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Geburtsberichte: „Anweisungen bekam ich keine – irgendwann plumpste meine Tochter dann einfach raus“

Die Probleme in der Geburtshilfe sind schon lange ein großes Thema, eine schwierige Frage dabei ist: Wie prangert man die aktuellen Probleme an, ohne Frauen Angst vor der Geburt zu machen? Im zweiten Teil unserer Serie berichten erzählen weitere Frauen ihre Geschichte.

Jede Geburt ist einzigartig

In Teil 1 unserer Serie haben bereits vier Frauen die Geschichte ihrer Geburt erzählt. Nun folgen weitere Frauen, die ihre Erfahrung mit uns geteilt haben:

Eine Frühgeburt: Nadine, 37, ihr Sohn Julian kam im September 2018 fünf Wochen zu früh auf die Welt:

„Meine Schwangerschaft verlief total unkompliziert, mir ging es gut, bei den Untersuchungen war immer alles bestens. Etwa in der 30. Woche stellten wir fest, dass mein Sohn sich immer noch in Beckenendlage befand. Ich habe dann alles versucht, was auf relativ einfache Art möglich war, damit er sich noch dreht: Moxa-Therapie, indische Brücke, ihn mit den Tönen der Spieluhr zum Drehen anregen. Ich hätte sehr gerne eine möglichst natürliche Geburt erlebt und mich deshalb mit meinem Mann für eine hebammengeleitete Geburt in einer nahegelegenen Klinik entschieden. Dort wäre aber eine Geburt in Beckenendlage nicht möglich gewesen. Die Ärzt*innen erklärten mir, dass wir bei der Untersuchung in der 36. Woche einen Termin für einen geplanten Kaiserschnitt ausmachen würden, wenn sich das Baby bis dahin nicht mehr drehen würde. Ich habe mich unglaublich schwergetan mit der Entscheidung, ob ich nicht doch in einer anderen Klinik eine natürliche Geburt probieren sollte, denn die Vorstellung eines festgelegten Geburtstermins hat mir überhaupt nicht gefallen, und ich habe die Entscheidung vor mir hergeschoben.

So weit kam es dann eh nicht mehr: Mein Mann und ich haben noch ein paar Tage zu zweit am Meer genossen und ein paar Tage später war ich abends im Geburtsvorbereitungskurs und hatte schreckliche Rückenschmerzen, ich dachte noch: ,Wie soll ich das noch mindestens fünf Wochen aushalten?‘ Nachts wurden diese Rückenschmerzen dann regelmäßig, und wir fuhren in die Klinik, mit dem Gedanken, dass es wohl eh nur einen Fehlalarm ist. Dort stellte man fest, dass die Geburt schon ziemlich weit fortgeschritten war, und weil sie dort keine Neonatologie hatten, wurde ich mit Wehenhemmern vollgepumpt und in eine andere Klinik verlegt. Eine Stunde später lag ich auf dem OP-Tisch und Julian wurde per Kaiserschnitt geholt. Ihm ging es den Umständen entsprechend gut, er hatte aber anfangs Probleme mit der Atmung und bekam Sauerstoff. Er musste dann vier Wochen in der Neonatologie bleiben, das Grundproblem war einfach, dass es immer wieder Abfälle bei der Sauerstoffsättigung und der Herzfrequenz gab, und weil er an Monitoren hing, ließ sich das natürlich ganz genau kontrollieren – wenn man einmal in der Neonatologie ist, wird man auch erst entlassen, wenn alles total in Ordnung ist. Er brauchte anfangs auch Hilfe beim Essen, hatte eine Magensonde, ich stillte ihn und pumpte Milch ab, und er bekam zusätzlich Säuglingsnahrung, wenn es nicht reichte.

Die ersten fünf Tage konnte ich wegen des Kaiserschnitts in der Klinik bei ihm bleiben, dann wurde ich entlassen und musste nach Hause. So fuhr ich jeden Tag mit dem Rad zu Klinik und war von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr da. Erstmal war es natürlich ein Schock, dass Julian schon da war, wir waren überhaupt nicht vorbereitet. Und dann war es extrem schwierig, abends das Krankenhaus jedes Mal ohne Kind zu verlassen, ich bin jeden Abend weinend gegangen. Je länger Julians Aufenthalt dort dauerte, desto schwieriger wurde es, ihm jedes Mal Tschüs zu sagen.

Das Team in der Neonatologie aber war einfach großartig, hatte einen wunderbaren Umgang mit uns und vor allem mit den noch so kleinen Babys. Wir wussten: Wenn wir wollen, können wir dort auch mitten in der Nacht aufschlagen, und das wäre OK.

Im Nachhinein würde ich sagen, wir haben das Beste draus gemacht, ich saß einfach den ganzen Tag auf einem Stuhl und habe mit Julian gekuschelt und ihn gestillt. Für mich war es sehr wichtig, dass ich trotz dieses schwierigen Starts Julian stillen konnte. Seit er zu Hause ist, stille ich voll und wir geben ihm abends die Flasche, damit er daran gewöhnt bleibt. Zudem gab es für mich keinen anderen Ort, wo ich hätte sein wollen, außer bei unserem Kind und ich wollte ihm von Anfang an so viel Nähe und Sicherheit wie möglich geben.

Jetzt, mehrere Monate später, haben wir das Gefühl, die Erfahrung gut verarbeitet zu haben, wir sind total im Alltag zu Hause angekommen. Julian gedeiht prächtig, und auch wenn ich natürlich merke, dass er noch nicht so weit ist wie Kinder, die ihren errechneten Termin im September hatten, weiß ich, dass es nichts gibt, was er nicht einfach im Laufe der Zeit aufholen wird.

Ich glaube, was mir bei der ganzen Sache sehr zugute gekommen ist: Ich war nie fixiert auf bestimmte Dinge bezüglich der Geburt. Klar, ich hatte mir die natürliche Geburt gewünscht, hatte aber nie die fixe Idee, dass das unbedingt so sein muss, am Ende kommt jedes Kind doch irgendwie raus, war eher so mein Gedanke. Am Ende hatte Julian ein durchgestrecktes Bein und das Füßchen im Gesicht und eine natürliche Geburt in Beckenendlage wäre wahrscheinlich unmöglich gewesen, hatten die Ärzt*innen mir später gesagt. Ich glaube, für jede Frau kann es eine große Erleichterung sein, sich einfach bewusst zu machen, dass niemand wissen kann, ob eine Geburt so verläuft, wie man sie sich wünscht; und dass es total in Ordnung ist, wenn es anders kommt.“

Völlig anders als geplant, kein Platz im Kreißsaal: Mariam, 37

„Es ist zwei Uhr morgens und sitze in einem Krankenwagen Richtung Brandenburg. Die Wehen werden stärker und bin alleine mit den drei Sanitätern, denn für meinen Mann war kein Platz mehr, er fährt im Taxi hinterher. Draußen wird es immer dunkler, die Straßen immer löchriger. Irgendwie hatte ich mir diese Geburt anders vorgestellt.

Am Abend war die Fruchtblase geplatzt und wir sind in die Charité in Berlin-Mitte gefahren, nur fünf Taxi-Minuten von unserer Wohnung entfernt. Dort machte die diensthabende Ärztin einen Ultraschall und lächelte mich dabei gequält an: Weil unsere Zwillinge sich gerade sieben Wochen zu früh ankündigten, könnten wir nicht bleiben, die Neonatologie sei gerade überbelegt. Während ich daneben sitze, telefoniert sie nacheinander alle größeren Kliniken in Berlin ab. Alle sind voll.

Schließlich findet sie eine und der Krankenwagen bringt mich nach Buch, an die Grenze zu Brandenburg, in ein Krankenhaus, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas gehört hatte.

Meine Hebamme hatte in der Vorbereitung gesagt, Zwillinge zu bekommen sei nicht wesentlich mehr Arbeit als ein Kind. Ich solle mich auf viele mögliche Geburtsverläufe einstellen. Das habe ich getan, aber als ich im Krankenhaus ankomme, sieht es so aus, als könne ich die Kinder auf natürlichem Wege bekommen und ich wollte es versuchen. Dem jungen Arzt, der alleine die Nachtschicht macht, steht der Schweiß auf der Stirn: Zwillinge und zu früh. Er verpasst mir einen Wehenhemmer, bis am Morgen die erfahrene Oberärztin kommt. Mit ihrer Hilfe und der Unterstützung von drei sehr routinierten Hebammen habe ich am Nachmittag die Kinder bekommen – spontan, wie es die medizinische Fachsprache nennt, ohne Kaiserschnitt.

Vielleicht war es Glück. Dem Krankenhaus wäre es offensichtlich lieber gewesen, wir hätten einen Kaiserschnitt gemacht. Zwischendurch kam selbst der Chefarzt in den Kreißsaal, um mich davon zu überzeugen. Ohne die Zuversicht und der Vertrauen, das mir meine Hebamme vorher vermittelt hat, wäre ich seiner Empfehlung vielleicht gefolgt. Irgendwie hatte ich mir die Geburt anders vorgestellt, aber am Ende lief sie trotzdem gut.“

Drei Kinder, drei völlig unterschiedliche Erlebnisse: Lange dauernde erste Geburt mit vielen Interventionen und PDA/blitzschnelle Traum-Geburt/eingeleitete Geburt mit Not-OP: Hanna, 38, drei Kinder:

„Ich hab mich mal mit dem Chefarzt einer großen Geburtsklinik unterhalten, und der sagte: ,Mein wichtigster Tipp an alle Frauen wäre: Klammern Sie sich nicht vorher an irgendwelchen Plänen fest. Eine Geburt lässt sich nicht bis ins Detail planen. Wer zu sehr an einem Plan festhält, ist hinterher womöglich enttäuscht‘. Das kann ich nach drei Geburten auf jeden Fall bestätigen – die drei Erlebnisse hätten unterschiedlicher nicht sein könnten.

Insgesamt hatte ich riesiges Glück, die Schwangerschaften mit allen drei Kindern verliefen bis auf die üblichen Beschwerden wie Rückenschmerzen am Ende völlig komplikationslos. Ich freute mich auf die erste Geburt, fand das alles wahnsinnig spannend. Eine Woche nach dem errechneten Termin platzte morgens unter der Dusche die Fruchtblase, wir fuhren mittags ins Krankenhaus und konnten dann nochmal entspannt Essen gehen, weil sich nichts tat. Am frühen Abend setzten dann so langsam Wehen ein, die bis in die Nacht stärker und dann sehr heftig wurden. Aber, der Klassiker bei vielen ersten Geburten: Die Wehen wirkten sich nicht auf den Muttermund aus, er blieb zu. Nach etwa zehn Stunden war ich völlig fertig, musste ständig trinken, weil ich solchen Durst hatte, und mich gleich wieder übergeben. Die Ärztin riet vorsichtig zu einer PDA, irgendwie hatte ich daran gar nicht gedacht, war der Meinung , Ach, das geht doch auch so‘. Die PDA war aber genau die richtige Entscheidung, ich konnte mich endlich ausruhen und neue Kraft schöpfen, die Wehen gingen weiter und der Muttermund war irgendwann frühmorgens vollständig geöffnet. An die Pressphase habe ich nicht mehr so viele Erinnerungen, ich weiß noch, dass ich ständig umgelagert wurde, weil das Kind einfach nicht rauskommen wollte, und dass die Oberärztin sich irgendwann mit ihrem ganzen Gewicht auf meinen Bauch schmiss, das so genannte Kristeller-Manöver. Irgendwann kam mein Sohn dann doch noch raus, die Hebamme machte einen Dammschnitt, den ich aber gar nicht gemerkt habe, das Nähen danach war auch OK, wahrscheinlich weil die Betäubung der PDA noch wirkte. Mein Sohn war ein Sterngucker-Kind, kam also mit dem Gesicht nach oben zur Welt, deshalb kam er nicht so gut durch den Geburtskanal – vielleicht auch, weil er über vier Kilo wog. In den nächsten Tagen war ich ziemlich fertig, konnte wegen der Naht nicht besonders gut gehen, eher watscheln, sonst war alles prima.

Die Geburt meines zweiten Kindes war wie aus dem Bilderbuch: Am errechneten Geburtstermin im Juli war ich noch mit meinem Sohn am See, abends setzten Wehen ein. Gegen ein Uhr nachts fuhren wir ins Krankenhaus, der Muttermund war noch nicht sonderlich weit offen. Ich legte mich in die Badewanne, die Wehen waren da schon richtig heftig, ich kam wieder raus, und der Muttermund war fast vollständig geöffnet, ich legte mich in meinem Sommerkleid auf die Liege, presste ein paar Mal, das Baby war da, die Hebamme war selbst total überrascht und konnte gar nicht mehr nach Verstärkung rufen. In meinem Kleid, das keinen einzigen Fleck abbekommen hatte, zog ich dann zwei Stunden nach unserer Ankunft mit gut gelauntem Baby in ein Einzelzimmer auf der Wochenbettstation im obersten Stockwerk um, über Berlin ging die Sonne auf und ich hatte das Gefühl, noch nie etwas Leckereres gegessen zu haben als das fade Krankenhaus-Graubrotfrühstück.

Nach dieser Erfahrung ging ich bei meinem dritten Kind davon aus, dass die Geburt schnell und unkompliziert zu erledigen sei. Fast eine Woche nach dem errechneten Termin verlor ich langsam die Geduld, ein erster Einleitungsversuch im Krankenhaus mit Rizinus-Cocktail brachte gar nicht, ich entschied dann, dass die Geburt fast zwei Wochen über dem Termin medikamentös eingeleitet werden sollte, ich wollte es endlich hinter mir haben und Ärzt*innen raten in der Regel, nicht länger als zwei Wochen nach dem errechneten Termin mit der Einleitung zu warten.

Wir mussten frühmorgens im Krankenhaus erscheinen und ich bekam die erste Dosis des einleitenden Medikaments, die dann im Laufe des Tages immer weiter gesteigert wurde, es passierte aber einfach rein gar nichts, nicht mal der Anflug einer Wehe. Ich hatte in grauenvollen Internetforen schon gelesen, dass so eine eingeleitete Geburt Tage dauern kann, und machte mich aufs Schlimmste gefasst. Gegen 22 Uhr platzte dann die Fruchtblase, und dann ging es auf einmal höllisch schnell: Innerhalb einer halben Stunde hatte ich heftige Wehen und wechselte in den Kreißsaal, die Wehen waren kaum zu ertragen, viel heftiger als bei den anderen beiden Geburten; das Lachgas, von dem die Hebamme vorher noch großspurig erzählt hatte, gab es auch nicht, weil das einzige Gerät dafür gerade eine andere Gebärende benutzte. Und für eine PDA war es zu spät. Im Gegensatz zu den anderen beiden Geburten merkte ich dieses Mal den Personalmangel, die Hebamme war sehr nett, aber ständig woanders, schaute nur ab und zu vorbei, während ich mich neben der Liege auf dem blanken Fußboden krümmte und versuchte, mit den Wehen klarzukommen. Irgendwann kletterte ich auf die Liege und ging in den Vierfüßler und brüllte weiter herum, ich erinnere mich nicht an irgendwelche Hilfestellung oder Ansagen der Hebammen, jedenfalls merkte ich einfach irgendwann, dass meine Tochter aus mir rausplumpste.

Danach wurde es unschön, die Plazenta kam nicht heraus, was gefährlich werden kann, weil sich die Gebärmutter nicht zusammenziehen kann und viel Blut verloren geht. Die Hebamme versuchte alles mögliche, es passierte nichts, die Oberärztin kam dazu, irgendwann kam die Plazenta dann zwar raus, aber völlig kaputt und nur in Teilen – ich hatte mittlerweile so viel Blut verloren, dass auf einmal alles ganz schnell gehen musste, ein Anästhesist kam und bereitete alles für eine Not-Operation vor, um die Plazentareste rauszuholen. Ich hatte schon so viel Blut verloren, dass mir ziemlich schummrig war und die Hände kribbelten, ich war dann ganz froh, einfach schlafen zu können. Als ich wieder aufwachte, war meine Tochter putzmunter und mein Mann hatte sich geistig bereits mit seinem Dasein als Witwer mit drei Kindern beschäftigt. War aber alles nochmal gut gegangen, trotz zweieinhalb Liter Blutverlust. Die Tage danach waren heftig, die Nachwehen waren fast nochmal wie eine Geburt, ich hatte einen Ballon in mir drin, um die Blutung zu stoppen, konnte nicht selbst aufstehen, ohne wieder umzufallen, und wie es das Klischee will, gaben sich in meinem Zimmer Handwerker und die zahlreichen Familienmitglieder meiner Zimmernachbarin die Klinke in die Hand – aber irgendwie hat mich das alles gar nicht weiter gestört – ich fand es einfach total toll, wieder ein Baby bei mir zu haben.“

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