Foto: Dollar Gill

„Fette Mädchen“: Warum sich auch Frauen so gehässig an Frauenkörpern abarbeiten

Misogynie ist nicht nur ein Hobby von (cis) Männern. In dieser Woche geht Silvia in ihrer Thirtysomething-Kolumne der Frage nach, warum sich so auch viele Frauen an den Körpern anderer Frauen abarbeiten.

Der Körper als soziale Währung

Der Körper einer Frau und von jedem Menschen, der als Frau gelesen wird, steht unter ständiger Beobachtung. Wie sieht er aus, was macht er, was kann er? Und wie viel davon dürfen sie selbst entscheiden? Diese Frage stellt sich permanent und derzeit wieder einmal sehr schmerzhaft am Beispiel von 219a. Die Antwort ändert sich seit Jahrhunderten jedoch kaum: Fast nichts. Und wenn sie es doch wagen, Selbstbestimmung einzufordern und danach zu handeln, ergeben sich daraus in der Regel Konsequenzen, in Form einer Wertung durch andere, die sie wie selbstverständlich zu tragen haben. Frauenkörper müssen immer etwas leisten – und neben all dem biologistisch begründeten Kram sind wir dabei ganz schnell beim Ästhetischen. Es ist ein enger Raum, in dem sie sich bewegen dürfen und in dem Frauen noch nie die Deutungshoheit hatten. Zukunft ungewiss.

Denn ihre Körper sind ihr Kapital, sie sind die soziale Währung, mit der sie sich die Daseinsberechtigung in unserer Gesellschaft erkaufen. Ganz gleich, was sie sonst leisten, können, wollen und erstreben. Normschön müssen sie sein, also dünn, prall an den „richtigen“ Stellen und natürlich auch jung. Jung, bis sie umfallen. Um als Frau bis zum Ende ihres Lebens gesellschaftlich eine Rolle spielen zu dürfen, müssten sie haben, was Oscar Wilde seiner Figur Dorian Gray gegeben hat: Ein Porträt, das für sie altert. So sehr wir uns also gegenseitig erzählen, dass 60 die neue 40 ist, wir werden irgendwann aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung verschwinden. Bis dahin wird sich an unseren Körpern abgearbeitet. Es ist ein Volkssport, der jedem offensteht und in den sich auch immer wieder Frauen selbst ganz vorne mit einklinken.

Wie Körpermerkmale uns zu besseren oder schlechteren Menschen machen

Neuestes Beispiel dafür ist ein Artikel auf einer jungen Plattform mit dem Titel: „Praller Popstar – Selena Gomez beweist auf Instagram, dass fette Mädchen die besseren Menschen sind.“ Wow. Selena Gomez dürfte eine Kleidergröße von etwa 38 haben und sie ist 26 Jahre alt. Hier wird sie von der Redakteurin zum fetten Mädchen hingeschrieben, obwohl sie weder das eine noch das andere ist – und die Misogynie in ein eigenartiges Kompliment verpackt: Sie ist fett, aber ein besserer Mensch. Besserer Mensch als wer, das wird leider nicht verraten. Als die dünnen Menschen? Guter Körper, schlechter Körper, das Spiel kennen wir schon. Aber dass wir durch unseren Körper zu besseren oder schlechteren Menschen werden, ist definitiv ein neues Level. Na gut, vielleicht bin ich hier auch zu optimistisch.

Vielleicht hatte sie auf abstruse Weise sogar gute Absichten mit dem Artikel, dem man dann eben noch eine Clickbait-Überschrift verpasste. Denn in ihm feiert sie die Schauspielerin als Heldin, weil sie zeige, dass man ruhig ein paar Tacos mehr essen dürfe.

Etwas zu essen und nicht so dünn zu sein, dass man fast verschwindet, ist also gar nicht so schlimm, ist vielleicht die Message. Nun, leider bleibt bei diesem Artikel die traurige Erkenntnis: Ist es offensichtlich doch. Natürlich. Denn wieso sollte eine solche Überschrift noch knallen? Dicke Menschen in einen positiven Kontext zu setzen, provoziert. Noch immer. Und das ist die eigentliche Erkenntnis, falls man sie kurz vergessen haben sollte. Interessanterweise führt sie aber weiter aus und erwähnt den „Wettlauf der falschen Hoffnungen, bei dem Mädchen sich täglich die Lunge aus dem Leib kotzen“. Ob sie sich bewusst ist, dass Artikel wie dieser genau zu diesem Wettlauf beitragen? Wer weiß. Ein anderes Beispiel aus dem letzten Jahr: Die Chefredakteurin der Icon schrieb über das Model Ashley Graham, dass ihre Oberschenkel furchtbar seien und ihr der Erfolg zwar gegönnt sei, aber es sei auch keine Ermunterung. Aha.

Ist Body-Positivity reines Wunschdenken?

Fat-Shaming ist nichts Neues, man möchte fast sagen, in diesen beiden Fällen kaum eine Zeile wert. Ist es aber doch, nicht zuletzt, weil doch die Frage aufploppt, warum gerade Frauen über andere Frauen derart herablassend schreiben und sprechen – das ist ja kein Medienphänomen, sondern findet ganz genauso im Privatleben statt. Leben wir nicht in Zeiten von Body-Positivity? Schon ja, aber auch sie ist eben (bislang) nur eine Bewegung, die hier und da in den Mainstream rutscht, aber dabei immer etwas bleibt, was mit Hashtags erklärt werden muss. Sie ist wichtig, aber sie ändert nur bedingt etwas daran, dass Körper immer noch und immer mehr einer Normschönheit entsprechen müssen, die immer unrealistischer wird. Das liegt an den Filtern, klar, an den Plattformen, an Schönheits-OPs, an bis zur Unkenntlichkeit retuschierten Werbebildern. Am Ende kommt man aber dennoch vor allem auf die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft zurück.

Was sich auch auf vielen Reaktionen auf Body-Positivity-Aktivismus zeigt, denn sein Erfolg ist ein Angriff auf das, was selbstverständlich war: Wer es „schafft“, der Normschönheit zu entsprechen, hat damit auch einen Anspruch auf Zuneigung, auf Aufmerksamkeit, auf Likes. Und die müssen nun geteilt werden. Und das, ohne scheinbar etwas zu „leisten“. Wie ekelhaft diese Idee der Leistung in Bezug auf Schönheit ist, darüber muss man gar nicht reden.

Über den Applaus der Versager*innen aus der letzten Reihe

Wer in seinem Weltverständnis und in seiner erkämpften oder auch geschenkten Position angegriffen wird, verteidigt sich. Was in diesen Momenten passiert, ist auch ganz schön am Beispiel vom Feminismus zu erklären, ganz besonders im Hetero-Cis-Kosmos: Es gibt Applaus, gerade von Männern, wenn Frauen erklären, der Feminismus sei eine Bewegung der Frustrierten, der Ungefickten. Dann auch noch dieses ganze Gendergaga, haha, ist doch totaler Quatsch. Und genauso gibt es Applaus dafür, wenn Frauen erklären, Dicksein wäre etwas, dass allenfalls Männern mit ihren „niedlichen Bierbäuchen“ zusteht. Es ist der Applaus der Versager*innen aus der letzten Reihe, aber verdammt, er fühlt sich eben doch gut an. Schaut her, ich bin eine entspannte cis Frau, ich mag meine Rolle, ich ordne mich gerne unter, ich bin unkompliziert: Liebt mich dafür!

Und ja, das tun sie. Und diese Frauen tun damit das ihre, um dem vom Patriarchat geformten Rollenbild noch einmal per Räuberleiter über die Mauer zu helfen, oder auch, um weiter in patriarchalen Strukturen bestehen zu können, ohne angegriffen zu werden. Sie verwalten ihr vermeintliches Privileg, das sie doch genauso unfrei macht – eventuell mit dem Gedanken, nicht unterzugehen. Und reißen damit immer wieder den Boden für andere weg. Und bei allem Unverständnis gegenüber dieser Lust am Applaus für Bullshit, diesem Reflex, den Ellenbogen auszuklappen, um sich selbst nicht so scheiße zu fühlen: Wäre es nicht zu einfach, Frauen individuell dafür zu verurteilen, dass wir strukturell versagen? Wir leben eben in einer Gesellschaft, in der wir uns mehrheitlich immer noch darauf geeinigt haben, dass Frauen doch so viel mehr Objekt als Subjekt sind. Und ein Objekt erhält seinen Wert eben durch Form und Funktion. Auf eine Frau übertragen gerät man da noch immer ganz leicht in die Schiene von dünn, vollbusig und gebärfähig beziehungsweise gebärwillig. Dieses verdammte Konkurrenzgehabe liegt uns nicht in den Genen, es wird uns eingeimpft. Und doch ist die Entscheidung, da mitzumachen, eine, die Frauen, die Menschen treffen. Es muss nicht sein, es ist nur einfacher.

Was also jetzt? Ich weiß nur, dass wir gesellschaftlich nicht weiterkommen, wenn wir uns gegenseitig immer wieder runterreißen, wenn noch nicht einmal unsere Körper unangreifbar sind. Leider ist das weder etwas Neues, noch glaube ich ernsthaft daran, dass die Menschen, die sich am Erscheinungsbild anderer abarbeiten, das nicht wissen. Sie haben sich nur entschieden, auf der Seite der Macht mitzuwirken, auch wenn sie dort nur die Schmierseife für das Fortkommen der anderen sind. Und so lange es in unserer Gesellschaft einen Machtüberhang gibt, wird es immer Menschen geben, die mit allem, was sie haben, die paar Brocken gesellschaftlicher Macht verteidigen werden, die sie errungen haben. Auch wenn das auf dem Rücken der anderen geschieht.

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