozess von ein paar Stunden. Und es geht auch nicht darum, bloß das Gendern in die eigene Sprache zu übernehmen. Es geht darum zu verstehen, warum man das tun sollte. Warum sich bei Schüler nicht jede*r angesprochen fühlt und warum sich bei Schüler und Schülerin nicht jede*r angesprochen fühlt, sondern warum eine gegenderte Form wie zum Beispiel Schüler*in inklusiv für alle Geschlechter ist. Und das ist verdammt schwer. Nicht, weil es nicht logisch ist, sondern weil man selbst damit konfrontiert wird, wie diskriminiernd und auschließend die eigene Sprechweise immer gewesen ist und oft auch noch ist. Und weil das eben kein Lernprozess von ein paar Stunden ist, sondern harte Arbeit mit sich selbst und der eigenen priviligierten Sicht auf die Welt, ist auch klar, dass Fehler gemacht werden. Dass man nicht alles auf Anhieb versteht, dass man sich selbst ständig hinterfragen muss und dabei immer mehr Fragen hat, sich Unsicherheiten auftun.
Das soll kein Freibrief sein, um weiter jegliche Form der Diskriminierung reproduzieren zu dürfen, nein, aber wenn wir uns dafür entscheiden, lieber gar nichts zu sagen, lieber nicht nachzufragen, bewegen wir uns nicht weiter. Fehler dürfen gemacht werden. Fehler müssen eingestanden werden. Und Fehler sollten verziehen werden, solange die*der Betroffene dafür die Kapazitäten und die Kraft hat.
Ein Beispiel
„Ich weiß so verdammt viel. Und trotzdem hab ich Angst, dass ich etwas Falsches sage.“ Es ist früh am Abend und ich sitze mit einer Freundin auf dem Balkon. Wir reden über die Uni und wie stark wir uns seit dem ersten Semester verändert haben, wie mein kleiner tumblr-Feminismus erwachsen geworden ist und ich nicht mehr den Kopf schüttle, wenn ich aus einer Vorlesung komme, die sich mit Gender befasst. Denn so war das am Anfang.
In meinem ersten Semester an der Uni hörte ich zum ersten Mal die Namen Simone de Beauvoir und Judith Butler, zum ersten Mal hörte ich, Geschlechter seien konstruiert. Eine Kommilitonin, wie ich im ersten Semester, sprach darüber, dass sie nicht glaube, dass Unterschiede zwischen Mann und Frau komplett sozial konstruiert seien. In der ersten Reihe, in der Reihe der höheren Semester, wurde gelacht. Sie wurde ausgelacht. Ich sagte das ganze Seminar über kein Wort. Das ganze Semester lang kein Wort. Dabei hatte ich Fragen. Dabei sollte doch genau das der Raum sein, in dem ich lernen und verstehen kann. Und nicht aufgrund von unterschiedlichen Lernniveaus gehemmt werde, überhaupt irgendetwas zu sagen.
Und das hat sich leider auch mit der Zeit nicht verändert. Ich sitze mit meiner Freundin auf dem Balkon und wir lamentieren darüber, dass wir es so selten schaffen, den Mund aufzumachen aus Angst, dass man von Kommiliton*innen direkt rückwirkend die Klatsche bekommt, für einmal falsch gegendert, für einmal unsicher formuliert, für einmal unwissend nachgefragt.
Wahrscheinlich wäre es viel produktiver, das Problem einfach anzusprechen, aber man darf ja jammern.
Ich glaube, oft vergessen viele von uns, welche Arbeit wir selbst in uns, in unser Denken und unsere Sprechweise investiert haben, um ein Gefühl für sensible Wörter und sprachliche Auseinandersetzungen bekommen zu haben. Es macht mich auch wütend, wenn ein*e Freund*in außerhalb meiner geliebten Feminismus-Bubble nicht auf Anhieb verstehen kann oder will, warum ich möchte, dass er*sie Geflüchtete statt Flüchtlinge sagt. Und ich glaube, in solchen Momenten muss ich dem Gegenüber zugestehen, dass es eben Zeit braucht, bis man sich von antrainierten Mechanismen trennen kann, eben so wie ich diese Zeit gebraucht habe.
Aber wie kann man damit umgehen?
Ich will damit nicht sagen, dass es nicht unglaublich wichtig ist, von anderen darauf hingewiesen zu werden, wenn man gewaltvoll oder diskriminierend spricht. Aber es geht darum, dass wir einsehen müssen, dass wir alle Fehler machen und diskriminieren – und dass wir uns dafür nicht gegenseitig bestrafen sollten. Auf keinen Fall sollte sich aus dem bestehenden Wissen, das man hat, eine Arroganz gegenübe Leuten entwickeln, die aus welchen Gründen auch immer nicht auf demselben Level sind. Es ist natürlich auch ein unglaublicher Unterschied, ob diese Auseinandersetzung mit Menschen passiert, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie ich und sich mit Feminismus auseinandersetzen wollen, oder ob ich einen engstirningen Menschen vor mir habe, der ohnehin jegliche Art von Sprachänderungen ablehnt und sich über politische Korrektheit lustig macht. Das ist eine komplett andere Diskussion.
Es ist ein unglaubliches Privileg, dass ich mich in meinem Studium so viel mit Feminismus auseinandersetzen konnte. Klar fällt es mir da leichter, einen Zugang zu Gender– oder Anti–Rassismus–Debatten zu finden. Selbstverständlich habe auch ich noch verdammt viel zu lernen.
Wir sollten uns und allen anderen zugestehen, manchmal unsicher und unwissend zu sein. Denn wenn die Konsequenz aus Unsicherheit ist, nicht nachzufragen, nicht den eigenen Senf zu Debatten dazuzugeben, sondern zu schweigen, weil man fürchtet, nicht klug genug zu sein, nicht die richtigen Worte zu haben, dann kann keine Debatte entstehen. Dann grenzen wir aus, weil wir diesen Raum für Unsicherheiten nicht zulassen.
Wir sollten uns also nicht gegenseitig für Fehler bestrafen, sondern uns ermutigen, daraus zu lernen; und das ohne Hierachien aufzumachen zwischen denjenigen von uns, die mehr wissen, und denjenigen, die noch nicht so viel wissen. Wir verschwenden Energie , wenn wir Leute, die eigentlich aufgeschlossen sind und es gern richtig machen wollen, aber noch nicht genug wissen, fertigmachen, entmutigen und einschüchtern.
Wobei ich anmerken möchte, dass ich das auch bloß aus einer sehr priviligierten Position fordern beziehungsweise mir wünschen kann. Ich erwarte von niemandem Verständnis, der*die sich angegriffen oder beleidgt fühlt – egal, welche Intentionen die Person mit einer Aussage hatte.
Aber ich denke, dass alle, die so wie ich Kapazitäten haben, anders zu reagieren, mit einer aufgeschlossenen, nachsichtigen Fehlerkultur produktiver wären.
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