Sind wir wirklich erst dann richtig frei und glücklich, wenn wir alles hinschmeißen und zu einer monatelangen Weltreise aufbrechen? Unsere Community-Autorin Tanja kann das nicht mehr hören – sie hat bewusst auf eine Weltreise verzichtet und stattdessen eine Wohnung gekauft. Hier erklärt sie, warum genau das für sie ein Schritt in Richtung Freiheit ist.
Reisen? Ich kann mitreden!
Vor knapp drei Jahren habe ich mein Studium beendet und Vollzeit zu arbeiten begonnen.
Ich hatte eine glückliche Studienzeit: Forschungssemester in Helsinki, Auslandspraktikum und -studium in Bangkok, Backpacking durch Asien und andere Reisen auf der ganzen Welt.
Wenn es um heruntergekommene Hostels in Manila geht, kann ich mitreden. Wenn das Thema Studieren im Ausland aufkommt, habe ich immer ein paar lustige Anekdoten parat. Wenn Gespräche über überbewertete Sehenswürdigkeiten in die Runde Einklang finden, stelle ich sicher, dass auch ich meine Erfahrungen mitteile.
Ich habe studiert und bin zwischendurch immer wieder gereist — ihr könnt stolz auf mich sein, ich habe meine Pflichten als verwöhnte Millenial-Studentin voll und ganz erfüllt.
Nochmal von Anfang: Vor knapp drei Jahren habe ich mein Studium beendet und einen Vollzeitjob begonnen. Meine Gefühle bezüglich einer fixen Arbeitsstelle waren nach einer aufregenden Studienzeit gemischt:
Eine Stimme, ich nenne sie die Stimme der Einsicht, fragte mich:
„Ist es nicht das, wofür du dich die letzten Jahre an der Uni abgerackert hast? Ein fixes Einkommen, einen gesicherten Arbeitsplatz, und eine Arbeit die du magst und in der du dich weiterentwickeln kannst. Beständigkeit, das ist es, was wir jetzt brauchen.”
Doch auch die Stimme des Abenteuers meldete sich zu Wort:
„Das ist ja alles schön und gut, aber wie, glaubst du, wirst du in einem nine–to-five-Bürojob deinen eigenen Weg finden? Arbeite erstmal ein Jahr dort, mache dein Bankkonto wieder voll und inzwischen planen wir unsere nächste Reise. Du willst doch etwas von der Welt sehen*, oder?”
Zu diesem Zeitpunkt lebte ich bereits in Helsinki, Finnland — sah somit bereits etwas von der Welt und konnte es trotzdem nicht lassen, mich für weitere Möglichkeiten in anderen Ländern umzusehen. Ich wollte mehr.
Studieren, feiern und etwas von der Welt sehen
Heute arbeite ich noch immer in Helsinki, in der gleichen Firma und kann meine Kreativität in meinem Job ausleben. Ich fliege ein paar Mal im Jahr nach Hause, mache regelmäßig Fernreisen und lebe zusammen mit meinem Freund in einer Mietwohnung — wir genießen unser Leben in vollen Zügen. Alles in allem geht es mir beruflich, privat und finanziell gut.
Mit Ausnahme einer Kleinigkeit, die vor ein paar Wochen ein Thema für uns wurde: Unser Vermieter möchte, dass wir ausziehen. Tja, sobald man glaubt, man wisse, wie der Hase läuft, serviert das Leben einem die nächste Aufgabe. Man könnte ja sonst eine Lektion verpassen!
Wie auch immer, uns standen nun zwei Optionen zur Auswahl:
– Wir kaufen uns eine Wohnung.
– Wir brechen mit unserem gesamten Ersparten zu einer Weltreise auf.
Uns in eine andere Wohnung einzumieten stand für uns nicht zur Debatte.
Meine ersten Gedanken waren:
Was machen wir jetzt? Ich will frei sein! Ich will mich nicht an einen Ort binden lassen! Wie lange kann ich mit meinem Erspartem durch die Welt reisen? Und wann geht der nächste Flieger nach Japan?
Ich sah es als eine Chance für ein neues Abenteuer. Denn ist es nicht das, was man in seinen 20ern tun sollte?
Darf ich überhaupt Beständigkeit und Sicherheit wollen? Sollte ich mich nicht in die Ungewissheit stürzen, und mich auf die Suche nach neuen Welten begeben?
Andererseits…
Muss ich mich ständig aus meiner Komfortzone bewegen, mir das Leben unnötig schwer machen, und mir gleichzeitig einreden, dass ich nur so meine Freiheit ausleben kann?
Ich habe es satt von Facebook, Instagram, Youtube, Medium und gefühlt jedem zweiten Blog gesagt zu bekommen, dass ich erst dann richtig frei und glücklich sein kann, wenn ich alles hinschmeiße und zu einer monatelangen Weltreise aufbreche.
Was bedeutet Freiheit?
Bedeutet Freiheit, ohne Hab und Gut durch’s Niemandsland zu trampen? Ich habe diese Erfahrung an der vietnamesischen Grenze zu Laos gemacht und ich kann euch sagen, ich hab mich noch nie unfreier gefühlt.
Ich möchte meine Freiheit nicht in einem fremden Land finden, in dem ich wahrscheinlich nie leben werde. Ich möchte mir lieber meine Freiheit dort aufbauen, wo ich auch meinen Alltag verbringe. Ich möchte nachhaltige Freiheit — ob das möglich ist, weiß ich nicht, aber ich möchte es auf jeden Fall versuchen.
Versteht mich nicht falsch, ich bin fest davon überzeugt, dass jede Landpomeranze raus in die Welt sollte, um Erfahrungen zu machen. Ich bin froh, die Entscheidung getroffen zu haben, in ein anderes Land zu ziehen. Ich bin jedoch nicht mehr gewillt, von einem Erdteil zum anderen zu hüpfen, auf der Suche nach mehr Abenteuern, mehr Freiheit, und letztendlich eigentlich nur auf „mehr Leben”.
Vielleicht war ich auch nicht mutig genug, alles, was ich in den letzten drei Jahren aufgebaut habe, einfach so zurückzulassen. Oder vielleicht habe ich einfach dazu gelernt, meinem Glück nicht mehr länger davonzulaufen.
Was ich jetzt erkannt habe, ist das: Ich habe mich viel zu lange von anderen manipulieren und mir einreden lassen, was frei sein wirklich bedeutet. Freiheit ist nicht gleich Freiheit. Freiheit bedeutet in jeder Phase deines Lebens etwas anderes.
Freiheit: Definitionssache
Als Studentin bedeutete Freiheit für mich zu reisen.
Zurzeit bedeutet Freiheit für mich, auf meinen eigenen zwei Beinen zu stehen, mein eigenes Geld zu verdienen, kinderlos und spontan sein zu können, und die Möglichkeit, mir mein eigenes Heim mit meinem Partner zu schaffen. Natürlich brauchen wir kleine Abenteuer hier und da, gehen auf Reisen und entdecken die Welt; aber eben nicht monatelang am Stück. Wie hat es schon Simon Carmiggelt so schön gesagt:
„Vorteile des Reisens: Es weitet das Blickfeld und zeigt uns, wie herrlich es zuhause ist.“
Doch dafür muss man erstmal ein Zuhause haben.
Ich kann nur das sagen: Ich hatte die Wahl zwischen einem Wohnungskauf und einer Weltreise und ich habe mich für die Wohnung entschieden. Warum?
Ich will meinem Glück entgegenschreiten und nicht mehr länger mit einem vollgepackten Backpack davonlaufen.
Dieser Artikel erschien zuerst in Tanjas Blog auf Medium. Wir freuen uns, dass sie ihn auch bei uns veröffentlicht.
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